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"Michael Kohlhaas" in Düsseldorf
Entsetzlich rechtschaffen

Matthias Hartmann inszeniert "Michael Kohlhaas" am Schauspiel Düsseldorf - und macht dabei nicht ansatzweise den Versuch einer Dramatisierung der Novelle. Unsere Kritikerin meint: Auch wenn er seine vorgebliche Einfachheit etwas zu aufwendig behauptet, ist Hartmann ein kräftiger und emotionssicherer Abend gelungen.

Von Dorothea Marcus | 20.02.2017
    Das Düsseldorfer Schauspielhaus, aufgenommen am 26.02.2014
    Das Düsseldorfer Schauspielhaus. (picture alliance / dpa / Jan-Philipp Strobel)
    Ab wann darf man zur Selbstjustiz greifen, wenn das eigene Recht missachtet wird? Macht man sich gar zum Mitläufer eines korrupten Systems, wenn man es nicht tut? Ist Kohlhaas' maßloses Aufbegehren gegen die Obrigkeit ein gerechter Aufstand? Oder ist Kohlhaas ein Extremist, der unverhältnismäßig Amok läuft?
    Die Fragen, die in Kleists 1808 entstandener Novelle stecken, haben an Komplexität nichts eingebüßt. Matthias Hartmann verzichtet in Düsseldorf auf allzu deutliche Aktualisierung und Selbstbezüge. Er setzt vielmehr auf vermeintliche Schlichtheit. Der legendäre Bühnenbildner Johannes Schütz hat ein paar graue Stühle, 289 streng zum Quadrat gestellte Tische, eine Leinwand aus Papier auf die Bühne gestellt. Immer wieder entstehen Löcher, in denen korrupte Rechtspfleger sitzen. Tische rumpeln bedrohlich, wenn sich unter ihnen Räuberbanden erheben, aus ihnen können Leinwände, Kutschen, Gefängnisse werden.
    Mit Stuhlgerippen beginnt das Unheil
    Zunächst kommt das Ensemble mit Stühlen bewaffnet kokosnussklappernd herangetrabt: die Pferde, mit denen der rechtschaffene Rosshändler Michael Kohlhaas harmlos des Weges reitet. Zwei von ihnen werden bei einer willkürlichen Straßensperre als Pfand einbehalten. Als aus Kohlhaas' prächtigen Rappen dann zwei durchlöcherte, staubbedeckte Stuhlgerippe geworden sind, beginnt das Unheil. Kohlhaas startet seinen Rachefeldzug, weil das Unrecht nicht geahndet wird. Im Zuge dessen verliert er alles - unter anderem sein Haus und seine Frau.
    Als der Nachbar das Zimmer verlassen hatte, fiel Lisbeth auf Knien vor ihm nieder. "Wenn du mich irgend rief sie mich und die Kinder die ich dir geboren habe im Herzen trägst, so sag mir, was diese entsetzlichen Anstalten zu bedeuten haben. Lisbeth! Nichts dass dich noch wie die Sachen stehen so beunruhigen müsste. - Aber warum willst du dein Haus verkaufen? Weil ich in einem Land in dem man meine Rechten nicht schützen will, nicht bleiben mag."
    Ein Erzählspiel, keine Dramatisierung
    Nicht ansatzweise macht Hartmann den Versuch einer Dramatisierung der Novelle, sondern schafft eher ein Erzählspiel. Der Kleist-Text wird immer so lange von einer Figur gesprochen, bis die Perspektive wechselt, dann ist der Nächste dran.
    Elegant leitet Hartmann sein vorgebliches Antiillusionstheater zu illusionistischen Höhepunkten. Da donnert das Wellblech, rotiert das Windpfeif-Rad, spuckt die Nebelmaschine Wolkiges aus. Beim Geschäft der Rache löst sich Kohlhaas' altbekannte Welt und buchstäblich der feste Boden unter seinen Füßen auf. Von hinten aus werden krachend die Tische umgehauen von Kohlhaas‘ sieben Knechten in martialisch-schwarzer Kampfkleidung.
    Als Wittenberg und Leipzig abgebrannt werden, steigen Rauchsäulen zu Sakralmusik und Theaterdonner auf, Flammen in schwarz-Weiß werden an die Tischflächen projiziert. Da hält sich Kohlhaas schon lange für den Erzengel Michael. Doch so sehr er sich auch zum Räuber, Brandschatzer und Mörder aufschwingt, verliert Schauspieler Christoph Erdmann doch nie die milde Freundlichkeit, mit der er bis zum Schluss immer wieder seine Kinder – symbolisiert durch ein Holz-Schaukelpferd – streichelt. Auch dem Reformator Luther begegnet er so-, Reinhart Firchow spielt ihn voll knöchernem Unverständnis.
    Ein emotionssicherer Abend
    "Er habe noch eine Bitte auf seinem Herzen. Zu Pfingsten habe er die Kirche versäumt. Ob er die Gewogenheit haben wollen, ohne weitere Vorbeichte, ihm das Sakrament zu erteilen… Ja Kohlhaas das will ich tun. Der Herr aber dessen Leib du begehrst, vergab seinem Feind. Willst du nicht… Hochwürdiger Herr. Der Herr auch vergab allen seinen Feinden nicht."
    Vergebung ist im Kohlhaas-Universum nicht mehr vorgesehen. Hartmann enthält sich hier jeder modernen Deutung und Haltung, das könnte man ihm zu Vorwurf machen. Letztlich wird so der Konflikt jedoch geschickt in den Zuschauerkopf verlegt: Wo verlaufen die Grenzen der Selbstjustiz? Zum Schluss bricht Erdmann die Erzählung mitten im Fallbeil ab, der letzte Novellenteil wird vom Tod des Erzählers verschluckt.
    Verschwunden. Und auch wenn er seine vorgebliche Einfachheit etwas zu aufwendig behauptet, ist Hartmann in Düsseldorf ein kräftiger und emotionssicherer Abend gelungen. Der Regisseur hat sich von vergangenen Querelen sichtlich erholt.