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Abgehängt vom Zugverkehr

Ein Bahngipfel soll die Probleme rund um den Mainzer Hauptbahnhof lösen. Die Fahrgäste erwarten allerdings nicht viel vom Treffen der Politiker und Konzernvertreter. Sie sehen die Bahn in der Pflicht - haben aber Verständnis für die Mitarbeiter.

Von Anke Petermann | 13.08.2013
    Verkehrte Welt: Das hessische Örtchen Mainz-Bischofsheim, zwischen den Weltkriegen mal Mainzer Stadtteil, avanciert dank der Umleitungen zeitweise zum neuen ICE-Bahnhof. Am Mainzer Hauptbahnhof der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt fragen sich unterdessen die Pendler zu Tausenden, wie und mit welcher Verspätung sie zur Arbeit kommen.

    "Heute morgen war es etwas chaotisch, da musste ich umsteigen, da bin ich nur bis Bodenheim gekommen, musste dann in den Bus. Unmöglich, unmöglich – das totale Chaos ist das, aber das passt ja zur Bahn."

    "Ich hoffe, ich komme nach Hause, weil ja die Züge ab 20 Uhr ausfallen sollen und ich erst so spät Feierabend habe, das letzte Mal musste ich mich auch schon abholen lassen. Also hinkommen schon, aber heimkommen, sieht schwer aus."

    Die einen kommen nicht hin, die anderen nicht weg. Und eine Bahnreise von Bremen nach Konstanz mit schwer beladendem Fahrrad anzutreten, ist kühn, weil Mainz Hauptbahnhof dazwischen liegt:

    "Ja, ich hatte das im Fernsehen gesehen, deswegen dachte ich, ich will hier gar nicht aussteigen, aber der Zug hielt hier, und ich musste aussteigen."

    Und außerplanmäßig anderthalb Stunden Zwangsaufenthalt einlegen. Das Bahn-Notprogramm setzt anders als angekündigt vor 6 Uhr ein und endet um 20 Uhr noch lange nicht, im Gegenteil, dann werden manche Orte erst richtig abgehängt. Auch das stellt sich erst jetzt heraus, die ganze Wahrheit über den Notstand hatte die Bahn nicht verraten. Dass auch die närrischen Mainzer da ihren Humor verlieren, bekommt Brigitte Regensein als Verkäuferin im Gummibärchen-Laden zu spüren.
    "Natürlich ist es schon ziemlich chaotisch, was abgeht, und die Kunden laufen schon ziemlich genervt rum, und fühlen sich gestresst – ist ganz klar ja."

    Trotz Stress aber solidarisieren sich immer mehr Reisende mit den urlaubenden oder kranken Fahrdienstleitern.

    "Diese Aussagen, die getroffen wurden, dass Mitarbeiter der Bahn aus dem Urlaub geholt werden sollen, finde ich unglaublich. Ich kann auch die Leute verstehen, die eventuell jetzt sagen, diese Mehrbelastung ist mir zu viel und ich schaff’ das einfach nicht mehr. Gut, das ist jetzt mal an der Öffentlichkeit, vielleicht tut sich jetzt was."

    "Die Leute haben sich ihren Urlaub verdient, die haben teilweise Überstunden gemacht, es geht nicht, das wird auf dem Rücken der Mitarbeiter ausgetragen, das kann’s nicht sein."

    "Mainz ist ja keine große Stadt, aber Mainz hat einen großen Bahnhof, ich glaube, das verkennen die meisten. Hier halten jede Menge Züge, und es ist schon ein Knotenpunkt. Und wenn die Leute im Stellwerk an ihre Grenzen kommen, dann sollen sie nach Hause gehen. Und wenn sie Urlaub haben, sollen sie zuhause bleiben. Uns bringt es ja nichts, wenn die Leute immer weiter arbeiten und irgendwann aus irgendwelchen Gründen zwei Züge zusammenrasen. Vor 14 Tagen hatten wir’s fast gehabt, wie wir uns erinnern. Da muss man sich die Frage stellen, wie kann so was passieren."

    Das untersucht das Eisenbahnbundesamt, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Gerüchte kursieren, dass die Bahn-Führung erst wegen dieses Beinahe-Unglücks die Notbremse zog und den Verkehr in Mainz so ausdünnte, dass ein unterbesetztes Stellwerk ihn sicher bewältigen kann. Im Umkehrschluss würde das bedeuten, dass der Konzern zuvor mit einer Schmalspur-Belegschaft im Stellwerk nicht vertretbare Risiken eingegangen war. Fragen und Themen mehr als genug für den Bahngipfel ab frühen Nachmittag in der Mainzer Staatskanzlei.

    "Ja, ich hab Erwartung, dass er viel Geld kostet, viel geredet wird, mit heißer Luft, mit Ergebnis null, das Ergebnis steht doch schon seit Jahren fest. Fällt doch nicht vom Himmel, dass auf einmal keine Leute mehr da sind."

    "Erwartungen insofern, dass sich das ändert, dass mehr Leute eingestellt werden."

    "Ich bin pessimistisch, denn das ist seit Jahren die Entwicklung. Man sieht dem zu, was da passiert und abläuft. Ich finde, der Wasserkopf wird immer größer, und da wo die Leute arbeiten müssten, ist keiner mehr da. Also, es sind schon Züge ausgefallen, weil kein Fahrer mehr da war. Das gab’s vor Jahren noch nicht, aber mittlerweile ist das wohl gang und gäbe."

    Und vielleicht avancieren die Fahrdienstleiter gerade deshalb zu den geknechteten Helden wie einst die Lokführer im Arbeitskampf. Auch die sahen sich unverhofft von einer Weller der Solidarität getragen, obwohl sie die Republik zeitweise ins Verkehrschaos stürzten.

    "Das ist so wie es nicht nur bei der Bahn läuft sondern überall im Moment. Die bauen die Arbeitskräfte ab, bis auf einen Null-Stand, und dann wird einer krank und macht Urlaub, dann geht nichts mehr, das ist in meiner Firma leider auch so, ohne dass ich jetzt deren Namen nennen möchte."

    "In meiner Firma, das ist eine andere Firma, ist es ebenso, und ich glaube nicht, Sie finden eine Firma, wo’s anders ist."
    Ein bisschen Stellwerkselend überall in der Republik. Am frühen Nachmittag wird man dann wissen, ob der Bahngipfel etwas bewegt hat. Der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling, SPD, hat der Bahn schon ein Ultimatum gestellt und Abhilfe bis Ende der Woche gefordert. Bekommt er die Zusicherung vom anreisenden Vorstandsvorsitzenden der Netz AG nicht, gibt es morgen eine neue Chance. Fürs interne Krisentreffen in Frankfurt am Main hat Bahnchef Rüdiger Grube seinen Urlaub abgebrochen. Vielleicht können die Mainzer bald wieder lachen.