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"Hollande wird keine andere Politik machen"

Auch Francois Hollande werde Schulden abbauen in Frankreich, sagt SPD-Chef Sigmar Gabriel. Im Gegensatz zu Sarkozy fordere Hollande aber zurecht einen Wachstumspakt. Sein Erfolg im ersten Wahlgang zeige über Frankreich hinaus, dass die Politik von Nicolas Sarkozy und Angela Merkel nicht alternativlos sei.

Das Gespräch führte Peter Kapern | 23.04.2012
    Peter Kapern: Die Überraschung ist ausgeblieben: Nicolas Sarkozy und Francois Hollande, sie werden sich erwartungsgemäß in der Stichwahl um das Amt des französischen Staatspräsidenten in zwei Wochen gegenüberstehen. Am Telefon bin ich jetzt mit dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel verbunden. Guten Morgen, Herr Gabriel!

    Sigmar Gabriel: Guten Morgen, ich grüße Sie.

    Kapern: Herr Gabriel, viele Beobachter gehen davon aus, dass Francois Hollande den zweiten Wahlgang gewinnt. Sie auch?

    Gabriel: Ja, obwohl ja der erste Wahlgang schon eine kleine Sensation ist. Ich glaube, so weit ich mich erinnere, gab es das noch nie in der Geschichte der französischen Republik, dass der amtierende Präsident im ersten Wahlgang nicht vorne lag. Also das ist schon bemerkenswert und es zeigt, wie groß der Wunsch der Franzosen nach einem Wechsel ist.

    Kapern: Wenn dieser Wunsch dann erfüllt wird und Francois Hollande Präsident wird, ist es dann vorbei mit der Bekämpfung der Politik auf Pump in Europa?

    Gabriel: Nein. Das ist natürlich das, was hier gerne Konservative und Liberale an Propaganda in die Welt setzen. Francois Hollande wird keine andere Politik machen als den Versuch, Schulden abzubauen. Nur der Irrtum von Frau Merkel und Herrn Sarkozy bestand eben darin zu glauben, dass man Schulden abbauen kann, indem man das aufs Papier schreibt. Man braucht im Kern Wachstum und Beschäftigung, sonst klappt der Schuldenabbau nicht, das erleben wir gerade in Spanien. Die Politik von Frau Merkel scheitert ja in Südeuropa, weil nur durch Haushaltskürzungen noch kein Schuldenabbau stattfindet, wenn parallel die Wirtschaft zusammenbricht. Und deswegen hat Francois Hollande absolut zurecht erklärt, dass er dafür sorgen werde, dass der Fiskalpakt ergänzt wird durch einen Wachstums- und Beschäftigungspakt, im Kern im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit, und dass er das finanzieren will nicht etwa durch neue Schulden, sondern durch die längst überfällige Besteuerung der Finanzmärkte, denn es ist ja nicht einzusehen, dass diejenigen, die an den hohen Schulden in Europa einen großen Anteil an Verantwortung tragen, dass die bis heute völlig ungeschoren davonkommen, wenn es darum geht, die Schulden wieder abzubauen.

    Kapern: Da ist es dann aber doch sehr misslich, Herr Gabriel, wenn viele Euro-Länder diese Finanztransaktionssteuer, auf die Sie da anspielen, überhaupt nicht wollen.

    Gabriel: Na ja, jetzt kommt es darauf an. Frankreich will sie jetzt mit ihrem neuen Präsidenten, wenn er denn gewählt wird, in jedem Fall. Wenn Deutschland die Selbstblockade zwischen CDU/CSU und FDP in der Bundesregierung mal aufgeben würde, dann hätten wir schon die beiden größten Länder. Das Europäische Parlament will sie, die Kommission will sie und übrigens die Menschen wollen sie auch, denn es ist ja eine absolute Ungerechtigkeit, dass wir den Arbeitnehmern und den Rentnern sagen, wir haben kein Geld für euch, wir haben für die Bildung kein Geld, und die Brüder, die die Finanzkrise zu verantworten haben, kommen völlig ungeschoren davon. Aber das ist das Instrument im Kern, das Ziel ist, Entschuldung dadurch zu ermöglichen, dass wir wieder zu einem höheren Wirtschaftswachstum kommen, deswegen fordert Hollande zurecht einen Wachstumspakt und ich finde es einigermaßen ungerecht, dass gerade Frau Merkel und CDU/CSU und FDP hier die Propaganda verbreiten, er wolle keine Schulden abbauen, sondern das steht in dem Sinne, er will nun endlich ein, sagen wir, auch wirksames Instrument haben. Das sagen auch wir und deswegen wird der Fiskalpakt, ich bin ganz sicher, Ende des Jahres ergänzt werden durch einen Wachstumspakt.

    Kapern: Vielleicht ist aber dieser Vorwurf, der gegen Francois Hollande erhoben wird, nicht so völlig aus der Luft gegriffen. Immerhin: Beispielsweise weigert er sich, die Schuldenbremse in der französischen Verfassung zu verankern. Da muss man doch hellhörig werden, oder?

