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Gastfreundschaft
Über den Umgang mit anderen

Wer möchte nicht gern ein guter Gastgeber zu sein und ein gern gesehener Gast? Doch dieses Gefühl, das uns im privaten Leben vertraut ist, gewinnt in Zeiten der Globalisierung an Bedeutung. Wie begegnen wir Fremden: offen oder misstrauisch mit Abschottungstendenzen?

Von Eva-Maria Götz | 04.12.2014
    Eine kleines Glas Tee steht mit Würfelzucker auf einem Tisch.
    Gastlichkeit gehört zu den ältesten und wichtigsten kulturellen Leistungen (imago / Westend61)
    "Ich lade gern mir Gäste ein,
    man lebt bei mir recht fein.
    Man unterhält sich wie man mag,
    oft bis zum nächsten Tag."
    (Aus der Operette "Die Fledermaus" von Johann Strauss)
    "Ein Gast ist zunächst eine Person, die sich für eine bestimmte Zeit aufhält im Kreis von Personen, zu denen sie nicht gehört."
    "Zwar langweil ich mich stets dabei
    Was man auch treibt und spricht
    Indes was mir als Wirt steht frei
    Duld` ich bei Gästen nicht."
    "Wenn man philosophisch tiefer gräbt, dann gibt’s 'ne ganze Reihe von Autoren, die sagen, dass der Andere, dadurch, dass er ein Anderer ist, bereits einen Zuspruch von mir erwartet oder erwarten kann. Das heißt, bereits in der Kommunikation steckt so eine Spur oder ein Keim von Gastlichkeit. Ich kann mich nämlich verschließen, oder ich kann zuhören, ich kann mich öffnen.
    "Und sehe ich, es ennuyiert
    Sich jemand hier bei mir,
    So pack ich ihn ganz ungeniert,
    werf ihn hinaus zur Tür.
    Und fragen Sie, ich bitte,
    Warum ich das denn tu?
    `s ist mal bei mir so Sitte,
    Chacun à son gout."
    Ein so ungenierter Gastgeber wie der exaltierte Prinz Orlowsky in Johann Strauss' Operette "Die Fledermaus" möchte man in Mainz sicher nicht sein und als Gast kurzerhand zur Tür hinaus geworfen zu werden, das möchten weder die Zuhörer noch die Referenten, die sich aber sehr wohl mit den unterschiedlichen Sitten und Gebräuchen, die dem Konzept von Gastlichkeit zugrunde liegen, beschäftigen. Aus gutem Grund, wie Daniel Schmicking, Philosoph an der Johannes Gutenberg Universität und einer der Organisatoren der Vorlesungsreihe, meint:
    "Zum einen gibt’s den gewissen Druck, einfach durch die politischen und sozialen Entwicklungen, denen wir uns stellen müssen und insofern sollte das auch von wissenschaftlicher Seite her reflektiert werden und zum anderen ist Gastlichkeit auch ganz sicher für jeden auf privater Ebene etwas, was zum gelungenen Leben gehört und insofern eine Quelle für die Gestaltung des Lebens."
    Einen einheitlichen Umgang mit Gästen gibt es nicht
    Der europäische Begriff von Gastlichkeit stand am Anfang der Mainzer Betrachtungen. Und sehr schnell wurde deutlich: einen einheitlichen Umgang mit Gästen gibt es auf unserem Kontinent nicht, weder historisch noch kulturell.
    "Dieser Ethos, der ist transformiert worden. Menschen halten es sehr unterschiedlich, was sie damit verbinden mit Gastlichkeitund dann hat sich eben aus dem ursprünglichen Ethos eine Reihe von Regularien und Gesetzen entwickelt, die das uns abnehmen sollen."
    "Und wenn Sie nicht bezahlen, dann haben Sie auch keinen Anspruch darauf. Das ist eine Leistung und Gegenleistung und insofern eine ökonomisierte Gastlichkeit", meint auch Burkhard Liebsch, Professor für Philosophie an der Ruhr Universität Bochum. Für ihn ist der Begriff in Europa stark ökonomisiert, beispielsweise in der Tourismusbranche, die mit Gastlichkeit wirbt, aber eigentlich ein Geschäft meint, also eigentlich zutiefst ungastlich ist. Aber auch die private Gastlichkeit in unserer modernen Gesellschaft ist eine Art "Lebenskunst für Besserlebende" ohne weitere Verpflichtung, eine freiwillige Handlung für begrenzte Zeit. "Fühl dich wie Zuhause"- dieser Satz ist ebenso schnell gesagt wie zurückgenommen, wenn sich der Gast dann wirklich "wie Zuhause“ verhält und das dem Gastgeber nicht gefällt.
    Dass man sich in Europa und speziell in Deutschland überhaupt wieder mit Gastlichkeit beschäftigt und um ein gemeinsames Vorgehen beispielsweise in der Asylfrage ringt, hat für Burkhard Liebsch einen tieferen Grund: "Das, was mit dem Nationalsozialismus verbunden ist und der Herrschaft, die er über uns gehabt hat, über Europa, da kann man von einer Erfahrung der Ungastlichkeit sprechen in einem sehr sehr radikalen Sinne und das ist eine Provokation für das Nachdenken über Gastlichkeit heute. Vor allem im Hinblick auf die Frage, ob sie einen Widerstand markiert gegen das, was man gegen andere tun kann, was man mit ihnen tun kann."
