In den Fußstapfen von Lise Meitner, Marie Curie & Co.

Cornelia Denz im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 06.11.2008
Nach Einschätzung von Cornelia Denz, Professorin am Institut für Angewandte Physik der Universität Münster, werden nur dann mehr Frauen ein Physikstudium aufnehmen, wenn sie durch ihr Umfeld darin bestärkt werden. Derzeit dominiere hier oft "sehr viel Ablehnung", sagte Denz. Zudem müssten Familie und wissenschaftliche Karriere besser miteinander vereinbart werden können.
Stephan Karkowsky: Morgen jährt sich der Geburtstag von Lise Meitner zum 130. Mal. Das nehmen wir zum Anlass für ein Gespräch über Frauen in der Physik mit Cornelia Denz, Professorin am Institut für Angewandte Physik der Universität Münster. Guten Tag, Frau Denz.

Cornelia Denz: Guten Tag.

Karkowsky: Frau Denz, offenbar ist Lise Meitners Wunsch nach Gleichstellung ja noch nicht in Erfüllung gegangen, sonst müssten Sie nicht ab heute einladen zur zwölften Deutschen Physikerinnentagung, oder?

Denz: Die Physikerinnentagung wäre vielleicht eine Wunscherfüllung gewesen von Lise Meitner und tatsächlich, das hatten Sie ja schon im Bericht gesagt, müssen wir nicht mehr durch die Hintertür in den Keller gehen, sondern können durch die Vordertür in unsere Laboratorien kommen. Aber tatsächlich ist der Anteil von Frauen in der Physik immer noch sehr gering. Und deshalb gibt es die Physikerinnentagung, um zu zeigen, was für aktuelle wichtige Forschungsbeiträge Frauen leisten und auch Studentinnen oder interessierten Frauen an der Physik zu zeigen, dass sie durchaus Kolleginnen haben, die in der Physik arbeiten.

Karkowsky: Dass die Zustände heute nicht mehr mit denen von Lise Meitner damals zu vergleichen sind, das hat auch Angela Merkel erfahren, als sie vor 30 Jahren ihre Diplomarbeit verfasst hat mit dem Titel "Der Einfluss der räumlichen Korrelation auf die Reaktionsgeschwindigkeit bei bimolekularen Elementarreaktionen in dichten Medien". Was ist es denn, was heute noch im Argen liegt?

Denz: Tatsächlich ist es so, dass man nicht sagen kann, dass die Studienbedingungen für Frauen verschieden sind von denen von Männern. Es gibt gleiche Rechte, es gibt auch gleiche Aufgaben und Möglichkeiten, aber wenn man schaut, wie die Lebenswege von Frauen sich entwickeln im Vergleich zu denen von Männern, dann sieht man Diskrepanzen. So stellen wir fest, dass Frauen, die das Physikstudium beginnen wollen, in ihrem Umfeld auf sehr viel Ablehnung stoßen, während Männer oft sehr stark bestärkt werden, ein so vermeintlich schwieriges oder auch anspruchsvolles Thema zu studieren. Frauen studieren also gegen den Wunsch ihres Umfeldes und irgendwann wird bei ihnen auch der Wunsch nach einer Familie stark werden. Und die Vereinbarkeit von Familie und Naturwissenschaft ist für Frauen in der Physik oft deshalb groß, weil sie mit Partnern zusammenleben, die selbst Akademiker sind. Und dann muss man zwei Karrieren unter einen Hut bringen. Und diese beiden Aspekte haben Frauen in Umfragen als die größten Hinderungsgründe, der Physik treu zu bleiben, genannt.

Karkowsky: Eine Fragestellung auf Ihrem Kongress lautet: Brauchen Alphamädchen überhaupt noch Gleichstellung? Das geht ja zunächst mal von einer anderen Prämisse aus. Wie lautet denn da Ihre Antwort?

Denz: Ja, wir sehen ja in der Presse, dass es ganz viele starke Frauen gibt. Es gibt die Alphamädchen, es gibt die neue S-Klasse von Frauen, die anscheinend alle so gleichberechtigt sind, dass nichts mehr zu tun ist. Wenn wir aber in verschiedene Bereiche gucken, und das ist nicht nur die Physik, sondern das sind auch hohe Positionen in der Industrie oder auch im Management, dann stellen wir fest, ganz so viele Alphamädchen kann es noch nicht geben und ganz so viele S-Klasse-Frauen, die diese Bereiche bevölkern, gibt es nicht. Wir wollen also diskutieren, woran es hängt, dass dieses Bild existiert, dass Frauen gleichberechtigt sind, das Bild existiert, dass vielleicht nur Männer gefördert werden müssen, und gleichzeitig doch gerade in den Naturwissenschaften der Technik es nicht genug Nachwuchs von Frauen gibt und dort anscheinend keine Gleichberechtigung erreicht ist.

Karkowsky: Sie hören Cornelia Denz, eine der wenigen deutschen Physikprofessorinnen und Organisatorin der zwölften Deutschen Physikerinnentagung ab heute an der Universität Münster. Frau Denz, Ihre Tagung dient ja auch dazu, junge Frauen zu einem Physikstudium anzuregen. Aufregende Vorbilder gibt es reichlich, Lise Meitner hatten wir genannt. Wer fällt Ihnen denn da noch ein?