    Gabriel: Ich glaube, dass es im Kern darum geht, dass er nicht will, dass der Europäische Gerichtshof darüber entscheidet. Das ist übrigens nicht nur in Frankreich eine Frage, ob sozusagen ein europäisches Gericht über das nationale Parlament gestellt wird. Das wird man jetzt sehen müssen, wie die Debatte darüber ausgeht. Die Franzosen sind nicht die Einzigen, die das als Problem sehen. Ich denke, wenn wir die Wachstums- und Beschäftigungsfragen mit so etwas wie einem zweiten Marshall-Plan für Südeuropa angehen, dann haben wir eine große Chance, aus der europäischen Krise endlich herauszukommen. Wenn es weiter so geht, wie Frau Merkel und Herr Sarkozy sich das so vorgestellt haben, immer nur die Haushalte zusammenstreichen und zuschauen, tatenlos zuschauen, wie die Wirtschaft zusammenbricht, kommen wir da nicht raus. Ich finde, der Erfolg von Hollande ist eben über Frankreich hinaus ein Signal dafür, dass die Politik von Merkel und Sarkozy eben nicht alternativlos ist.

    Kapern: Noch ein Punkt aus der Programmatik von Hollande: Er will beispielsweise das Rentenalter wieder herabsetzen auf 60 Jahre. Das kann doch eigentlich nicht gut gehen in einem Land, das die großen Reformen, wie sie Deutschland beispielsweise mit der Agenda 2010 schon hinter sich gebracht hat, noch vor sich hat.

    Gabriel: Was die Deutschen dabei völlig aus dem Blick verlieren ist, dass Frankreich eine deutlich andere demografische Entwicklung hat. Die Geburtenrate der Kinder dort ist deutlich höher als in Deutschland. Und warum? Weil die Betreuungsangebote dort besser sind. Kinder in Familien werden dort wesentlich besser betreut, sodass Berufstätigkeit parallel viel einfacher ist für Frauen und für Männer. Das ist einer der Gründe, warum dort es viel mehr Kinder gibt als in Deutschland. Was das Thema Rentenalter angeht, werden die Franzosen ihren eigenen Weg gehen müssen, aber der Druck durch den demografischen Wandel, den wir in Deutschland haben, ist dort eben auch nicht so groß, weil es mehr Kinder gibt, weil sie klügere Politik gemacht haben in der Vergangenheit und haben nicht Geld unnütz ausgegeben, wie wir das vor haben mit diesem seltsamen Betreuungsgeld der CDU, sondern sie haben es investiert in Ganztagsschulen, in Kinderbetreuung, in Kindertagesstätten, damit Familie und Beruf besser miteinander vereinbar ist. Da ist Deutschland Nachzügler und wir erleben ja gerade, dass diese Politik der Geldverschwendung in unnütze Betreuungsgelder hier fortgesetzt werden soll.

    Kapern: Und wenn ich Sie jetzt, Herr Gabriel, darauf hinweise, dass die Staatsquote in Frankreich bei sensationellen 56 Prozent liegt, sehen Sie dann immer noch keinen Anlass, Ihrem politischen Freund Francois Hollande vielleicht mal auf das Erfolgsrezept der Agenda 2010 hinzuweisen?

    Gabriel: Nein, überhaupt nicht, weil die Franzosen eine andere Tradition haben, beispielsweise mit staatlichem Eigentum. Dort gehört dem Staat im Wesentlichen der größte französische Energiekonzern EDF, in Deutschland wären wir froh, wenn wir heute beispielsweise die Netze wenigstens im Staatsbesitz hätten. Ob das alles so klug war an Privatisierungen, was wir in den letzten 30 Jahren gemacht haben, die Stadtwerke, die Krankenhäuser, die Energieunternehmen, darüber kann man ja streiten. Ich will das nicht zurückabwickeln, aber wir erleben ja gerade in Deutschland eine Renaissance zum Beispiel der Stadtwerke bei der Energieversorgung, also im öffentlichen Eigentum, weil die vier großen Konzerne die Energiewende bei Weitem nicht so unterstützen wie die kommunalen Stadtwerke. Und in Frankreich gibt es halt eine andere Tradition, die will ich nicht Deutschland empfehlen, aber dort gibt es noch einen sehr, sehr hohen Anteil an staatlichen Unternehmen. Das ist in Deutschland anders. Das, glaube ich, kann man so oder so machen. Aber einfach nur so zu erklären, je geringer der Staatsanteil desto besser, dann würde ich mir mal manche Probleme in der Gesundheitsversorgung oder im Bereich der Energieversorgung genauer anschauen, dann werden sie feststellen, dass das Motto "Privat vor Staat" in vielen Bereichen zu einer schlechteren Versorgung der Bevölkerung geführt hat.

    Kapern: Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Gabriel, danke für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Gabriel: Bitte! Alles Gute.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.