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Deutsches WM-Quartier
Dokumente für gültige Umweltlizenz erst nach DLF-Recherchen

In drei Wochen beginnt in Brasilien die Fußball-Weltmeisterschaft. Am Quartier der Nationalelf im Bundesstaat Bahia wird noch immer gearbeitet – allerdings ohne gültige Umweltgenehmigung, wie der Deutschlandfunk exklusiv erfahren hat. Erst nach unseren Recherchen sind am Donnerstag wichtige Dokumente nachgereicht worden.

Von Carsten Upadek | 24.05.2014
    Das noch im Bau befindliche deutsche WM-Quartier im brasilianischen Bundesstaat Bahi.
    Blick durch die Zufahrt für die Arbeiter auf die Baustelle Campo Bahia. Das "WM-Quartier" ist Anfang Mai noch eine Baustelle. (DLF / Carsten Upadek)
    Das Quartier und das Trainingszentrum der deutschen Nationalmannschaft in Brasilien sind bisher ohne gültige Umweltgenehmigung gebaut worden. Das geht aus Unterlagen hervor, die am 20. Mai bei einem internen Treffen von regionalem Umweltamt, Politikern und Anwohnern vorgelegt wurden. Im Süden des Bundesstaates Bahia, im Örtchen Santo André, bauen deutsche Investoren ein Ressort mit 14 zweigeschossigen Wohnhäusern, Lounge, offener Küche und Pool: das WM-Quartier "Campo Bahia".
    Der Ort liegt für den Deutschen Fußballbund ideal und hat auch noch andere Vorzüge, sagt der Bauherr Tobias Junge: "Es ist eine unglaublich schöne Küste mit Atlantischem Regenwald. Man sagt ja auch, Santo André ist ein Paradies."
    Das Projekt war eigentlich als Wohn-Siedlung gedacht. Die Genehmigung dafür erteilte die zuständige Verwaltung der Stadt Santa Cruz Cabrália im Jahr 2011. Mehr als ein Jahr später wurde erst klar, dass hier die deutsche Nationalmannschaft ihr Quartier aufschlagen würde. Umweltamtschefin Mariléia Monteiro bestätigte dem Deutschlandfunk am 21. Mai am Telefon, dass dafür der Bauplan verändert wurde. Und sie bestätigte, dass diese Veränderungen nicht genehmigt gewesen seien.
    "For Sale, zum Verkauf direkt vom Eigentümer" steht auf einem blauen Schild in Santo Andre, auf dem in bestem Deutsch ein Grundstück am Strand angeboten wird.
    Ein Schild in Santo André, auf dem in bestem Deutsch ein Grundstück am Strand angeboten wird. (DLF / Carsten Upadek)
    An dem besagten Treffen einen Tag zuvor war auch Léa Penteado zugegen. Sie ist eine Vertreterin der Anwohner von Santo André. "Das Umweltamt hat zwar eine Lizenz erteilt, aber die ist ausgelaufen. Das ist, als wenn Sie Auto fahren mit abgelaufenem Führerschein", erläutert sie. Die Folge für das Bauprojekt Campo Bahia wäre normalerweise ein Baustopp gewesen. Doch den verhängte die Stadtverwaltung von Santa Cruz Cabrália nicht - nach Informationen des Deutschlandfunks hat sie die fehlende Umweltlizenz ignoriert, weil ihr der Werbeeffekt durch die deutsche Nationalmannschaft wichtiger war. Die Chefin des Umweltamtes, Mariléia Monteiro, ist auf einmal für Nachfragen nicht mehr zu erreichen.
    Den Vorwürfen widerspricht Bauleiter Tobias Junge am Telefon: "Das kann ich so nicht bestätigen. Wir haben alle Genehmigungen. Wir haben alle Anträge rechtzeitig protokolliert. Das ist nicht richtig." Und man habe ein blendendes Verhältnis zum Umweltamt. Das wird nun aber durch einen Streit um Geld getrübt.
    WM-Quartier mitten im Umweltschutzgebiet
    Der Strand vor dem deutschen WM-Quartier in Brasiliens Bundesstaat Bahia.
