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Vor zehn Jahren
Supertanker "Sirius Star" in der Hand somalischer Piraten

Zu Beginn des Jahrtausends entdeckten somalische Warlords ein lukratives Geschäftsmodell: die Entführung großer Schiffe. Vor zehn Jahren ging ihnen der saudische Supertanker "Sirius Star" ins Netz. Doch der Coup scheiterte so spektakulär, wie er begonnen hatte.

Von Matthias Bertsch | 15.11.2018
    Der Tanker Sirius Star wurde am 15. November 2008 von somalischen Piraten gekapert
    Der Tanker Sirius Star wurde am 15. November 2008 von somalischen Piraten gekapert (dpa / picture alliance / William S. Stevens)
    Es war morgens um kurz nach sieben, als sich am 15. November 2008 ein Boot mit hoher Geschwindigkeit der "Sirius Star" näherte. Der saudi-arabische Supertanker hatte Rohöl im Wert von 100 Millionen US-Dollar an Bord und befand sich gut 1.000 Kilometer südöstlich von Mogadischu entfernt, mitten im Indischen Ozean. Mit über 300 Metern Länge war die "Sirius Star" das größte Schiff, das somalische Piraten in ihre Gewalt gebracht hatten – aber keineswegs das einzige, so Annette Weber von der Stiftung Wissenschaft und Politik:

    "Die Entführungen liefen eigentlich immer nach einem ähnlichen Muster: sehr, sehr kleine, schnelle Boote, besetzt mit Piraten, mit sehr großen Waffen, vor allem RPGs, also Granaten, die man auf der Schulter trägt, die eben dann abgefeuert werden können und letztendlich sofort zum Untergehen der Schiffe geführt hätten."

    Die Besatzung der "Sirius-Star" musste die Piraten an Bord lassen. Die befahlen dem Kapitän, nach Norden zu fahren: Der Supertanker ankerte vor der Stadt Haradheere, einem Piratenstützpunkt in der faktisch autonomen Region Puntland im Nordosten Somalias. Von der Reederei forderten die Seeräuber 25 Millionen US-Dollar Lösegeld. Um zu beweisen, dass die Besatzung noch am Leben war, durfte der Kapitän des Schiffes den Medien ein Interview geben:

    "Uns geht es im Großen und Ganzen gut. Die Besatzung ist in ordentlicher Verfassung. Wir sind 25 Mann, mich eingeschlossen, und wir durften bereits mit unseren Familien zuhause telefonieren und werden das bald wieder tun. Sie können sich sicher vorstellen, dass das für uns derzeit das Wichtigste ist."
    Hintermänner und Finanziers der Piraten leben im Ausland
    Die Entführung von Schiffen hatte sich in dem von Clans und Warlords dominierten Somalia längst zu einem florierenden Geschäft entwickelt: Menschenleben und Schiffe gegen Geld, lautete die Devise der Piraten, von denen sich manche als eine Art moderner Robin Hood darstellten. Die eigentlichen Seeräuber, so einer der Piraten in der "New York Times", seien die ausländische Schiffe, die die Küsten Somalias leer fischten oder dort ihren Müll versenkten. Diese Probleme existieren, betont Annette Weber, und doch lehnt sie diese Sicht der Dinge ab: "Es geht ja auch um die Schiffe des World Food Programms, des Welternährungsprogramms, das ja quasi in Somalia einen Großteil der Bevölkerung versorgt. Auch diese Schiffe wurden ja angegriffen. Also, es waren jetzt sicherlich keine Menschen, die für die Freiheit Somalias oder sonst etwas gekämpft haben, sondern wirklich dafür, schnell viel Geld zu machen."
    Geld, das nur in geringem Umfang in den Händen der Entführer landete, so Andrew Mwangura vom Seefahrer-Hilfsprogramm in Kenia:
    "Die echten Piraten leben nicht in Somalia, sondern in Kenia, in London, in Dubai oder Kanada. Sie sind es, die die Operationen planen und finanzieren. Kein junger Mann in Somalia könnte sich ein Satellitentelefon leisten, ein Schnellboot oder auch nur eine Kalaschnikow. Die Hintermänner, die das große Geschäft machen, leben alle außerhalb des Landes".
    EU reagierte mit Operation Atalanta
    Die Fregatte "Bayern" läuft am 07.03.2016 in Wilhelmshaven (Niedersachsen) aus dem Marinestützpunkt aus.
    Die Fregatte "Bayern" im Rahmen der UN-Mission Atalanta auf dem Weg ans Horn von Afrika (Archivbild) (dpa picture alliance /Carmen Jaspersen)
    Nachdem der UN-Sicherheitsrat im Juni 2008 den Einsatz von Kriegsschiffen zum Schutz vor Piraten an der Küste Somalias beschlossen hatte, startete die EU im Dezember die sogenannte Operation Atalanta. Die militärische Marinemission, an der auch Deutschland beteiligt ist, sollte nicht nur die humanitären Hilfslieferungen nach Somalia schützen, sondern auch die Handelsschiffe.
    Für die Entführung der "Sirius Star" spielte Atalanta keine Rolle mehr. Sie endete Anfang Januar 2009 mit der Freigabe des Schiffes - und einer spektakulären Übergabe des Lösegeldes, so Annette Weber: "Das Geld sollte Cash ausbezahlt werden, es waren dann drei Millionen, die von Hubschraubern über der "Sirius Star" abgelassen wurden und das hat dann eben dazu geführt, dass die Piraten, die daran beteiligt waren, sich erstens zerstritten haben und zweitens versuchten, das Geld, das teilweise dann über das Meer geflogen war, einzusammeln." Auf dem Rückweg zur Küste kamen die Piraten dazu noch in einen Sturm. Fünf von ihnen ertranken mit der Beute, die Hintermänner wurden nie gefasst.
    Somalia bleibt Sorgenkind
    Die bis heute immer wieder verlängerte Operation Atalanta erwies sich dagegen als erfolgreich.Seit fünf Jahren gibt es kaum noch Piratenangriffe am Horn von Afrika. Doch eine Dauerlösung ist der Militäreinsatz nicht, meint Annette Weber: "Wir haben weiterhin keine stabile Regierung in Somalia, es ist weiterhin so, dass sehr kleinteilig clanabhängig Territorien kontrolliert werden, das läuft sehr viel besser als noch vor zehn Jahren, das denke ich, ist gar keine Frage, aber reicht das denn aus, um dauerhaft sagen zu können, einem Relaunch dieser Piraterie-Idee beugt das vor? Und ich glaube, da sind die Zweifel im Augenblick noch zu groß."