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"Mursi wird sehr genau wissen, was er sich hier anhören muss"

Mohammed Mursi gehe es bei seinem Deutschlandbesuch vor allem um wirtschaftliche Hilfe für sein Land, sagt der ehemalige Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kairo, Andreas Jacobs. Die Bundesregierung könne nun deutlich machen, dass Hilfen nicht ohne Bedingungen kommen.

Andreas Jacobs im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 30.01.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Obwohl die Lage in seinem Heimatland weiter außer Kontrolle zu geraten droht, der ägyptische Präsident Mursi hat keinen Anlass gesehen, seine Deutschlandreise zu verschieben oder ganz abzusagen. Er hat seinen Besuch allerdings auf wenige Stunden verkürzt, und dafür gibt es auch allen Grund. Mindestens 53 Menschen sind nach Angaben der Vereinten Nationen bei den jüngsten Unruhen ums Leben gekommen. Über mehrere Städte hat Mursi den Ausnahmezustand verhängt. – Am Telefon begrüße ich dazu Andreas Jacobs von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, er ist dort Koordinator für Religionspolitik und ehemals Leiter des Büros in Kairo. Schönen guten Morgen, Herr Jacobs.

    Andreas Jacobs: Ja guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Trotz der Lage reist Mursi also nach Deutschland. Unterschätzt er die Lage im Land?

    Jacobs: Das glaube ich nicht. Aber er zeigt, wie wichtig ihm jetzt dieser Besuch in Deutschland ist, weil er damit einerseits Punkte in der innenpolitischen Auseinandersetzung machen kann und andererseits, ganz wichtig, geht es ihm um wirtschaftliche Hilfen, um Investitionen im Land, und er zeigt eindeutig, wo er die Prioritäten setzt.

    Heckmann: Welche Bedeutung hat denn eine solche wirtschaftliche Unterstützung?

    Jacobs: Na ja, sie ist sehr wichtig. Deutschland ist der drittwichtigste Handelspartner Ägyptens. Der Tourismus spielt eine sehr große Rolle. Und wenn Mursi jetzt nach Deutschland kommt, dann macht er deutlich, dass es ihm um Stabilisierung des Landes geht, um Aufbau der Wirtschaft und um ein verlässliches internationales Image.

    Heckmann: Würden Sie denn der Bundesregierung dazu raten, diesem Begehren nachzukommen und Hilfe fließen zu lassen, oder die Gelder wirklich erst mal auf Eis zu legen, wie es sich ja so ein wenig andeutet aufgrund der unklaren Entwicklung im Land?

    Jacobs: Die Bundesregierung hat natürlich jetzt die Chance, sehr deutlich zu machen, was wir von Ägypten erwarten und dass Hilfen nicht zu jedem Preis und ohne Bedingungen kommen, sondern dass wir sehr deutlich erwarten, dass sich die Menschenrechtslage im Land verbessert, dass die Medien freier werden, dass die christliche Minderheit stärker geschützt wird und dass das Land ein verlässlicher Partner in der Region bleibt, und da ist so ein Besuch natürlich eine Chance, das jetzt sehr deutlich zu machen.

    Heckmann: Der Spitzenkandidat der Bündnis-Grünen, Jürgen Trittin, hat hier im Deutschlandfunk vor einigen Tagen gefordert, dass die Bundeskanzlerin Klartext gegenüber Mursi sprechen solle. Denken Sie denn, dass Mursi für ein solches Signal überhaupt empfänglich ist?

    Jacobs: Ich denke mal, sonst würde er nicht kommen. Er wird sehr genau wissen, was er sich hier anhören muss, dass wir in Deutschland sehr viele Fragen haben und auch in Europa, dass viele Menschen hier sehr große Sorgen haben, was die politische Entwicklung des Landes betrifft, und er ist auf internationale Unterstützung und Hilfen angewiesen. Das heißt, er wird sich das anhören müssen, und ich bin absolut davon überzeugt, dass man mit ihm auch Klartext sprechen wird hier.

    Heckmann: Wie nehmen Sie denn Mursi wahr? Das ist ja noch so ein bisschen unklar, in welche Richtung sich das noch entwickeln wird. Sehen Sie ihn eher als Pragmatiker, der sich auch anpassen kann an neue Situationen, oder steckt in ihm doch ein islamistischer Ideologe?

    Jacobs: Letztendlich kommt er natürlich aus der islamistischen Muslim-Bruderschaft, das ist seine politische Heimat, da kommt er her, und insofern ist das natürlich auch der politische Background, auf den er sich beruft. Er ist nicht die entscheidende Figur in dem ganzen Spiel, sondern es besteht natürlich im Hintergrund die Muslim-Bruderschaft, die über den Kurs des Landes mitbestimmt, und wir haben in den letzten Wochen und Monaten doch einiges an Pragmatismus gesehen. Insofern kann man davon ausgehen, dass hier auch Veränderungsbereitschaft besteht. Aber wie gesagt, das ist noch relativ früh, das abschließend zu sagen. Bislang hat sich die innenpolitische Lage auf jeden Fall nicht verbessert.