    Eine Kultur ohne Gastlichkeit verliert ihre Dynamik
    Also gibt es zumindest den Versuch, ein gemeinsames europäisches Ethos zu formulieren. Aber sind die Flüchtlinge, die in Europa um Asyl bitten, überhaupt Gäste? Wurden sie denn eingeladen? Daniel Schmicking meint: Ja. Natürlich. "Auf rechtlicher Ebene gibt’s natürlich auch sowas wie 'ne Einladung, denn wir sagen natürlich, dass (wir )Menschen, die wirklich bestimmte Bedingungen erfüllen, aufgenommen werden sollen, also Asyl erhalten. Insofern gibt es immer sowas wie eine Einladung und auch wenn man diese Einladung gar nicht ausgesprochen hat."
    Und zu dieser Einladung, so Daniel Schmicking, sollte man stehen und sich nicht hinter Gesetzen und Regularien verstecken.
    "Es reicht eben nicht, dass wir nur irgendwelche Gesetze und Aufnahmeverfahren haben und Abschiebeverfahren und dann kommt es zu den weithin wahrgenommen Irritationen und Missständen in Flüchtlingsheimen und so weiter, also hier muss eine Bevölkerung auch eine menschliche Qualität mit hineingeben. Dahinter steht ja auch die Idee, dass eine Kultur ohne Gastlichkeit völlig monolithisch wird und ihre Dynamik verliert."
    Auch in China fragt man sich 40 Jahre nach der Wiederöffnung des Landes für ausländische Gäste, wie weit Gastfreundschaft reichen soll und darf.
    "Zum Beispiel wird in China auch grade diskutiert, ob ausländische- wie man in Deutschland sagt, 'Mitbürger' auch die Möglichkeit einer Einbürgerung haben könnten. Bisher ist das sehr schwierig. Aber in der Zwischenzeit leben und arbeiten in China immer mehr Menschen aus anderen Ländern. Das ist eine völlig neue Situation. Vor zehn Jahren, zwanzig Jahren konnte man sich nicht vorstellen, dass Menschen aus anderen Kulturen längerfristig in China leben wollen. Und das ist noch nicht so ein Problem wie in Europa, aber das kommt", sagt Professor Yong Liang, Sinologe an der Universität Trier. Im Gegensatz zu Europa gibt es in China eine Tradition von Gastlichkeit, die sich in mehr als 3.000 Jahren kaum verändert hat.
    Essen spielt eine wichtige Rolle
    Schon Konfuzius sah das Wesen einer gelungenen Regierung darin: "Wenn die eigene Bevölkerung zufrieden ist und die Gäste aus dem Ausland gerne kommen."
    "Gäste mit Essen und Trinken zu bewirten, das ist nach den Worten des Meisters auch Ausdruck der Mitmenschlichkeit. Das erklärt vielleicht auch, warum das Essen auch im heutigen China so eine große Rolle spielt."
    Der Umgang mit Fremden und die Rituale der Gastfreundschaft waren und sind in China stark reguliert. Dazu gehören nicht nur die traditionelle Bewirtung mit Essen und Getränken zu musikalischer Begleitung und das Verteilen von Geschenken. Ziel ist es, eine harmonische Beziehung zwischen Gast und Gastgeber herzustellen, zu der allerdings auch der Gast beitragen muss, von dem sittsames Betragen erwartet wird. Eine Einladung oder eine Aufforderung, bei Tisch zuzugreifen, sollte erst nach mindestens zweimaliger höflicher Ablehnung beim dritten Mal angenommen werden. Alles andere gälte als unfein, auch wenn sich in China die Folgen einer größeren Internationalität allmählich bemerkbar machen.
    "Also heute, zum Beispiel diese dreimalige Ablehnung eines Getränkangebots- also das muss nicht wirklich dreimal passieren, das könnte auch zweimal passieren oder gar nicht - aber der Gedanke ist immer noch präsent. Es gilt auch jetzt in der wissenschaftlichen Forschung zu überprüfen, ob eben, wenn die Formen sich verändert haben, die zugrundlegenden Vorstellungen auch sich verändert haben. Das muss man trennen. Manchmal ja die Formen kann man verändern, aber nicht die Wertvorstellungen, die da zugrunde liegen."
    Die Schriftzeichen für die beiden relevanten Begriffe für "Gast" haben sich in ihrer Grundstruktur kaum verändert, sie zeigen ein Haus, in dem ein stilisierter Mensch vor einer Schüssel Reis kniet.
