Dienstag, 30. April 2024

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Bayern will Strafvollzug in Länderhand

Bayerns Justizministerin Beate Merk will den Strafvollzug im Rahmen der Föderalismusreform komplett in die Verantwortung der Länder geben. Die Ausführung und Finanzierung des Vollzugs hätten die Länder schon seit langem inne. Es sei daher nur logisch, wenn die Länder auch die Gesetzgebungskompetenz bekämen. An der Vollzugs- und Resozialisierungspraxis werde sich nichts ändern.

Moderation: Klaus Remme | 17.05.2006
    Klaus Remme: Bundestag und Bundesrat setzen heute in Berlin ihre Mammutanhörung zur Föderalismusreform fort. Ein Streitpunkt ist das Thema Justiz - das steht heute an - und dort der Strafvollzug. Kompetenzen sollen verlagert werden vom Bund auf die Länder und da rufen die Kritiker, es droht eine Zersplitterung des Strafvollzugs und eine Konkurrenz um den billigsten oder aber gar den härtesten Strafvollzug. Hintergrund der Diskussion ist auch die Frage um das inhaltliche Ziel des Strafvollzugs. Seit über 30 Jahren ist es festgeschrieben, die Vorrangigkeit der Resozialisierung, und insbesondere einige Stimmen aus der Union rütteln an dieser Hierarchie der Ziele. Beate Merk ist Justizministerin in Bayern. Sie ist von der CSU. Sie sitzt in diesen Minuten im Flugzeug von München nach Berlin und deswegen haben wir das Gespräch vor einer halben Stunde aufgezeichnet. Meine erste Frage an sie: Bedeuten zusätzliche Kompetenzen für die Länder und damit neue Gestaltungsräume nicht zwangsläufig eine Zerfaserung des Vollzugs?

    Beate Merk: Ich sehe das nicht so, denn diese Kompetenzen beziehen sich nur auf die Gesetzgebung. Die Ausführung, den Vollzug selbst, den haben die Länder schon seit langem inne und sie finanzieren ihn auch zur Gänze. Also ist es nur die logische Folge, dass man dann auch die Gesetzgebungskompetenz hinzu bekommt. Wir haben die entsprechende Organisation. Jedes Landesministerium hat eine entsprechende Vollzugsabteilung. Das heißt also, dass nun die Gesetze teilweise auch dem angepasst werden, was wir aus unserer fachlichen Erfahrung inzwischen benötigen.

    Remme: Frau Merk, das erste was sich ändern würde wäre, die Sicherheit der Bevölkerung vor gefährlichen Straftätern als vorrangiges Vollzugsziel im Gesetz zu verankern. Das hat der damalige Hamburger Justizsenator Kusch noch im Januar gesagt. Das sagt doch viel über die potenziellen Möglichkeiten der neuen Regelung?

    Merk: Nun möchte ich sagen, dass natürlich Sicherheit ein wesentlicher Aspekt ist, aber Sicherheit geht immer auch mit Resozialisierung einher. Ich würde deswegen niemals von einem vorrangigen Ziel allein der Sicherheit sprechen, sondern die Resozialisierung immer mit dabei haben. Denn ein resozialisierter Täter, ein Täter, der nicht mehr straffällig wird, ist ja nun mal das Beste für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger und das entspricht auch den Interessen derjenigen, die hinter Gittern sind.

    Remme: Aber seit fast 30 Jahren ist das vorrangige Ziel der Resozialisierung gesetzlich festgeschrieben. Wollen Sie dieses Ziel zu Gunsten des Strafcharakters oder dem Schutz des Bürgers in irgendeiner Weise relativieren?

    Merk: Überhaupt nicht! Das Ziel ist, dass wir die Täter, die im Vollzug sind, tatsächlich darauf vorbereiten, ein Leben in Freiheit ohne Straftaten zu begehen, und gleichzeitig den Schutz der Bevölkerung zu erreichen. Ich denke dieses Ziel gilt sowohl für den Erwachsenenvollzug als auch für den Jugendvollzug. Daran wird nichts geändert. Was wir wollen sind Standards und Qualitäten anheben. Wir wollen das Gesetz pragmatischer machen. Wir wollen bessere Möglichkeiten der Sozialtherapie für Häftlinge haben, die sie dringend brauchen. Ich denke da können wir aus unserem Erfahrungsschatz voll und ganz schöpfen.

    Remme: Frau Merk, wie wollen Sie verhindern, dass sich in den einzelnen Ländern durch den Druck knapper Kassen eine Art Wettbewerb um den billigsten Knast einstellt?