    Heckmann: Der Verteidigungsminister al-Sissi, der hat gestern vor einem Kollaps des Staates gewarnt. Er sagte, die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen seien eine echte Bedrohung für die Sicherheit und die Stabilität des Staates. Ist das als Warnung, oder als Drohung aufzufassen?

    Jacobs: Das zeigt auf jeden Fall, wo die Armee steht, nämlich an der Seite der Regierung, und das ist insofern interessant, wenn wir uns die Situation vor zwei Jahren vergegenwärtigen, wo es ja anders war. Die Armeeführung hat hier sehr deutlich gemacht, dass sie die Regierung darin unterstützen wird, Stabilität und Ruhe im Land wiederherzustellen, und insofern war das eine wirklich bemerkenswerte Aussage von Sissi.

    Heckmann: Und eine Warnung, die sich an wen genau richtete?

    Jacobs: Nun gut, ich meine, wahrscheinlich an die gesamte Bevölkerung, dass die Prioritäten von Armee und Regierungsführung im Moment auf der Wiederherstellung von Stabilität und Ruhe gerichtet sind, und das ist insofern eine Warnung an all diejenigen, die jetzt die innenpolitische Situation nutzen wollen, um Punkte zu machen oder um Unruhen zu schüren.

    Heckmann: Und er deutet damit auch an, dass die Armee durchaus auch bereitsteht einzugreifen?

    Jacobs: Davon ist auszugehen.

    Heckmann: Wie würden Sie denn die Menschenrechtslage im Land beschreiben? Hat sich das nach dem Sturz Mubaraks ein Stück weit zumindest verbessert, oder sehen Sie da gar keine Verbesserungen?

    Jacobs: Aus meiner Sicht hat sich die Menschenrechtslage nicht entscheidend verbessert. In einigen Punkten haben wir sogar Verschlechterungen festzustellen, insbesondere was die Situation der Zivilgesellschaft betrifft. Wir haben große Sorge um die Situation der christlichen Minderheit. Die Presse hat sich auch nicht so positiv entwickelt, wie wir das erhofft hatten. Also insgesamt keine Verbesserung der Situation.

    Heckmann: Es sind ja auch nur ganz wenige Polizisten verurteilt worden zu geringen Haftstrafen wegen der Tötung von Demonstranten. Nach den Fußball-Krawallen in Port Said aber gab es 21 Todesurteile. Die Menschen in Ägypten haben den Eindruck, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird.

    Jacobs: Ja in der Tat. Dieses Urteil verwundert und verstört und der Verdacht liegt nahe, dass dieses Urteil eben auch im Kontext der politischen Ereignisse gefällt wurde, und es zeigt, welche Macht und welchen Einfluss diese Fußball-Vereine haben, insbesondere der große Club al Ahly in Kairo, und ich habe mit vielen Menschen gesprochen in Ägypten in den vergangenen Tagen und die allermeisten sagen eigentlich, es war letztendlich ein politisches Urteil.

    Heckmann: Wie, Herr Jacobs, kann es Mursi gelingen, die Lage im Land jetzt wieder zu beruhigen?

    Jacobs: Er muss auf jeden Fall seinen Politikstil anpassen und versuchen, in irgendeiner Weise einen Dialog mit der Opposition oder den unterschiedlichen zerstrittenen Oppositionsgruppen zu initiieren und eine gemeinsame Plattform zu errichten, die sich dann irgendwann mal einigt auf die politische Zukunft des Landes oder auf eine Strategie für die politische Zukunft des Landes. Er hat das ja in den letzten Tagen auch schon wieder angedeutet, dass man versuchen wird, noch mal über die Verfassung zu reden und andere Dinge.

    Aber das wird eine sehr, sehr schwierige Herausforderung werden, denn die Opposition ist ja auch nicht einig. Wir haben mit der Heilsfront und einigen anderen kleinen Parteien eine sehr zerstrittene und uneinige Opposition, die auch in vielen Bereichen auf Boykott und Blockadepolitik setzt. Also das ist eine sehr schwere Herausforderung, hier wird er sehr viel zu tun haben in den nächsten Wochen und Tagen.

    Heckmann: Andreas Jacobs war das, der ehemalige Leiter des Konrad-Adenauer-Stiftungsbüros in Kairo. Herr Jacobs, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Jacobs: Ja bitte.

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