Dienstag, 30. April 2024

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Vojvodina in Serbien (3/5)
Belgrads langer Arm reicht bis Novi Sad

Die Provinz im Norden Serbiens war autonom. Dann zerfiel Jugoslawien, Belgrad zog alle Macht an sich. Inzwischen ist der Autonomiestatus zurück, aber nicht alle Rechte. Belgrad diktiert das Geschehen in Novi Sad, das sich nicht Hauptstadt nennen darf.

Von Leila Knüppel | 19.12.2018
    Außenansicht des Parlaments in Novi Sad in der serbischen Provinz Vojvodina
    Weitgehend machtlos: das vojvodinische Parlament in Novi Sad (Deutschlandradio / Leila Knüppel)
    Drago Njegovan führt durch die leeren Räume: Alles ist frisch gestrichen, Lampen installiert. Nur die Ausstellungsstücke fehlen noch, im neuen "Museum der Einheit" in Novi Sad.
    "Vor hundert Jahren, nach dem Ersten Weltkrieg haben Serben und andere slowenische Leute bei der Nationalversammlung der Vojvodina entschieden, dass sie sich dem Rest Serbiens anschließen wollen. Es gab neben nationalen Gründen auch demokratische."
    Zuvor gehörte die Region zum Österreich-Ungarischen Reich, das im Ersten Weltkrieg Teil der Mittelmächte war – und gegen Serbien in den Krieg zog.
    "Auch die serbische Bevölkerung hier in der Vojvodina wurde mobilisiert, um gegen Serbien in den Krieg zu ziehen. Aber sie wollten nicht gegen Serbien oder Russland kämpfen. Also entschieden sie sich, für Serbien, gegen Österreich-Ungarn zu kämpfen. Auch wenn sie dafür Strafen fürchten mussten."
    Nun soll das Jubiläum groß gefeiert werden, hier in Novi Sad, in der Vojvodina. Njegovan zeigt auf Flaggen, die aufgehängt werden. Serbiens Präsident Aleksandr Vucic wird kommen – und alle anderen wichtigen Leute.
    Njegovan führt mich ins Archiv, wo schon einige Ausstellungsstücke lagern.
    Streit um das vojvodinische und serbische Geschichtsbild
    In dem kleinen Raum liegen alte Waffen, Flaggen der damaligen Divisionen, die Glocke, mit der während der Vojvodinischen Nationalversammlung zur Ordnung gerufen wurde.
    "Dieser Teil unserer Geschichte wurde nach dem Zweiten Weltkrieg, zu Zeiten des sozialistischen Jugoslawiens immer stiefmütterlich behandelt."
    Für ihn war der Anschluss der Vojvodina an Serbien ganz klar: ein Glück. Das Museum kein Zeichen für serbischen Nationalstolz, sondern die Möglichkeit, ein lange unerwähntes Kapitel der vojvodinischen und serbischen Geschichte angemessen zu präsentieren.
    "Für 1918 und das Ergebnis des Ersten Weltkriegs müssen wir uns nicht entschuldigen. Und ich hoffe sehr, dass die Kinder heute etwas über diese Zeit lernen."
    Ölgemälde im Museum der Einheit in Novi Sad
    Extra für das neue Museum der Einheit in Novi Sad angefertigt: Ölgemälde von den Mitgliedern der vojvodinischen Nationalversammlung 1918 (Deutschlandradio / Leila Knüppel)
    Dusko Radosavljevic sieht das ganz anders.
    "Das ist ein neu konstruiertes Geschichtsbild."
    Meine serbische Kollegin, Vanja Djuric und ich treffen den Politikprofessor und ehemaligen Vize-Präsidenten der Vojvodina einige hundert Meter entfernt vom "Museum der Einheit", an einem Bauzaun.
    Früher war hier ein kleiner, unpolitischer Rasenhügel. Nun soll hier ein Denkmal für Peter I. entstehen: der herrschte, als die Vojvodina sich Serbien anschloss. Ein weiteres Monument, um die "Einheit" zu feiern.
