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Vor 60 Jahren
"Interbau": Bühne der Architekten

Seit 1901 wurden in Deutschland Bauausstellungen zur besseren Stadtplanung veranstaltet. Mit der Weißenhof-Siedlung in Stuttgart endete 1927 vorerst diese Tradition. Erst am 6. Juli 1957 eröffnete im Hansa-Viertel in West-Berlin wieder eine Internationale Bauausstellung.

Von Jochen Stöckmann | 06.07.2017
    Das Hansa-Viertel Berlin, aufgenommen am 01.06.2007. Bebaut wurde dieses Gebiet seit 1875 mit Villen und anspruchsvollen Wohnhäusern. Seinen Namen erhielt es nach dem im 12. Jahrhundert gegründeten Städtebund der Hansa oder Hanse, dem auch Berlin zeitweilig angehörte. 1861 wurde das Viertel mit Moabit nach Berlin eingemeindet. Das alte Hansa-Viertel wurde während des II. Weltkrieges durch Bombenangriffe ? insbesondere im November 1943 ? fast total zerstört. Ein neugestalteter Wiederaufbau erfolgte im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Berlin 1957 (zwischen 1955 und 1960). Der Bebauungsplan wurde unter Leitung des Architekten Otto Bartning ausgearbeitet und umfaßte 48 Objekte, die heute unter Denkmalschutz stehen.
    Neubau von 1957 im Hansa-Viertel Berlin: Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung wurden dort von Otto Bartning 48 Objekte errichtet, die heute unter Denkmalschutz stehen. (picture alliance / Soeren Stache)
    "Die Stadt Berlin ist stolz, mit diesem kühnen Experiment der internationalen Bauwelt einen Beitrag von geistigem Rang liefern zu können. Sie ist überzeugt, dass die Ausstellung intensiv nach dem Osten ausstrahlen und die Leistungen der westlichen Welt beweisen wird."
    Die politischen Dimensionen von Architektur im Kalten Krieg machte Berlins Regierender Bürgermeister Otto Suhr unüberhörbar deutlich, als er am 6. Juli 1957 die "Interbau" eröffnete. Zwar musste die Internationale Bauausstellung im Westen der geteilten Stadt dringend benötigten Wohnraum schaffen.
    Darüber hinaus aber sollte auf dem Trümmer-Areal des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Hansa-Viertels eine Vorzeige-Metropole der Zukunft Gestalt annehmen. Diese Bemühungen koordinierte der Architekt Otto Bartning:
    "Hier nun im Hansaviertel galt und gilt es 1200 Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus zu errichten. Zugleich aber eben diese Regeln zu prüfen und die Tür zur Kritik und zur Weiterentwicklung zu öffnen."
    Deutsche Bauvorschriften und französische Visionen
    Die Regeln, das waren deutsche Bauvorschriften. Die "Weiterentwicklung" wurde unter anderem verkörpert von der funktionalistischen "Wohnmaschine", die Le Corbusier in Marseille errichtet hatte. Der französische Architekt wurde eingeladen, in Berlin ein weiteres Musterexemplar seiner Unité d’habitation zu bauen. Bausenator Rolf Schwedler:
    "Die Schwierigkeit ist, dass er darauf besteht, einheitlich zu bauen. Das heißt also, wir müssen mindestens 300 Wohnungen in diesem Baublock erstellen. Und da müssen wir daran denken, dass dann der Träger dieses Baus die Wohnungen vermietet haben will."
    Corbusiers Unité-Riegel mit Korridoren von über 100 Metern Länge wurde tatsächlich gebaut – nach bundesdeutscher Norm, also mit 2,50 Meter hohen Räumen anstelle des von Le Corbusier errechneten "Idealmaßes" von nur 2,26 Meter.
    Eine neue Generation europäischer Architekten
    Am Charakter der "Wohnmaschine" änderte das wenig: auf die pure Funktion reduziert, zweckmäßig für ein Leben in der modernen Industriegesellschaft. Und in ihrer schlichten Ästhetik – mitten im Kalten Krieg – eine Kampfansage an den neoklassizistischen Zuckerbäckerstil monumentaler Wohnbauten an der Stalinallee, im Ostteil Berlins. Dagegen trat im Hansaviertel eine illustre Auswahl westlicher Architekten an, deren Beiträge Bausenator Schwedler stolz aufzählte:
    "Die Objekte Gropius und Schwippert, beides achtgeschossige Bauten. Die weiteren Bauten der Schweden Jaenecke, Samuelson. Franzosen: Lopez, Beaudouin. Auch Vago oder Aalto. Etwas Sorge haben wir noch mit dem Italiener Baldessari, der das 25-geschossige Haus bauen soll – er ist etwas säumig gewesen mit der Herreichung seiner Entwürfe."
    Der Berliner Bausenator achtete auf die Vorschriften. Und Architekten legten sie kreativ aus, etwa der nach Schweden emigrierte Fritz Jaenecke:
    "Wir haben gerade hier in diesem Haus den Grundriss so variieren können, dass eigentlich alle Wünsche im Rahmen dieser Quadratmeterzahl – 90, 95 Quadratmeter – wirklich befriedigt werden."
    Besucher "stürzten sich" auf eingerichtete Musterwohnungen
    Musterwohnungen waren ausgestattet mit skandinavischen Möbeln, italienischen Stoffen, Stahlrohrsesseln im Bauhaus-Design. Als weitere Attraktion trug eine Seilbahn dazu bei, dass mehr Besucher als erwartet zur Interbau kamen, über die Hälfte davon aus dem Ostteil Berlins. Für Bausenator Schwedler ein zweifelhafter Erfolg:
    "Die Besucher stürzen sich gleich auf die eingerichteten Wohnungen und wir würden es an sich viel lieber sehen, wenn sie sich auf die anderen interessanten Objekte wie auch die große thematische Schau ansehen würden."
    Die informativen Ausstellungen über die "Stadt von morgen" gerieten ins Hintertreffen. Ebenso die Schau über Brasiliens neue Hauptstadt aus der Retorte oder Dokumentationen zum funktionsgerechten Wiederaufbau kriegszerstörter Städte wie Hannover oder Le Havre.
    Fehlende Diskussion über das "Ganze", die Stadt
    Die Interbau glänzte in Details, als Schaufenster für "schöner Wohnen". Und bot damit vor allem eine Bühne für renommierte Architekten – wie der Franzose Pierre Vago kritisch anmerkte.
    "Die eingeladenen Architekten, sie haben ein Stück Architektur gemacht. Sie hatten nie eine gesamte Beratung, eine Diskussion über das Ganze, das Problem des Ganzen – das fehlte."
    Das "Ganze" aber war die Stadt. Und deren Zukunft überließen Architekten wie Städteplaner weiterhin der Politik.