Denz: Da fallen mir eine ganze Menge ein, die fast gar nicht bekannt sind, aber ganz Herausragendes geleistet haben. Zum Beispiel Maria Goeppert-Mayer, eine Physikerin, die 1963 den Nobelpreis für Physik bekommen hat. Sie ist damit die zweite Frau nach Marie Curie, die als Frau einen Nobelpreis in Physik bekommen hat, aber kaum bekannt. Und was hat sie entdeckt und entwickelt? Sie hat beschrieben, wie der Atomkern zusammengesetzt ist und was ihn zusammenhält, also eine ganz fundamentale Erkenntnis auch, die sie entwickelt hat und die kaum mehr heute bekannt ist. Und ich denke, an so was sollte man erinnern. Es gibt solche berühmten Frauen und es gibt noch viel mehr. Es gibt zum Beispiel eine Frau, die Doppelsterne entdeckt hat, es gibt Frauen, die in der Strahlenphysik gearbeitet haben, es gibt Frauen, die heutzutage in der Photonik oder in anderen Bereichen der Quanteninformation ganz wegweisende Beiträge liefern, und es gibt Frauen, die auch am größten Experiment der Welt mitarbeiten, an dem neuen LHC-Collider. Und einige dieser Physikerinnen von heute werden eben auf der Tagung ihre neuesten Erkenntnisse präsentieren.

Karkowsky: Können Sie denn, wenn Sie die Entdeckungen von Frauen in der Physik vergleichen mit denen von Männern, Unterschiede feststellen, also, interessieren sich Frauen in der Physik für andere Dinge als Männer?

Denz: Die Qualität der Entdeckungen oder Erkenntnisse ist sicher gleich und auch gleich wichtig. Es gibt sehr, sehr herausragende Erkenntnisse von Frauen wie auch von Männern. Was vielleicht verschieden ist, ist das Interessensgebiet von Frauen, das oft sehr interdisziplinär angelegt ist. Sie haben gerade den langen Titel der Diplomarbeit von Frau Merkel genannt. Da kam also nicht nur die Physik vor, sondern eben auch die Chemie und die Biologie. Und das ist etwas, was man sehr oft merkt, dass Frauen sich für das interdisziplinäre Grenzgebiet zwischen Physik, Biologie, Chemie oder auch anderen Wissenschaften interessieren, und da dort sehr viele offene Fragen vorhanden sind, bringen sie diese Gebiete sehr stark voran.

Karkowsky: Glauben Sie, dass an Frauen von außen auch ein anderer Anspruch an ihre Ethik gestellt wird, wenn sie in der Physik arbeiten? Da geht es ja nicht immer darum, Leben zu erhalten, sondern es kann ja zum Beispiel bei der Kernspaltung auch um andere Sachen gehen.

Denz: Tatsächlich hat sich in der Physik ja das Bewusstsein insgesamt verändert. Früher war man der Meinung, wenn man die Wissenschaft der unbelebten Natur betreibt, dann gibt es da wenig ethische Fragen. Das hat sich geändert. Die Fragen der Kerntechnik sind sicherlich ein Grund dafür, aber auch der Nanowissenschaften sind ein Grund dafür. Frauen fragen sich diese Fragen oft selbst vielleicht eher als einige der Kollegen, doch tatsächlich engagieren sie sich genauso wie Männer in den Gruppierungen, die mit dafür sorgen, dass die Ethik in der Physik auch aufrechterhalten wird.

Karkowsky: Wie gehen denn nun Ihre männlichen Kollegen damit um, dass Sie einen Physikerinnenkongress veranstalten? Haben die das Konzept vom Gender Mainstreaming mittlerweile geschluckt oder gibt es da viel Widerstand?

Denz: Tatsächlich ist es so, dass alle, in den meisten Fachbereichen Deutschlands, der Meinung sind, dass wir, wenn wir Frauen nicht fördern, einen Großteil der Kapazitäten für Wissen und für neue Erkenntnisse verlieren. Von daher ist, denke ich, die Gleichstellung und die Frauenförderung in diesen Fachbereichen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind, inzwischen anerkannt und wird auch sehr aktiv von Männern und Frauen betrieben. Die Physikerinnentagung hat auch noch mal einen besonderen Aspekt. Sie möchte nämlich Physikerinnen, auch jungen Nachwuchswissenschaftlerinnen, die Möglichkeit bieten, sich zu vernetzen. Und das ist natürlich etwas, was sehr ungewohnt ist für viele. Es gibt nie so viele Frauen, so viele Physikerinnen und Wissenschaftlerinnen an einem Ort wie bei dieser Tagung. Wir erwarten heute so ungefähr 250 Physikerinnen aus ganz Europa, hauptsächlich aus dem deutschsprachigen Ausland, und das ist natürlich ungewohnt. Und da gibt es welche, die schon mal schauen und sich überlegen, was da Verwunderliches passiert, dass auf einmal so viele Frauen an einem Ort der Physik sich widmen. Aber tatsächlich haben wir auch viele männliche Kollegen, die aufgrund der Hochkarätigkeit und der Besonderheit der Vorträge diese auch besuchen. Das heißt, es ist ein gemischtes Publikum und das hat den Vorteil, dass Physikerinnen sich hier treffen und diskutieren und auch Themen weiterentwickeln können.

Karkowsky: Heute beginnt in Münster die zwölfte Deutsche Physikerinnentagung, organisiert von Cornelia Denz. Sie ist Professorin für Angewandte Physik an der Universität Münster. Frau Denz, vielen Dank für das Gespräch.

Denz: Ich danke Ihnen.