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Zwei Jahre nach Fukushima

Fast zwei Jahre ist es her: Am 11. März 2011 bebte die Erde vor Japans Küste. Flutwelle und Erdbeben kosteten mehr als 15.000 Menschen das Leben. Lange nachwirken wird vor allem die freigesetzte Radioaktivität als Folge des Reaktorunglücks von Fukushima.

Von Verena Kemna | 06.03.2013
    In ihrem Bericht zu den gesundheitlichen Folgen von Fukushima nutzen die Ärzte der Organisation IPPNW, für die Verhütung des Atomkrieges, vor allem Daten des japanischen Gesundheitsministeriums sowie weitere wissenschaftliche Veröffentlichungen. Dabei kommen sie zu einem ganz anderen Schluss als die Autoren des jüngsten Berichts der WHO, der World Health Organisation. Fast zwei Jahre nach dem Atomunglück von Fukushima erwarten die Autoren des WHO Berichts lediglich geringe zusätzliche Gesundheitsrisiken für die Menschen, in den am stärksten kontaminierten Gebieten rund um das AKW Fukushima.

    Für die allgemeine Bevölkerung gibt der WHO Bericht dagegen Entwarnung. Ein deutlich dramatischeres Szenario zeichnet der Bericht der Ärzteorganisation IPPNW. Henrik Paulitz ist einer der Mitautoren der Studie.

    "Anhand der rückläufigen Geburtenraten und anhand der Säuglingssterblichkeit, anhand dieser Daten ist ganz klar bewiesen, dass es Gesundheitseffekte in ganz Japan gibt. Zum zweiten gibt es ganz klare wissenschaftliche Belege dafür, dass in Japan in vielen Regionen, in unterschiedlichem Maße Radioaktivität, insbesondere radioaktives Cäsium niedergegangen ist."

    So seien in ganz Japan bereits neun Monate nach dem GAU fast 4400 weniger Säuglinge geboren als in einem vergleichbaren Zeitraum vor der Katastrophe. Auch die Säuglingssterblichkeit sei landesweit gestiegen. Die Zahlen aus dem IPPNW Bericht zeigten, dass Untersuchungen im ganzen Land dringend notwendig wären, meint Henrik Paulitz. Die Mitglieder der Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges appellieren an die japanische Regierung.

    "Wir würden der Regierung ans Herz legen umfassende eigenständige Untersuchungen durchzuführen und öffentlich zu machen. Hier ist tatsächlich mehr Transparenz und insbesondere mehr Schutz der Bevölkerung und der Kinder erforderlich."


    Allein in der Präfektur Fukushima seien bei mehr als 55.000 Kindern Schilddrüsenzysten festgestellt worden, ein Symptom, das als Krebsvorstufe gilt, erklärt Henrik Paulitz.

    "Unter den getroffenen Annahmen und auf Basis der Ausgangsdaten ist zu befürchten, dass es zwischen 20.000 und 80.000 Krebsfälle allein aufgrund der erhöhten äußeren Strahlung in Japan kommen kann."

    Freigesetztes Cäsium in der Atmosphäre - kontaminierte Lebensmittel auf dem Tisch. Die Wissenschaftler haben auch offizielle Messdaten des japanischen Gesundheitsministeriums zu kontaminierten Lebensmitteln in allen 47 japanischen Präfekturen ausgewertet. Sie rechnen in den kommenden Jahren mit bis zu 40.000 weiteren Krebserkrankungen durch so genannte innere Bestrahlung. Nach den Erkenntnissen von Tschernobyl müssen vor allem die 17.000 Arbeiter, die nach dem Gau in der Anlage gearbeitet haben, künftig mit schweren Erkrankungen rechnen. Spätfolgen zeigen sich oft erst nach Jahren, meint auch Heinz Smital, Kernphysiker und Strahlenexperte bei der Umweltorganisation Greenpeace. Er stellt sich hinter den Bericht der atomkritischen Ärzteorganisation und kritisiert die vorliegende Risikoanalyse der World Health Organisation als Verharmlosung.

    "Wenn die WHO dieses Strahlenrisiko nicht so runterspielen würde, dann würden vielleicht auch in der großen Stadt Fukushima City, mehr Anstrengungen gemacht werden, Strahlen zu reduzieren und optimieren, wie es der Strahlenschutz vorschreibt."

    Ebenso wie die Ärzteorganisation für die Verhütung des Atomkrieges fordert auch Greenpeace mehr Transparenz zum Schutz der Bevölkerung.