Dienstag, 30. April 2024

Archiv


"Vollpfosten" und "Shitstorm" gehören zum deutschen Sprachschatz

Der Duden gilt als das Standardwerk der deutschen Sprache, regelmäßig wird er aktualisiert. Seit dem "Ur-Duden" von 1880 ist die Zahl der Stichwörter von 27.000 auf 140.000 gestiegen, alle drei bis vier Jahre ist eine Neuauflage fällig. Am Freitag erscheint die 26. Auflage.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 03.07.2013
    Unser Vokabular wächst und wächst – fast wie der deutsche Wald, trotz gegenteiliger Prognosen. Während in der vorvorigen Duden-Ausgabe von 2006 rund 3500 neue Wörter hinzugekommen waren, wurden jetzt 5000 Neuzugänge aufgenommen. Was sagt uns das im Hinblick auf die Tatsache, dass in derselben Zeitspanne die Bevölkerungszahl gesunken ist? Produzieren jetzt weniger Menschen mehr Begriffe? Und um was für eine Art von Produktivität handelt es sich hier? Sprachschaum statt Real Things?

    Natürlich ist die Sprache ein Einwanderungsgebiet par excellence. Die meisten neuen Wörter haben einen Migrationshintergrund, von Crossdressing über Digital Native, Shitstorm und Social Media bis zu dem seltsamen Verb wellnessen. Es ist auch schick, sich zu diesem linguistischen Multikulti zu bekennen, denn so distanziert man sich von den dumpfen Deutschtümlern, die manches immigrierte Wort gerne hinauswerfen und statt Autoscooter lieber Rempelfahrzeug sagen würden. Schon Goethe hatte solchen Sprachpuristen höhnisch zugerufen, sie sollten doch mal sagen, "wie man Pedant verdeutscht".

    Doch fast noch interessanter als die Neuaufnahmen sind die von der Duden-Redaktion vorgenommenen Streichungen, über die man nicht nur im Einzelnen diskutieren, sondern auch im Ganzen reflektieren kann. Denn wann und warum wird ein Wort für tot erklärt? Wenn es eine Zeit lang nicht im "Spiegel" stand oder wenn es die Sache, die es bezeichnet, nicht mehr gibt? Aber Sprache enthält auch historische Partikel; sie braucht sie, um Historisches darstellen zu können. Wenn – wie jetzt geschehen – die Diligence (für Eilpostkutsche), die Füsillade (für standrechtliche Erschießung von Soldaten) und die Suszeptibilität (für Reizbarkeit, Empfindlichkeit) aus dem Duden getilgt werden, stehen diese Mitglieder des deutschen Wortschatzes trotzdem nicht außerhalb von ihm.

    Immerhin sind diese halboffiziell eliminierten Begriffe auf der Webseite "duden.de" weiterhin abrufbar, weil im Internet bekanntlich kein Platzmangel herrscht und die vollständige Löschung daher ein nicht nur sinnloser, sondern auch willkürlicher und sogar barbarischer Akt wäre. So aber bleibt für Liebhaber bedrohter Wörter wenigstens die Möglichkeit bestehen, sich über die Bedeutung von halbschürig, schnadern und Adrema, nämlich minderwertig, viel reden und Adressiermaschine, zu informieren.

    Auch der Telekrat wird auf diese Weise noch erklärt, und zwar als "Machthaber, der sich auf seinen Einfluß über die Telekommunikationsmedien stützt". Das allerdings trifft heutzutage wohl auf jeden Machthaber zu, weswegen der Begriff entbehrlich wurde. Es gibt also Wörter, deren Verschwinden nicht darauf beruht, dass ihnen in der Wirklichkeit nichts mehr entspricht, sondern dass ihnen alles entspricht, wodurch sie genauso sinnlos werden.

    Das trifft in gewisser Weise auch für das Entstehen von Wörtern zu, wie sich an dem auch von der Duden-Redaktion geteilten Gender-Wahn zeigt. Die Feminisierungsautomatik, die bei Bürgern, Hörern, Lesern, Freunden, Feinden und dergleichen aus vermeintlichen Gerechtigkeitsgründen –in und –innen anfügt, hat jetzt die Rabaukin und die Vorständin erzeugt. Dieses Aufschäumen von Sprache zum geistigen Nulltarif bei semiotischem Gewinnverzicht hat Potenzial. Jetzt wissen wir, weshalb im nächsten Duden sicherlich zehntausend neue Wörter stehen werden. Denn schon der Vollpfosten, gerade neu hinzugekommen, kann doch nicht auf Dauer ohne weibliches Pendant bleiben.