Tugce-Prozess

Respektvolles Urteil

Mehrere tausend Menschen trauerten vor dem Klinikum in Offenbach am Main.
Tugce Albayrak verstorben: Mehrere tausend Menschen trauerten vor dem Klinikum in Offenbach am Main. © dpa / picture alliance / Boris Roessler
Von Ludger Fittkau · 16.06.2015
Zivilcourage erfordert immer Mut. Diesen Mut hat Tugce Albayrak bewiesen. Der Prozess gegen Sanel M., der sie tödlich verletzt hat, habe das gezeigt, meint Ludger Fittkau. Das nun ergangene Urteil über drei Jahre Haft sei respektvoll - für beide Seiten.
Drei Jahre Haft für den 18 Jahre alten Sanel M. - ein kluges Urteil des Darmstädter Landgerichts. Es macht deutlich: Was in der verhängnisvollen November-Nacht im Schnellrestaurant in Offenbach geschah, ist durch nichts zu entschuldigen. Der Schlag ins Gesicht, den Sanel M. gegen die nur vier Jahre ältere Tugce Albayrak ausführte, hatte tödliche Folgen. Deswegen muss der Täter zu recht ins Gefängnis.
Respektvoll ist das Urteil im Tugce-Prozess für beide Seiten. Für die Angehörigen des Opfers, die es nicht ertragen hätten, wenn Sanel M. mit einer Bewährungsstrafe davongekommen wäre. Für die Familie von Tugce Albayrak ist auch die jetzt verhängte Strafe noch nicht hoch genug. Doch respektvoll urteilte das Darmstädter Gericht auch gegenüber dem Täter. Es nahm ihm ab, dass er Tugce nicht totschlagen wollte.
Gefängnisse machen Menschen nicht per se besser. Im Gegenteil. Oft werden dort kriminelle Karrieren verfestigt. Für Sanel M. bietet aber das Gefängnis jetzt eine echte Chance zur Aufarbeitung seines jungen und bisher ziemlich missglückten Lebens. Mit der Tatsache, dass ein Mensch an den Folgen seines Schlages starb, wird er immer leben müssen.
Tugce griff ein, als zwei 13 Jahre alte Mädchen belästigt wurden
Dieser Mensch – Tugce Albayrak – war kein Übermensch, kein göttergleiches Wesen, das über den Wassern schwebte. Tugce, das zeigte der Prozess, bietet nicht so recht Stoff für Mythenbildung. Sie war eine selbstbewusste junge Frau, die gerne feierte, auch Alkohol nicht verschmähte. Die sich auch mit Schimpfwörtern zu wehren wusste, wenn sie von Männer-Anmache genervt war. Auch das machte der Prozess deutlich. Doch bestätigt wurde auch: Tugce hat tatsächlich auf dem Toilettentrakt des Offenbacher Restaurants beherzt eingegriffen, als zwei erst 13 Jahre alte Mädchen von der Männergruppe um Sanel M. belästigt wurden.
Denkbar, dass ihr Tod hätte vermieden werden können, wenn Tugce und ihre Freundinnen das Gelände des Schnellrestaurants nach dem ersten Streit verlassen hätten. Wenn dadurch spätere, offenbar heftige Wortwechsel mit der Gruppe um den Täter vermieden worden wären, die die Lage schließlich eskalieren ließen. Hätte, wäre, wenn…
Es nützt nichts mehr. Tugce ist tot. Sanel M. lebt. Er lebt aber mit der größtmöglichen Bürde, die man sich denken kann. Auch wenn Tugce Albayrak keine Heilige war, verdient sie, nicht vergessen zu werden. Ein Vorbild in Sachen Zivilcourage bleibt sie allemal.
Denn Zivilcourage, das wissen wie auch von anderen vergleichbaren Fällen, ist nicht risikolos. Wer sich einmischt, gerade wenn es um handfeste körperliche Übergriffe geht, macht sich selbst angreifbar. Deswegen gibt es die Appelle von Fachleuten, nicht kopflos zu handeln. Auch die eigene Gesundheit und Sicherheit nicht zu vergessen.
Doch wie man es auch dreht und wendet: Zivilcourage erfordert immer auch Mut. Diesen Mut hat Tugce Albayrak bewiesen, dass hat der Prozess gegen denjenigen gezeigt, der sie tödlich verletzt hat. Das wird man zumindest in Tugces hessischer Heimat nie vergessen. Richtig so.
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