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Eine Liebesgeschichte im Wüstensturm

Mittels einer Liebesgeschichte führt der Autor Luis Leante den Leser nach Spanisch-Sahara: zur Franco-Zeit spanische Kolonie, danach ein von Marokko besetztes Gebiet. Der Roman "Liebst du mich" erzählt von den politischen Konflikten der Region, dem Leben in der Wüste - und natürlich von der Liebe.

Von Martin Grzimek | 24.07.2009
    Der Roman "Liebst du mich" des 1963 geborenen spanischen Schriftstellers Luis Leante erzählt vordergründig von einer Jugendliebe zwischen der Medizinstudentin Montse Cambra und dem Automechaniker Santiago San Román, der gerade seine Arbeit verloren hat. Immer wenn sein ehemaliger Chef verreist ist, borgt er sich gewissermaßen schicke Autos aus der Werkstatt aus und fährt damit durch die Straßen Barcelonas. So lernt er Montse kennen, der nicht nur Santiago San Román, sondern auch der weiße Cadillac gefällt, in dem er diesmal unterwegs ist. Außerdem lügt er ihr vor, er würde als Banker arbeiten.

    Es ist das Jahr 1974, beide sind knapp 20 und schnell ineinander verliebt. Diese Liebe hält sogar, nachdem Montse schließlich hinter Santiagos Schummeleien gekommen ist. Trennen müssen sie sich erst, als sich Santiago als Legionär verpflichtet. Da ist Montse schon schwanger von ihm. Gegenüber ihrer Familie verheimlicht sie ihren Zustand, verliert das Kind und hört auch nichts mehr von Santiago, der weit weg in der Westsahara stationiert ist. Die sehnsuchtsvollen Briefe, die er ihr schreibt, werden von der Mutter abgefangen und versteckt. Und ein Jahr später erfährt Montse, dass Santiago bei einem marokkanischen Angriff umgekommen sein soll.

    Das ist die Disposition dieser Romeo-und-Julia-Geschichte um Montse und Santiago. Doch sie ist für Luis Leante nur der Rahmen, um uns etwas ganz anderes zu erzählen. Hauptsächlich geht es ihm um das Erlebnis der Sahara und um einen politisch äußerst konfliktreichen, kurzen Abschnitt der spanischen Geschichte Mitte der 1970er-Jahre, als mit Francos Tod die Zeit der Diktatur endet und sich Spanien als militärische Verwaltungsmacht aus seiner letzten Kolonie, aus Spanisch-Sahara zurückzieht.

    Dieses Wüstengebiet, umgeben von Marokko, Mauretanien und dem Atlantischen Ozean, hat bis heute einen ungeklärten politischen Status. Seine ursprüngliche Bevölkerung, die Saharauis, haben nie die ihnen von der UNO versprochene Möglichkeit bekommen, über ihr Land selbst zu bestimmen. Bis heute kämpft die Freiheitsbewegung Polisario für ihre Unabhängigkeit, bis heute hält Marokko den größten Teil des Landes besetzt und trennt ihn von den saharauischen Gebieten durch einen 2700 Kilometer langen verminten Sandwall ab.

    Um die Geschichte eines okkupierten Landstrichs und die Geschichte einer verlorengegangenen Liebe von innen heraus erzählen zu können, bedient sich Leante einer interessanten kompositorischen Methode. Er rollt die Handlung nicht chronologisch auf, sondern springt von Kapitel zu Kapitel zwischen den End- und Anfangsphasen der Geschichte hin und her. So beginnt der Roman nicht etwa mit dem Sichkennenlernen der beiden Protagonisten im Barcelona Mitte der 70er, sondern 25 Jahre später. Da liegt Montse, inzwischen praktizierende Ärztin, in einem heruntergekommenen Militärkrankenhaus in Samara, einer Kleinstadt mitten in der Sahara. Durch einen Hinweis darauf, dass Santiago noch immer leben könnte, hat sie sich auf die Suche nach ihm gemacht. Sie fliegt in den Süden Algeriens, wird von ehemaligen Legionären gekidnappt, kann aber entkommen und wird auf ihrer Flucht durch einen Skorpionstich in den Hals lebensgefährlich vergiftet.

    Im nächsten Kapitel sind wir dann wieder 25 Jahre früher zusammen mit Santiago in einem Militärgefängnis. Seine Exekutierung steht ihm bevor, weil er angeblich Sprengstoff für die saharauischen Freiheitskämpfer aus dem Lager schmuggeln wollte. Da denkt Santiago zwar immer noch an Montse, zugleich aber an die junge Andía, Tochter einer saharauischen Großfamilie. Solchen Zeitsprüngen und Ortswechseln im Roman zu folgen, ist nicht immer leicht. Luis Leante gelingt es aber gerade dadurch, das Interesse immer mehr von der bloßen Romanze weg auf die Fremdartigkeit und Eigenheit der Saharauis und ihrer Geschichte zu ziehen. Immer öfter konfrontiert er uns aus den unterschiedlichen Blickwinkeln Montses und Santiagos mit der Auflösung der West-Sahara als Kolonie, mit den dadurch entstehenden politischen und militärischen Konflikten und immer mehr auch mit dem Leben in der Wüste.

    Leante kennt diese Region, hat sie mehrfach bereist, und er liebt die Menschen, die er darstellt. Das macht diesen Roman so überzeugend. Seine Beobachtungen sind einfach und klar und werden durch die einfühlsame Übersetzung von Lisa Grüneisen noch verstärkt:

    "Am Abend, als Santiago Tifariti erreichte, tobte ein Sandsturm, wie er ihn in einem Jahr Sahara noch nicht erlebt hatte. Die Windböen rissen die jaimas fort und wirbelten riesige Staubwolken in den Himmel. Binnen weniger Minuten war das provisorische Camp völlig verwüstet. Die Frauen gruben Löcher in den Sand und legten zuerst die Kinder hinein und dann sich selbst, während sie sich mit ihren melfas zu schützen versuchten. Santiago blieb mit Andía im Landrover. Der Wind und der Sand drangen durch alle Ritzen. Die Luft war so trocken, dass er merkte, wie seine Augäpfel auszutrocknen begannen. Für einen Moment dachte Santiago, er würde erblinden."

    Wenn Montse am Schluss des Romans ihrem Santiago nach 25 Jahren in der Wüste wiederbegegnet, erkennt sie ihn nur an einem Lied aus der Zeit ihrer ersten Liebe, das er vor sich hinpfeift. Physisch ist er zu einem Krüppel geworden, ein Opfer seiner Zeit, zurückgelassen als Relikt der Geschichte, deren politische Machtinteressen keine Rücksicht nehmen auf Individualität und das, was die Menschen verbindet, auf die Liebe zwischen ihnen.

    Luis Leante: Liebst du mich
    Aus dem Spanischen von Lisa Grüneisen
    S. Fischer Verlag, Frankfurt 2009, 300 Seiten, Euro 19,95