Dienstag, 30. April 2024

Archiv

Michael Epkenhans und Ewald Frie (Hg.)
„Politiker ohne Amt“

Wenn Staatsmänner ihre Macht verlieren, können die wenigsten von ihnen die Finger von der Politik lassen. Welche Wege Metternich, Bismarck aber auch Willy Brandt oder Helmut Schmidt gingen, um weiterhin Einfluss zu nehmen, beleuchtet ein Sammelband – und kommt zu überraschenden Erkenntnissen.

Von Moritz Küpper | 20.01.2020
Buchcover "Politiker ohne Amt". Im Hintergrund leere Stühle im Plenarsaal in Bonn 1993
Für jeden Politiker und jede Politikerin gilt: Eine neue Rolle nach dem Amt muss erst gefunden werden. (imago stock&people/ sepp spiegl)
Irgendwann ist Schluss. Für jeden und jede.
"Ich habe mich hier, gerade eben, im Parteivorstand der SPD verabschiedet, bin zurückgetreten. Und ich wollte mich auch bei Ihnen persönlich für die jahrelange, gute Zusammenarbeit bedanken, machen Sie es gut."
Das galt jüngst beispielsweise für Andrea Nahles, die erste Frau an der Spitze der SPD, für Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg: "Ich habe in einem sehr freundschaftlichen Gespräch die Frau Bundeskanzlerin informiert, dass ich mich von meinen politischen Ämtern zurückziehen werde und um meine Entlassung gebeten. Es ist der schmerzlichste Schritt meines Lebens."
Oder einst für Helmut Schmidt, der 1982 mittels eines konstruktiven Misstrauensvotum im Bundestag gestürzt wurde: "Ich habe nur die Absicht, drei Sätze zu reden und ich bitte, mich ausreden zu lassen. Noch habe ich das Recht, hier zu reden."
Wenig später aber war das Amt verloren. Doch: Was kommt, was passiert danach? "Politiker ohne Amt. Von Metternich bis Helmut Schmidt", heißt ein Sammelband, den der Historiker Michael Epkenhans vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam, zusammen mit Ewald Frie, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Tübingen, nun vorgelegt hat. Entstanden ist dieser aus einem Symposium der Otto-Bismarck-Stiftung im November 2017, deren Direktor Epkenhans bis 2009 war.
"Wenn man sich wie ich mit Bismarck beschäftigt, dann stößt man schnell auf die Zeit, in der er letztendlich aus dem Amt ausscheiden musste und dann dennoch versucht hat, Politik zu machen. Als Politiker ohne Amt ist er ja dann auch in die Geschichte eingegangen", beschreibt Michael Epkenhans die Motivation.
Viele Parallelen bei Protagonisten
Mithilfe vor allem einer umtriebigen Pressepolitik beeinflusste Bismarck weiter das Geschehen, so Michael Epkenhans – und ist damit kein Einzelfall. "Wenn man diese Zeit vergleicht, dann stellt sich schnell heraus, dass es viele gibt, die auch heute sich in ähnlicher Weise verhalten haben, wie Bismarck sich vor über 100 Jahren verhalten hat. Das ist natürlich eine interessante Koinzidenz und da gibt es manche Parallelen eben auch, die manche Forschung wert sind."
Denn: Während es zum Beginn der politischen Laufbahn, zum Aufstieg, aber auch zum Wirken im Amt, umfangreiche Literatur gibt, ist die Zeit danach eher unerforscht: "Wenn man sich die modernen Biographien anschaut, also, angefangen von Lothar Galls Bismarck, bis hin zu den Arbeiten von Peter Merseburger beispielsweise über Willy Brandt, dann sieht man natürlich, dass es viele gibt, die sich an Einzelfällen mit dieser Frage befasst haben, aber eine vergleichende Perspektive, die hat es dem Sinne noch nicht gegeben."
Die Karrieren und das Leben, vor allem die Zeit nach dem Amt, von insgesamt dreizehn Politikern werden in dem Band, eingefasst von einem Vorwort sowie einer abschließenden Betrachtung, analysiert, darunter Politiker aus dem 19. Jahrhundert wie Clemens Fürst Metternich oder Otto von Bismarck, Protagonisten der Weimarer Republik wie Franz von Papen oder Heinrich Brüning und ehemalige Kanzler der Bundesrepublik wie Konrad Adenauer, Willy Brandt oder auch Helmut Schmidt. Der Duktus ist eher wissenschaftlich geprägt, dennoch leserfreundlich geschrieben, analytisch:
"Das Bild Helmut Schmidts, das heute noch in der Öffentlichkeit besteht, ist in erster Linie von seiner Zeit ohne Amt geprägt – nicht von seiner Kanzlerschaft. Insofern ist er ein Prototyp für einen Politiker, der erfolgreich an seinem Image nach seiner Amtszeit gearbeitet hat. Das Bild seiner späteren Jahre, ‚das Bild eines weisen Deuters der Weltläufte und der die großen Fragen der Gegenwart‘ erklärt, hat das seiner Amtszeit überlagert. Eine besondere Rolle dabei hatte – neben der umfangreichen Vortragstätigkeit und den Fernsehauftritten – sein Wirken als Publizist. ‚Je größer der zeitliche Abstand zu seiner Kanzlerschaft wurde, desto beliebter wurde Helmut Schmidt‘, wie der Historiker Axel Schildt es formulierte. Helmut Schmidt hatte schon zu Beginn seiner politischen Laufbahn die Bedeutung der Medien als vierte Gewalt im Staat erkannt und seit 1948 Artikel für die Tages- und Wochenpresse verfasst."
