Dienstag, 30. April 2024

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Politiker unter Beobachtung
"Jede Schwäche kann skandalisiert werden"

Nach mehreren Zitterattacken von Angela Merkel debattieren zahlreiche Medien über den Gesundheitszustand der Bundeskanzlerin. Die übermäßige Neugier sei zwar menschlich, führe aber auf lange Sicht zu einer Entpolitisierung der medialen Berichterstattung, sagte der Publizist Jens Bergmann im Dlf.

Jens Bergmann im Gespräch mit Manfred Götzke | 14.07.2019
Berlin: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sitzt neben der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen beim Empfang vor dem Kanzleramt.
Nach mehreren Zitteranfällen der Kanzlerin in den vergangenen Wochen hören Angela Merkel und die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen die Nationalhymne im Sitzen (dpa/ Michael Kappeler)
Der Publizist Jens Bergmann ist der Meinung, dass Kanzlerin Angela Merkel ihren Gesundheitszustand privat halten dürfe, "solange es ihre Amtsgeschäfte nicht beeinträchtigt." Politiker seien Menschen "und die sind auch mal krank".
Immer unter Beobachtung
Auch in der Vergangenheit habe es Politiker gegeben, die mit schweren Krankheiten hätten kämpfen müssen – so zum Beispiel John F. Kennedy oder Helmut Schmidt. Diese Themen seien damals jedoch nicht in diesem Ausmaß in der Öffentlichkeit diskutiert worden. Bergmann meint: "Früher hat man Privates und Dienstliches stärker getrennt. Man hat nicht wie heute verzweifelt versucht, Politikern die Charakter-Maske abzureißen." Sie hätten damals eher die Möglichkeit gehabt, Privates und Intimes vor der Öffentlichkeit geheim zu halten. Heute würden sie unter Dauerbeobachtung stehen, kritisiert Bergmann.
"Jede Schwäche, jeder Fehltritt und jeder Versprecher kann skandalisiert werden."
Privatsphäre mehr respektieren
Da Angela Merkel ihr Privatleben normalerweise nicht thematisiere, sei der Schwächeanfall für die Medien besonders interessant, weil "endlich etwas vermeintlich privates über sie bekannt wird." Wer jedoch sein Privatleben und seine Familie weitgehend aus der Öffentlichkeit heraushalte, könne auch den Anspruch darauf erheben, dass die Medien darauf Rücksicht nehmen. Die übermäßige Neugier sei zwar menschlich, führe aber auf lange Sicht zu einer Entpolitisierung der medialen Berichterstattung.
Christian Wulff: Paradebeispiel für Fallstricke der medialen Inszenierung
Ein anderes Beispiel sei der Fall des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulf. Er zeige, wie hoch Prominente oder Politiker mit medialer Verstärkung steigen können. Auch im Amt des Bundespräsidenten habe er dieses sehr öffentlich inszeniert. "In solchen Fällen ist es dann für die Presse auch sehr interessant, solche Leute auch wieder vom Sockel zu stürzen", meint Bergmann. Es sei ein Paradebeispiel für die Fallstricke der medialen Inszenierung und den ungesunden Hunger der Medien nach Skandalen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.