    An diesem Strand vor dem WM-Quartier legen Schildkröten Jahr für Jahr ihre Eier ab. Nicht nur deshalb ist es ein Umweltschutzgebiet. (DLF / Carsten Upadek)
    WM-Quartier und Trainingszentrum befinden sich im Umweltschutzgebiet "Santo Antônio". Das erstreckt sich an der Atlantikküste im Süden von Bahia zwischen zwei Flussmündungen. Die Region lässt sich nur per Fähre erreichen. Jedes Jahr landen Schildkröten am Sandstrand, um ihre Eier zu legen. Es gibt Sümpfe, Auen, Mangroven und Riffe. Doch das Ökosystem ist fragil. Deshalb müssen laut Gesetz für jede Baumaßnahme bis zu 0,5 Prozent der Investitionssumme in Ausgleichsmaßnahmen investiert werden.
    Den Anwohnern wurden bei der Unterredung am 20. Mai Tabellen gezeigt, die den Gesamtwert der Baumaßnahmen mit umgerechnet 3,6 Millionen Euro angeben. Sie seien empört aufgesprungen, berichtet Léa Penteado. "Bei der Größe der Maßnahmen kann die Investition nicht so gering sein. Zumal ich in deutschen Medien von elf Millionen Euro gelesen habe."
    Die Investoren sind Tobias Junges Jugendfreund Kay Bakemeier, ein Allianz-Vertreter, und der Münchner Geschäftsmann Christian Hirmer. Anfang Mai hatte der Deutschlandfunk exklusiv berichtet, dass sie in das Projekt elf Millionen Euro investieren. Auch das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hatte Christian Hirmer Ende März mit "Millionenbetrag im unteren zweistelligen Euro-Bereich" zitiert.
    Anwohner fordern mehr finanziellen Ausgleich
    Für die Genehmigung zu Beginn der Bauarbeiten kauften die Investoren der Gemeinde einen Krankenwagen. Wert: knapp 19.000 Euro. Viel zu wenig, finden die Anwohner. Bauleiter Tobias Junge sieht das anders: "Das ist unser Beitrag der Kompensation. Damit haben wir unseren Teil getan. Jetzt geht es nur noch um einen kleinen Restbetrag."
    Für diesen "Restbetrag" waren am 22. Mai eigens Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft in Santo André. Drei Stunden untersuchten die Fachleute alle drei Grundstücke der Investoren, um zu errechnen, wie viel die Maßnahmen etwa gekostet haben. Von der Gesamtinvestition errechnet sich der finanzielle Ausgleich für die Umwelt.
    "Ein Routine-Besuch", so nennt Tobias Junge das. Dabei könnten die Deutschen 30.000 Euro zu wenig gezahlt haben. Im Dorf gehören ihnen eine ehemalige Luxus-Herberge am Strand sowie der Komplex Campo Bahia, wo die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw wohnen wird. Außerdem bauen sie das Trainingszentrum etwas außerhalb. Laut der Unterlagen stimmen auch hier Bauplan und Umsetzung nicht überein. Genehmigt wurde ein Fußballplatz in Ost-West-Ausrichtung - der jetzige Platz ist von Norden nach Süden ausgerichtet.
    Tische und Stühle stehen auf eine Veranda unter Bäumen und mit Blick auf den Strand und das Meer.
    Mitten im Idyll gelegen: Das deutsche WM-Quartier im brasilianischen Bundesstaat Bahia. (DLF / Carsten Upadek)
    Doch über solche Details streiten Stadt und Investoren nicht. Es geht schließlich um das schöne Bild vom Paradies - mit oder ohne Umweltlizenz. Nach den Recherchen des Deutschlandfunks hat Bauleiter Junge am 22. Mai schnell die fehlenden Dokumente an eine Mitarbeiterin von Umweltamtschefin Mariléia Monteiro übergeben. Mehrere Zeugen haben das bestätigt. Eine Umweltlizenz nach Abschluss der Bauarbeiten ist zwar juristisch mindestens fragwürdig - nun nur noch Formsache.