"Zu den großen Erkenntnissen gehört natürlich, auch wenn das eine gewisse Binsenwahrheit ist, dass alle Politiker im 19. Jahrhundert und auch im 20. Jahrhundert, eigentlich schon sehr früh, immer wieder das Bestreben hatten, sich sowohl in die Politik einzumischen als sie noch lebten, als aber auch in irgendeiner Form ein Geschichtsbild zu prägen, das dann auch, ich sag mal, wirksam blieb, wenn sie selbst nicht mehr lebten", fasst Michael Epkenhans eine Erkenntnis zusammen. Interessant sei zudem gewesen, "dass sie sich dabei vielfach der gleichen Strategien bedienten. Angefangen von dem Schreiben von Autobiographien über die Instrumentalisierung der Presse bis hin natürlich zu Netzwerken, die sie benutzt haben, um dann vielleicht auch aus dem Hintergrund heraus in das aktuelle Geschehen einzugreifen."
Ausschließlich Männer
Durch die Struktur einzelner Aufsätze, sozusagen Porträts, ist ein lesenswertes Buch entstanden, in dem die einzelnen Kapitel auch losgelöst voneinander funktionieren. Doch: Nicht loslassen können? Oder: Wirklich noch gestalten wollen? Was sei wohl die größte Triebfeder gewesen?
"Es ist in der Tat sehr schwer, eine Unterscheidung zwischen persönlichen Motiven und ich sag mal inhaltlichen Zielen zu ziehen. Da lassen sich wenig Muster finden. Zumal es auch da manchmal Widersprüche auch gibt. Nehmen wir nur mal Bismarck. Was wenige wissen: Bismarck hat aus lauter Ärger sich breitschlagen lassen, für den Reichstag zu kandidieren. Ist dann auch gewählt worden, musste dann aber erkennen, dass das natürlich politisch unsinnig ist, weil wenn er als Oppositionsführer in den Reichstag einzieht, dann tut er genau das, was er eigentlich Zeit seines Lebens abgelehnt hat: Aus dem Parlament heraus Politik zu machen und die Regierung zu ersetzen."
Es sind ausschließlich Männer, die in dem vorliegenden Band von renommierten Historikern und exzellenten Kennern der jeweiligen Personen, wie beispielsweise Hans Peter Mensing bei Adenauer oder Günter Buchstab bei Kiesinger, analysiert werden – was auch daran lag, dass der Autor für die vorgesehene Betrachtung der ehemaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher abgesagt hat. Dennoch: Die nicht ganz stringente Auswahl lässt noch Platz für weitere Forschungen, genauso wie die Fragen nach dem Handeln ohne Amt. Denn, so Michael Epkenhans:
"Der rote Faden ist, dass Politiker seit dem 19. Jahrhundert natürlich eine ganz andere Rolle haben als Politiker in der Zeit des Absolutismus oder im tiefem Mittelalter, wenn man das so will. Politiker stehen von Anfang an seitdem in der Öffentlichkeit. Und so gibt es ein Wechselspiel. Und diesem Wechselspiel können sie sich eigentlich nur durch Krankheit oder Tod entziehen."
Denn auch nach dem Ausscheiden wird der Bundespräsident weiter mit "Herr Bundespräsident" oder die Kanzlerin mit "Frau Bundeskanzlerin" angesprochen – und jede Äußerung wird in diesem Kontext gesehen, jedes Schweigen kann auf einmal dröhnend laut sein, so Michael Epkenhans:
"Also, wenn ein Politiker heute sich zurückziehen würde, würde man ihm, glaube ich, trotzdem noch so viel, in Anführungszeichen, ‚auf die Bude rücken‘, weil man glaubt, man müsse von ihm irgendwie ein Statement haben, in bestimmten Situationen, dass die sich dem kaum entziehen können, wahrscheinlich auch gar nicht entziehen würden, weil sie eben aufgrund dessen, was sie vorher gemacht haben, was sie auch vorher vertreten haben, dann irgendwann doch an dem Punkt sind, wo sie sagen: ‚Nein, ich glaube, ich muss nochmal einen Rat geben‘. Ob der dann klug ist oder nicht, das ist dann eine andere Frage, aber ich glaube, diese Mechanismen wird es immer geben und die kann man auch nicht abschaffen."
Doch genauer dieser Umstand, macht die Zeit danach, die Betrachtung von Politikern ohne Amt so interessant – und das Buch damit lesenswert.
Michael Epkenhans und Ewald Frie (Hg.): "Politiker ohne Amt. Von Metternich bis Helmut Schmidt",
Schöningh Verlag, 276 Seiten, 39,90 Euro.