    "Es ist, als würde eine ganz neue Tradition in Novi Sad, in der Vojvodina, in Serbien erschaffen, als wolle die Regierung alles genau anders machen, als zu kommunistischen Zeiten, aber sie wissen nicht, wann es genug ist."
    An seinem Jackett trägt er eine kleine Anstecknadel mit drei Sternen: das Symbol der autonomen Provinz Vojvodina. Aber die gebe es eigentlich längst nicht mehr, wettert Radosaljevic weiter.
    "Politiker in der Vojvodina haben keine eigene Meinung. Ihre Meinung wird von Belgrad diktiert. Und die Politiker in Belgrad haben kein Gespür für unsere multikulturelle Gesellschaft in der Vojvodina. Weil Belgrad die Vojvodina nicht als multikulturelle Gesellschaft akzeptieren kann. Für sie ist das ein reines Steuer-Gebiet, eine Finanz-Einheit. Alles andere ist für sie inakzeptabel."
    Seit 2016 die "Progressive Partei" von Serbiens Präsident Vucic auch im vojvodinischen Parlament hier in Novi Sad die Mehrheit hat, werde über Autonomierechte nicht mehr diskutiert. Und auch sonst gibt es kaum mehr öffentliche Debatten, meint Radosaljevic.
    Vanja – meine Kollegin – nickt nur. Vor zwei Jahren hat sie noch beim öffentlich-rechtlichen Sender Radio Television Vojvodina gearbeitet.
    "Ich war Gerichtsberichterstatterin für Kriegsverbrechen, habe sogar einen Preis bekommen, den Europäischen Reporterpreis. – Und die TV-Show, die ich für Radio Television Vojvodina, gemacht habe, hat sich mit dem Massaker von Srebrenica beschäftigt."
    Kurz nach den Wahlen, nachdem die "Progressive Partei" in der Vojvodina an die Macht kam, wurde über Nacht die Chefredaktion ausgewechselt und etlichen Journalisten am nächsten Morgen mitgeteilt, dass es für sie keine Verwendung mehr gebe. Auch Vanja.
    "Und die Leute, die nach 2016 dann beim Sender in Führungspositionen waren, haben gesagt: Solche Geschichten wollen wir nicht, verschwinde."
    Am nächsten Tag bin ich zum Interview mit dem Präsidenten der Vojvodina im Parlamentsgebäude verabredet.
    Für Präsident Mirović läuft alles bestens
    Zum Gespräch werden vorher die Flaggen zurechtgerückt, ein Fotograf macht Bilder von mir, wie ich an dem großen holzgetäfelten Tisch sitze.
    Da ruft der Assistent: Der Präsident kommt! Fotograf, Übersetzerin und die Pressesprecherin stehen auf, warten schweigend.
    Viel Pomp, wenig Kompetenzen. Aber Präsident Igor Mirović scheint damit ganz zufrieden zu sein.
    "Ich bin strikt gegen ein Modell, das gerichtliche und rechtliche Macht beinhaltet. Das würde bedeuten, dass wir Elemente eines Staates haben. Und die Mehrheit in der Vojvodina möchte nicht, dass wir ein Staat sind."
    Auch um die Pressefreiheit scheint er sich wenig Sorgen zu machen. – Ob es sich denn um einen reinen Zufall handele, dass der Chefredakteur des öffentlich-rechtlichen Senders kurz nach der Wahl seiner Partei ausgewechselt wurde? – Nein, nein ….
    "Das ist kein Zufall. Das Management von "Radio Television Vojvodina" hat einfach entschieden, jemand anderen zu ernennen, gemäß der gesetzlich vorgesehenen Verfahren. Und warum glaubt jemand, er müsste für immer Chefredakteur bleiben?!"
    Alles scheint aus seiner Sicht bestens zu laufen.
    Vielleicht trägt er deswegen ganz gerne mal selbst geschriebene Gedichte vorm Parlament vor?
    "Ich rezitiere Gedichte, aber ich schreibe auch Gedichte. Das liegt eher in meiner Natur."