    Merk: Ich denke, dass ein gewisses Ranking immer da ist. Im Moment sind wir diejenigen, die die günstigsten Haftkosten haben, und wir beweisen gerade, dass Sparsamkeit nicht bedeuten muss, dass die Qualität in irgendeinem Maße darunter leidet. Ganz im Gegenteil! Wir haben Sozialtherapieplätze, wir haben die entsprechenden Therapieplätze für Gewalttäter, für Sexualstraftäter. Wir intensivieren momentan alles, was Therapien für den Jugendstrafvollzug angeht, und das spricht ja nun weiß Gott nicht dafür, dass wir die Qualität unserer Standards herunterschrauben, sondern ich muss sagen – und da kann ich auch andere Länder mit ins Boot nehmen -, wir haben genau das Gegenteil gemacht. Wir sind nach vorne gegangen und wir haben gesagt, ein qualitätvoller Strafvollzug wird immer auch dafür dann Gewähr bieten, dass wir möglichst wenig Rückfälle haben, und das hat sich auch so bewahrheitet.

    Remme: Aber gerade wenn Sie das Wort Ranking sagen, dann steht das doch im Widerspruch zur angestrebten Chancengleichheit für Strafgefangene?

    Merk: Das verstehe ich nicht.

    Remme: Wenn Sie von Ranking sprechen, dann bestätigen Sie ja damit unterschiedliche Verhältnisse in verschiedenen Ländern. Das kann ja der Chancengleichheit nicht dienen.

    Merk: Wir haben es so, dass wir die Grundprinzipien, die Fundamente des Strafvollzugs inzwischen festgeschrieben haben durch ganz klare Entscheidungen zum Beispiel des Bundesverfassungsgerichts. Dass dazwischen natürlich auch die Möglichkeiten von Spielräumen sind, die die Länder auszufüllen haben, das war immer so und das wird sich nicht durch die Gesetzgebungskompetenz jetzt ändern, sondern ich denke eher, dass wir hier noch ein Mehr erreichen können und dass gerade auch die Tatsache, dass jedes Land genau weiß, eine gute Resozialisierung, eine zielgerichtete Behandlung von Häftlingen, die ihnen zugute kommt, aber die auch der Bevölkerung zugute kommt, ist die beste Basis für einen Erfolg.

    Remme: Frau Merk, nehmen wir an, es kommt zu Ausbrüchen mit all ihren medialen Begleiterscheinungen, die das dann mit sich bringt. Die Versuchung von Politikern, mit einer spektakulären Verschärfung des Vollzugs zu reagieren, ist ja groß. Darf oder soll der Vollzug als Teil von Kriminalitätsbekämpfung eingesetzt werden?

    Merk: Nein und ich sehe auch hier gar nicht die Gefahr, die Sie jetzt angesprochen haben, denn es geht darum, dass wir unsere Justizvollzugsanstalten weiter entsprechend sicher machen, dass auf technischer Basis das erfolgt, aber dass wir eben auch in einem ganz intensiven Kontakt mit unseren Bediensteten sind. Das wiederum kommt den Häftlingen zugute. Ich würde also niemals davon ausgehen, dass jetzt allein durch einen Ausbruch der Strafvollzug geändert wird. Das ist kein Reflex, wie man ihn zum Beispiel manchmal sehen muss, wenn man Straftaten sieht, daraus Lücken schließt oder erkennt und dann sagt, diese Lücken müssen geschlossen werden. Ich denke wir wissen ganz genau, wie wir einen sicheren Strafvollzug durchsetzen können und durchführen können. Das tun wir seit Jahren. Da haben wir eine Erfahrung und da sehe ich überhaupt keine Problematik.

    Remme: Wie verträgt sich denn die Eigengestaltung auf Länderebene, also die Verlagerung der Kompetenzen von oben nach unten, mit den parallel verlaufenden Bemühungen um eine EU-weite Harmonisierung des Vollzugs?

    Merk: Ich denke, dass wir innere Sicherheit in den Ländern ja sowieso schon haben. Sie müssen ja nur mal die Polizei anschauen. Auch die Organisation der Polizei, die Gesetzgebung für Polizeiaktivitäten liegt bei den Ländern und dort ist sie immer gut behandelt worden. Da haben wir keine Probleme und da hat nie jemand daran gerüttelt und gedeutelt, sondern es war völlig klar, dass auch aufgrund des Konnexitätsprinzips derjenige, der die Finanzierung einer Aufgabe hat, für sie auch die entsprechende Kompetenz übernimmt.

    Remme: Die Liste der Kritiker ist lang, Frau Merk, und reicht vom deutschen Richterbund, dem deutschen Anwaltsverein, der Vereinigung der Anstaltsleiter bis zu mehr als 100 Rechtsprofessoren und Justizministern. Gibt Ihnen das nicht zu denken?

    Merk: Ich habe mich natürlich ganz intensiv auch mit diesen Meinungen auseinandergesetzt und ich muss sagen, dass sie mich deshalb nicht zu überzeugen vermögen, weil mir einfach die Argumente fehlen. Ich selbst lebe jeden Tag mit dem Strafvollzug und wenn ich das dann lesen muss, dass es unter Umständen eben nur darauf ankommt, dass ein Kritiker sagt, ich könnte mir vorstellen, ich befürchte oder ich hätte das Gefühl, dann reicht mir das nicht aus. Ich denke wir sollten uns mit 30 Jahren Strafvollzug in den Ländern befassen. Wir sollten uns mit den Erfahrungen befassen, die die Länder gewonnen haben, und mit den Erfolgen, die die Länder erzielen.