    Bewirtet wird nach sozialem Status
    "Diese beiden Grundzeichen- das eine war 'Ke', das hat eine allgemeinere oder umfassendere Bedeutung, also was man hier unter dem deutschen Wort 'Gast' versteht. Und das andere Zeichen spricht man 'Bing', also steht eigentlich als Bezeichnung für einen ehrwürdigen, hohen Gast. Also wenn Statusunterschiede unter den Gästen sich feststellen lassen, dann muss das eben beachtet werden. Aber manchmal wird die Bezeichnung für einen ehrwürdigen hohen Gast auch benutzt den einfachen Gästen gegenüber. Dann gilt das als Ausdruck der Höflichkeit, um das Gegenüber sozusagen aufzuwerten."
    Denn auch das ist gleich geblieben: Gast ist in China nicht gleich Gast. Bewertet und besser bewirtet wird in erster Linie nach sozialem Status, aber auch nach Alter - der ältere Mann hat Anspruch auf mehr Respekt und bessere Behandlung - und nach Geschlecht - hier haben ältere Frauen eher das Nachsehen.
    "Gastlichkeit ist eine Institution, die sehr stark durch Tradition geprägt ist und Traditionen werden ihrer Natur nach in Religionen lebendig gehalten und insofern ist es sehr interessant zu erfahren, was Religionen dazu zu sagen haben", erklärt Daniel Schmicking von der Universität Mainz. Gastlichkeit in Bibel und Talmud werden innerhalb der Vorlesungsreihe eine ebenso wichtige Rolle spielen wie die Gastlichkeit im Islam. Für diesen Vortrag wurde der Islamwissenschaftler Peter Heine aus Berlin eingeladen, der die überbordende arabische Gastfreundschaft aus eigenem Erleben kennt.
    "Kaum dass man den Boden des Tellers sieht, schon wird er wieder vollgeladen. Man kann den Teller nicht leer essen, man kann ihn nur voll essen. Und irgendwann hört man auf und dann wird der Gastgeber sagen: Aber Sie haben ja gar nichts gegessen."
    Wenn der Gast kommt, kommt der Prophet
    Gastlichkeit wird in Gegenden mit islamischer Bevölkerung großgeschrieben. Wenn auch nicht ohne Hintergedanken - in religiöser Hinsicht.
    "Es gibt fast so etwas, wenn wir es unter dem religiösen Aspekt sehen, dass man sagt, wenn ein Gast kommt, dann kommt der Prophet, oder man sagt sogar, wenn ein Gast kommt, dann kommt Gott. Wenn man also einen Gast bewirtet, dann tut man eine gute Tat, die einem dann später auch vergolten wird"- als auch im alltäglichen Leben: "Die Frage, Prestige zu gewinnen, das ist ein ganz säkularer Vorgang sozusagen, politisches oder sonstiges Prestige zu gewinnen, gelingt am ehesten durch eine Großzügigkeit in der Gastfreundschaft."
    Das große Vorbild auch in der Gastfreundschaft, ist der Prophet Mohammed. Der hatte einen tönernen Topf, so schwer, dass ihn mehrere Männer tragen mussten. Jeden Morgen nach dem Gebet lud er die Gemeinde ein, mit ihm zu essen. Und je mehr Leute kamen, desto enger wurde der Platz um den Topf herum und wenn es gar zu eng wurde, kniete sich der Prophet hin und "dadurch wurde der Platz für noch weitere Gäste größer und das wird als ganz besonderes Zeichen seiner Gastlichkeit verstanden."
    An den Kalifenhöfen des Mittelalters konnte ein Gast drei Tage verweilen, er konnte übernachten, er bekam zu essen, zu trinken, dann erst wurde er gefragt, was er da überhaupt wolle. War es nichts Geschäftliches, wurde ihm dann allerdings deutlich gemacht, dass er nun rasch seines Weges ziehen solle.
    "In dieser Zeit galt das Kochen als eine sehr angesagte Tätigkeit. Kalifen kochten, Gelehrte kochten, und die trafen sich sozusagen zum Wettkochen, und derjenige, von dem man sagte, das hat am besten geschmeckt, der erhielt dann ein Geschenk."
    Ein Konzept, das immer wieder hinterfragt werden muss
    Wenn das Verhältnis zwischen Gastgeben und Gast in islamischen Ländern auch nicht ganz so hierarchisch strukturiert ist wie in China, so ist es doch auch kein unproblematisches und ein sehr streng reguliertes Verhältnis. Bis heute. Die Trennung zwischen Männer- und Frauenräumen besteht fort. Und nicht jeder Fremde wird als willkommener Gast willkommen geheißen, meint auch Prof. Peter Heine:
    "Wenn man ehrlich ist, muss man natürlich sagen, die Flüchtlinge, die durch Lybien oder die Türkei kamen, haben es alle außerordentlich schwer gehabt und Gastarbeiter in den Vereinigten Arabischen Emiraten werden eben auch nicht wie Gäste behandelt, sondern eher wie Sklaven, das ist ja bekannt."
    Gastlichkeit ist also nicht nur in Europa ein Konzept, das immer wieder neu überdacht und hinterfragt werden muss. Denn es steht dafür ein, wie offen und lebenswert eine Gesellschaft insgesamt ist.
    "Und fragt Ihr mich, ich bitte,
    warum ich das denn tu?
    S ´ist halt bei mir so Sitte
    Chacun à son gout
    S`ist mal bei mir so Sitte
    Chacun à son gout."