Der Schweinekonflikt

Von Jens Brüning · 15.06.2009
Am 15. Juni 1859 fiel auf der im amerikanischen Nordwesten gelegenen Insel San Juan ein Schuss: Der amerikanische Kartoffelbauer Lyman Cutlar hatte seine Waffe gegen einen Eber gerichtet. Dies war der Auslöser für militärische und diplomatische Verwicklungen, zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien.
Auf der Insel San Juan im äußersten Nordwesten der Vereinigten Staaten von Amerika, nördlich des 48. Breitengrades lebten 1859 unzählige Schafe, einige Schweine, außerdem Angehörige der britischen Hudson's Bay Company und 18 US-Siedler.

Am Morgen des 15. Juni 1859 erwachte der amerikanische Kartoffelbauer Lyman Cutlar an der Seite seiner indianischen Freundin und war beim ersten Blick aus dem Fenster höchst erregt. Er griff nach seinem Gewehr und schoss. Opfer war ein gewaltiger schwarzer Zuchteber, der sich an Cutlars Kartoffeln gütlich getan hatte. Jan Heine, Historiker am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin:

"In diesem toten Schwein symbolisierten sich sozusagen die Souveränitätsansprüche beider Seiten. Einmal der Hudson's Bay Company und andererseits aber eben auch der Amerikaner."

Denn das Schwein gehörte dem Iren Charles Griffin, der für die Hudson's Bay Company arbeitete. In der unübersichtlichen Küstenregion an der Nordwestküste war die Grenze nicht genau festgelegt.

"Man hat sich 1818 in dem Friedensvertrag, der verspätet erst den Krieg von 1812 beendete, auf eine gemeinsame militärische Okkupation dieses Oregon Country verständigt. Es kam dann aber erst 1846 wirklich dazu, im sogenannten Oregon Treaty, wo man sich auf die Grenze des 49. Breitengrades als Grenze verständigte."

Der verläuft allerdings weit nördlich von San Juan. Eine ausgesprochen diffuse Situation also. Nach dem Tod des Zuchtebers gab es stark voneinander abweichende Vorstellungen über den Wert des Tiers. Cutlar sollte sogar ins Gefängnis. Die amerikanischen Siedler baten den Chef des Bezirks Oregon, William Harney, um Hilfe. Der war stets zu einem Streit mit den Briten aufgelegt und entsandte 66 Soldaten nach San Juan. Daraufhin alarmierte der britische Gouverneur den zuständigen Marinebefehlshaber. Alsbald lagen drei Kriegsschiffe mit über 2000 Soldaten vor San Juan. Im fernen Washington war man entsetzt.

"Als Präsident Buchanan von den Aktionen zunächst aus der Zeitung erfährt, versucht Washington, General Harney zurückzupfeifen."

Man hatte wahrlich andere Probleme: Der Sezessionskrieg zwischen den Nord- und Südstaaten der USA stand bevor. Da wäre ein Scharmützel an der Nordgrenze verheerend gewesen.

"Das Gute an der Sache ist aber dann im Grunde genommen gewesen, dass der vorgesetzte britische Admiral, Konteradmiral Robert L. Baynes, klar gesagt hat, er wäre nicht bereit, dass zwei große Nationen Krieg führen würden über einen Schweinekonflikt."

Auch die amerikanische Regierung fand es überflüssig, wegen einer kleinen Insel einen Krieg anzuzetteln. Nach zehn Jahren ungeklärter Verhältnisse auf San Juan wurde schließlich der Preußenkönig Wilhelm als Vermittler angerufen. Seit 1867 war George Bancroft, Historiker und Diplomat, US-Botschafter in Berlin. Er hatte in den Verhandlungen zwischen den USA und Großbritannien zum Oregon Treaty für einen Zuschlag der Insel San Juan an die USA plädiert. Bancroft war gut vernetzt mit deutschen Historiker- und Politikerkreisen. Als Kaiser Wilhelm I. 1871 als Vermittler angerufen wurde, schuf er eine Kommission, der drei deutsche Professoren angehörten. Jan Heine:

"Die verstehen sich hervorragend mit dem Intellektuellen und Gelehrten George Bancroft. Der bereitet also wirklich aufgrund seiner Kenntnisse schon aus der Zeit des Oregon Treaty den amerikanischen Case vor, und die deutsche Kommission übernimmt mehr oder weniger die Empfehlung Bancrofts - und es führt dann eben dazu, dass San Juan tatsächlich im Endeffekt amerikanischem Hoheitsgebiet zugeschlagen wird."

Auf San Juan gibt es heute ein Museum, in dem an diesen "Schweinekonflikt" erinnert wird. Lyman Cutlar war bald nach dem Zwischenfall mit dem Zuchteber auf das amerikanische Festland umgezogen. Er starb im April 1874. Sein Gewehr, die Tatwaffe, erzielte postum bei einer Versteigerung 14 Dollar.