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Die unmessbare Zone

Schon früh hat das Sammlerpaar Anna und Gerhard Lenz die Werke der Künstlergruppe Zero erworben, die in den 60er-Jahren das internationale Kunstgeschehen nachhaltig beeinflusste. Die Sammlung begreift das Anliegen von Zero als Epoche prägende Neuorientierung in der Nachkriegskunst und weist über die unmittelbare Zero-Zeit hinaus. Zwei schön aufgemachte Bände dokumentieren die Werke, Geschichte und Ausstellungspraxis der Sammlung.

Von Andrea Gnam | 17.12.2009
    "Wir dachten an das Countdown vor dem Raketenstart - Zero ist die unmessbare Zone, in der ein alter Zustand in einen unbekannten neuen übergeht", euphorisch beschreibt Otto Piene im Rückblick das Anliegen der Künstlerbewegung Zero. Fortschrittsoptimismus, Selbstbewusstsein, aber auch spirituelle Neigungen sprechen aus dieser Selbsteinschätzung. Otto Piene bildete mit Günther Uecker und Heinz Mack den harten Kern der einflussreichen Gruppe, die in den Jahren 1957-1966 wirkungsmächtig, konzentriert und international agierend an einem neuen, puristischen Kunstbegriff arbeitete. Das Ehepaar Anna und Gerhard Lenz besitzt die wohl umfangreichsten Werkbestände, die gelegentlich in sorgfältig inszenierten Ausstellungen der Öffentlichkeit gezeigt werden. "Epoche Zero" heißt programmatisch der zweibändige, bei Hatje Cantz erschienene Katalog, der Einblick in Bestände und Geschichte der Sammlung Lenz Schönberg gewährt. Die im ersten Band chronologisch präsentierten Bilder und Plastiken von 48 - bis auf eine Ausnahme - männlichen Künstlern sprechen für sich: Es sind wohlgeordnete Bilderwelten, in deren Eigengesetzlichkeit man beim Betrachten Werk für Werk immer tiefer einzudringen scheint. Ob die oft monochromen Bilder statisch kompakt sind oder ob Objekte Licht und Bewegung thematisieren, ob die Werke Abstand zum Betrachter wahren oder einen zum Mitkommen aufzufordern scheinen, stets sind sie klar und überschaubar. In Abgrenzung zu Informel und Tachismus, die mit gestischem Duktus nach dem Krieg das Kunstgeschehen bestimmten, enthält sich der Zero Künstler nach Möglichkeit jeglicher persönlicher Handschrift: Repetitive Strukturen, Interferenz, Raster bestimmen das Bild. Seine Arbeiten gehorchen einer Regel, unterwerfen sich einer selbst auferlegten Disziplin, die ins Manische gehen kann oder wie Gerhard Larcher schreibt, wir sehen "Kunst von unglaublicher innerer Konsequenz". Und doch sind diese Werke, gerade im Zusammenspiel untereinander, so weit Kunst dies überhaupt sein kann, menschenfreundlich. Dies ist durchaus nicht selbstverständlich. "Klarheit", "Transparenz", "Stille" oder "Licht und Bewegung, Schönheit, Reinheit und Freiheit des Alls" sind Prinzipien, mit denen die Strahlkraft dieser Kunstwerke von Sammlern wie Autoren beschrieben wird. Wie schnell dieses utopische Moment in Erstarrung umschlagen kann, ließe sich indes an manchen Bauten zeitgenössischer Architektur belegen. Der Gefahr serieller Sterilität wird von Beginn an entgegen gewirkt. In kleinen und großen Fluchten drängt das Bild aus seiner Begrenzung hinaus ins Offene. Dies lässt sich nicht nur an fantasievollen Titeln ablesen wie "Kleine Fata Morgana" von Mack oder "Auferstehung", einem monochromen Bild von Uecker, dessen Bildrahmen mit strahlenförmig nach außen strebenden Holzpflöcken besetzt ist, sodass der Eindruck einer Aureole entsteht. Neue Raumwirkungen und darüber hinaus auch neue Räume werden für die Kunst erschlossen: Fontana ritzt Schlitze in die Leinwand, Uecker setzt Nägel anstelle von Pinselstrichen. "Durch die Farbe verspüre ich die Empfindung der totalen Übereinstimmung mit dem Raum, ich bin wirklich frei", beschreibt Yves Klein das euphorische Moment des Aufbruchs. Die Kunst macht vor nichts halt: "Kunst für den Luftraum" entwirft Otto Piene, Himmel, Meer und Arktis werden den Künstlern zur Projektionsfläche. Von der Gruppe Zero, die bei steigender Anerkennung mit zunehmenden inneren Problemen zu kämpfen hatte und es doch fertigbrachte mit einem großen Fest unter dem Motto "Zero ist gut für Dich" ihr Ende zu verkünden, sind weitreichende Impulse ausgegangen. Einiges hat seine Fortsetzung gefunden in der Land-Art, vor allem aber hat sich die Ausstellungspraxis verändert: Der Betrachter wird in die Kunstsituation miteinbezogen. Das Sammlerpaar Lenz, das zu einem frühen Zeitpunkt Zero-Werke kaufte, hat einige Zero-Künstler konsequent begleitet und mit Künstlern wie Roman Opalka auch Impulse aus dem Osten in den 80er und 90er Jahren aufgegriffen. Programmatisch für die Sammlung ist die Entwicklung von Günther Uecker, dessen Arbeit von Beginn an begleitet wurde und der selbst als Freund der Familie eine wegweisende Ausstellung für die Bestände konzipierte. "Uecker nach Zero ist zur eigentlichen Leitfigur der Sammlung geworden", schreibt Dieter Honisch. Im Werk Ueckers, der nach 1989 ausgedehnte Reisen in den Osten unternahm, sei mit der Zeit eine Art "Abrüstungsvorgang" zu verzeichnen: Neben die harten Formen (Nägel, Metall) traten weichere (Stricke, Seile), schon früh kamen ökologische Themen hinzu wie der Protest gegen die Zerstörung der Erde oder die Klage über den Reaktorunfall in Tschernobyl. Relativiert hat sich so der Fortschrittsglaube, der zu Beginn von Zero stand, geblieben ist die Verbindung zwischen Sammler und Künstler. Man ist einen gemeinsamen Weg gegangen, den man vielleicht als das ökonomische Vokabular noch en vogue war, als "Win-Win"- Prinzip bezeichnet hätte, wenn es auch viel mehr ist. Gerhard Lenz hat das Verhältnis folgendermaßen formuliert: "Ich sehe mich als einen Verbündeten zu unseren Künstlern und identifiziere mich mit ihren Werken und sie haben mich in ihren Kreis aufgenommen.

    Epoche Zero. Sammlung Lenz Schönberg. Leben in Kunst,
    Hatje Cantz Verlag 2009, 2 Bd. 708 S., 773 Abbildungen, 98 Euro