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Hauptstadtfieber

Die Bücher der ghanaischen Autorin Amma Darko kann man auch dann noch gut lesen, wenn der Tag wirklich lang war: Ihre Plots sind zielstrebig konstruiert, die Dialoge deftig, die Szenarien kräftig ausgemalt. So wie es halt zugeht in den engen Wohnquartieren, im Verkehrschaos und auf den Märkten von Ghanas Hauptstadt Accra. Ihr neuester Roman heißt Die Gesichtslosen und ist gerade auf Deutsch erschienen. Inspiration frei Haus bekam die gelernte Soziologin, die ihren Lebensunterhalt als Finanzbeamtin verdient, an ihrem Arbeitsplatz:

Von Gaby Mayr | 22.01.2004
    Mein früheres Büro war am Agbogbloshie-Markt. Dort ist auch die Squatter-Siedlung Sodom und Gomorrha aus meinem neuesten Buch Die Gesichtslosen. In diesem Büro habe ich drei Jahre lang gearbeitet. Es war mitten auf dem Markt - also richtig mitten drin, und das ist ein riesiger Markt. Ich saß also in meinem Büro, und jeden Tag habe ich gesehen, was um mich herum passierte.

    Hauptfigur in Amma Darkos neuem Roman ist die vierzehnjährige Fofo:

    An diesem Sonntag beschloss sie, die Nacht in dem alten Karton zu verbringen, der vor einem Lebensmittelstand auf dem Agbogbloshie-Markt liegen geblieben war. Dies hatte übrigens nichts damit zu tun, dass der Sonntag jener Tag der Woche ist, an dem die Menschen gewöhnlich in die Kirche gehen. Vielmehr wollte Fofo nicht riskieren, ihren neuen Job, Karotten putzen auf dem Gemüsegroßmarkt, gleich wieder zu verlieren. Was zweifellos geschehen wäre, hätte sie die Nacht wie sonst immer bei ihren Freunden gegenüber in Sodom und Gomorrha verbracht, hätte sie Filme angesehen, von denen sie sich mit ihren 14 Jahren besser fernhalten sollte, und hätte sie Akpeteshie oder bestenfalls etwas milderen selbst gebrannten Gin direkt aus der Flasche getrunken. Schließlich wäre sie spät am Morgen an der Seite eines ihrer Altersgenossen aufgewacht. Beide nackt, leicht benebelt und desorientiert, und beide hätten sich nicht mehr erinnert, wann genau sie sich in dieser Nacht ausgezogen und was genau sie mit ihrer Nacktheit angefangen hatten.

    Fofo ist geflohen aus dem heruntergekommenen Zimmer, das sie mit ihrer apathischen Mutter, deren zudringlichem Freund und dem neuen Säugling teilen musste. Weggelaufen aus einer Atmosphäre von Gewalt und Übergriffen, wie sie gedeiht in den überfüllten Unterkünften. Zuvor waren schon zwei Brüder und ihre Schwester namens Baby T fort gegangen. Ein Nachbar hatte Baby T vergewaltigt, als sie noch nicht einmal zwölf war. Später, so schien es, hatte Baby T Glück: Eine Vermittlerin wollte sie als Hausangestellte unterbringen. Doch eines Tages wird Baby T tot aufgefunden.

    Fofo will, anders als ihre Mutter, nicht gottergeben abwarten, welche Zumutungen ihr das Leben als nächstes beschert. Sie macht sich auf die Suche nach dem Täter. Unterstützung erhält sie von Kabria, einer Frau aus der Mittelschicht mit Arbeitsstelle bei einer Hilfsorganisation, drei Kindern und einem Ehemann, der sich in der Rolle des Pascha gefällt.

    So präzise Darko das Bild der Menschen zeichnet, die jeden Morgen aufs Neue sehen müssen, wie sie das Essen für den Tag zusammen bekommen, so treffsicher nimmt sie die alltäglichen Nervereien in der aufstrebenden Mittelschicht aufs Korn.

    Sie räusperte sich, holte tief Luft wie ein Albatros und schrie nach ihrem Bruder: `Ottuuuuu´, in einer Lautstärke, die einen Toten in der Arktis hätte wecken können. Es war Adade, der auf diesen Wahnsinn reagierte. Und zwar auf die typische Art aller ghanaischen Väter. `Kabria´, er streckte seinen Kopf aus der Schlafzimmertür. `Kannst du deiner Tochter mitteilen, dass die Sonne noch nicht mal ganz aufgegangen ist? Warum erlaubst du ihr, derartig herumzuschreien?´ Sprach´s und zog sich wieder ins Schlafzimmer zurück.

    Ein wiederkehrendes Thema in Amma Darkos Romanen und Erzählungen ist der Aberglauben. Die Lebensbedingungen der Straßenkinder vom Agbogbloshie-Markt, erzählt die Schriftstellerin, musste sie recherchieren. Sie ging in die Ruinen, in denen die Kinder von Sodom und Gomorrha unterkriechen. Über Aberglauben jedoch, erklärt Darko, über weiße Hühner und Eulen in der Nacht, über sogenannte Hexen und herumirrende Geister von Selbstmördern musste sie keinerlei Forschungen anstellen:
    Wir sind abergläubische Leute. Wir leben damit. Es ist überall. Es ist wie essen. Die Menschen brauchen etwas Spirituelles, woran sie sich klammern können. Und wenn das Alte nicht mehr akzeptabel ist, dann haben sie die günstige Gelegenheit, sich dem Christentum zuzuwenden. Da gibt es eine ganze Reihe von Kirchen. Auch das ist eine Form des Aberglaubens. Es ist ein Teil von uns. In allem ist ein wenig Aberglauben.

    Bücher sind in Afrika der Inbegriff für Bildung und Aufklärung. Viele afrikanische Schriftstellerinnen und Schriftsteller - jedenfalls solche, die in ihren Ländern verwurzelt sind - sehen in ihrem Schreiben deshalb nicht nur zweckfreie Kunst. Amma Darko verleugnet keineswegs, dass sie aufklärerische Absichten mit ihren Büchern verfolgt:

    Wenn ich darüber schreibe, dann will ich Missetaten anprangern, die im Namen des Aberglaubens begangen werden. Wie in Die Gesichtslosen, wo der Juju-Mann seinem Neffen rät, eine bestimmte Geflügelart zu züchten. Anschließend sorgt er als Medizinmann dafür, dass die Leute genau solche Hühner für die Rituale brauchen, die er verordnet. Es ist Betrug. Er nutzt den Aberglauben der Leute aus, um Geld zu verdienen.

    Es gelingt Fofo übrigens, den Tod ihrer Schwester aufzuklären. Statt als Hausangestellte hatte die Vermittlerin Baby T als Prostituierte untergebracht. An ihren Einnahmen bereicherten sich nicht nur der Zuhälter und die Betreiberin der Absteige, auch ihre Mutter wies die mit Geldscheinen gefüllten Umschläge nicht zurück. Eines Tages taucht der einstige Nachbar, der Baby T vergewaltigt hatte, in ihrer Absteige auf. Baby T weigert sich, ihn zu bedienen. Der
    Zuhälter prügelt sie, immerhin will dieser Kunde den dreifachen Preis bezahlen. Als der Nachbar schließlich ihr Zimmer verlässt, ist Baby T tot.

    Amma Darko
    Die Gesichtslosen
    Schmetterling Verlag, 180 S., EUR 16,80