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"Das neue Südafrika steckt voller Ironien und Gegensätze"

Aufgewachsen in Pretorias Oberschicht, der Vater war Richter, die Mutter Journalistin begann Damon Galgut bereits als Schüler für sich Geschichten zu erfinden und veröffentlichte dann mit 17 seinen ersten Roman, auf den er so wenig stolz ist, dass er bei einer Wiederveröffentlichung alter Werke es kürzlich ablehnte, auch ihn nachdrucken zu lassen. Von seinen sechs Romanen sind die letzten drei ins Deutsche übersetzt worden: ‚Sündenopfer’, ‚Der gute Doktor’ und jetzt ‚Der Betrüger’. Dass Kindheitserlebnisse einen Schriftsteller prägen, ist eine Binsenweisheit. Dass sie ihn überhaupt erst zum Schriftsteller machen, ist schon ungewöhnlicher. Wer allerdings durchgemacht hat, was der 45jährige Südafrikaner Damon Galgut als Fünfjähriger hat durchleiden müssen, der wird davon sein Leben lang geprägt bleiben.

Von Johannes Kaiser | 20.04.2009
    "Ich war als kleiner Junge jahrelang sehr krank, hatte eine Krebsform, die bei Kindern auftritt, und während ich im Krankenhaus lag und behandelt wurde, besuchten mich meine Verwandten, vor allem meine Mutter und lasen mir vor. Und ich erinnere mich sehr deutlich an die Assoziationen, die ich mit dem Lesen damals verband. Ich verband es mit Liebe und Aufmerksamkeit und Fürsorge und daraus entstand dieser Wunsch, für mich selbst Geschichten zu schreiben."

    Seit dieser Zeit hat Damon Galgut nie mehr aufgehört, sich Geschichten auszudenken. Lange begriff er nicht, in welch privilegierten Verhältnissen er in der Regierungshauptstadt Pretoria aufwuchs, nahm wie viele unpolitische Weiße die Apartheid als gegeben, ohne darüber groß nachzudenken. Erst auf der Universität, in Südafrika ein Hort der Widerstands, begann er ein politisches Bewusstsein zu entwickeln. Den letzten Schub aber brachte die heftige Kritik an seinem stark autobiografisch geprägter Roman ‚A small circle of beeings’ über ein krebskrankes Kind, der 1988 erschien.

    "Dass ich von bestimmten Kritiker sehr hart angegangen wurde, war für mich ein Schock. Sie warfen mir vor, mich als junger weißer Südafrikaner nur für mein persönliches Trauma, meine persönliche Katastrophe zu interessieren und keinerlei Interesse für die gewichtigeren politischen Verhältnissen zu haben. Das hat mich schockiert, denn in den meisten Gesellschaften auf der Welt hätte man jederzeit über seine eigenen Katastrophen schreiben können. Eine schwere Krankheit in der Kindheit wäre ein völlig legitimes Thema für ein Buch gewesen. Aber das galt nicht für Südafrika. Danach fing ich an zu begreifen, in was für einer Gesellschaft ich eigentlich lebte. Ironischerweise erlebte Südafrika gerade in dem Moment seine große Veränderung, in dem ich begann, mich zu politisieren. Da war ich 25,26. Theoretisch hätte ich jetzt problemlos über alles außer Politik schreiben können, nur heute denke ich politisch. Wenn man aus Südafrika stammt, dann ist es sehr schwer, die politischen Elemente raus zu halten, denn sie gehören zu jedermanns Leben hinzu und egal wer man ist, man lebt auf die eine oder andere Weise mit den Konsequenzen der Politik. Sie gehört zu allem dazu."

    So ist denn auch sein jüngster Roman ‚Der Betrüger’ durchaus als Abrechnung mit der augenblicklichen südafrikanischen Gesellschaft zu verstehen. Adam, ein weißer Angestellter verliert seinen Job an einen Schwarzen, der im Rahmen der besonderen Förderpolitik der Regierung eingestellt wird. Er beschließt daraufhin ganz auszusteigen, sich in das Haus seines Bruders mitten auf dem Land zurückzuziehen und wieder wie in seiner Jugend Gedichte zu schreiben. Doch das funktioniert nicht – eine Erfahrung, die er mit seinem Erfinder Damon Galgut teilt, der auch einmal total abgebrannt in die Einöde der Karoo zog und dann keine Zeile zu Papier brachte, stattdessen Unkraut im Garten jätete.
    In dem kleinen Kaff, in dem Adam wohnt, trifft er eines Tages auf Canning, einen ehemaligen Schulkameraden, an den er sich allerdings überhaupt nicht erinnern kann. Doch der ist ihm aus einem Grund, den er nicht versteht und der erst ganz am Ende des Buches enthüllt wird, unglaublich dankbar für einen damaligen Rat und lädt ihn auf seine prächtige Farm ein. Bei seinen Besuchen dort bekommt Adam mit, wie Canning seine Farm an Landentwickler verscherbelt.

    "Canning ist gewissermaßen eine tragische Figur, ein bisschen pathetisch. Er ist jemand, den man rasch wieder vergisst, so wie Adam ihn trifft und keine Ahnung hat, wer er ist. Selbst diejenigen, die ihn benutzten, um an die große Farm zu kommen, die er geerbt hat, vergessen, woher sie ihn kennen. Das ist umso berührender, als sich umgekehrt Canning sehr deutlich an Adam aus der Schule erinnert und was er für ihn bedeutete. Nur wird das von Adam nicht erwidert. Aber das trifft ja auch auf das wirkliche Leben zu. Wir erinnern uns an bestimmte Orte, bestimmte Ereignisse, messen ihnen eine ungeheure Bedeutung bei und gehen davon aus, dass alle anderen, die dabei waren, das genauso intensiv empfinden wie wir. Das trifft nicht unbedingt zu, denn wir sind es, die den Dingen Bedeutung geben. Die besitzen sie nicht von Natur aus. Dieses Ungleichgewicht sollte im Mittelpunkt des Buches stehen."

    Adam ist zu einem Gutteil dafür verantwortlich, dass Canning den Familienbesitz verkauft. Er rächt sich im Nachhinein an seinem gewalttätigen, hartherzigen Vater, der ihn einst enterbte. Adam hat ihn unbewusst in seinen Absichten bestärkt und das bringt ihm Cannings Dankbarkeit ein. Dass der Großstadtaussteiger immer wieder aus seiner ländlichen Einsamkeit dessen Farm besucht, liegt allerdings vor allem an Cannings junger hübscher schwarzer Frau Baby. Adam verfällt ihr und fängt mit ihr ein Verhältnis an. Das kann nicht gut gehen.

    "Baby ist eine Betrügerin, so wie es im Buch mehrere gibt. Solchen wie Baby begegnet man unglücklicherweise immer öfter in Südafrika. Sie ist sehr hübsch und sie nutzt diesen Vorzug zu ihrem Vorteil. Sie will die soziale Leiter so hoch wie nur möglich aufsteigen und weiß, wie man sich in jeder Situation anpasst. Sie hat Canning für sein Geld und seine Position geheiratet. Sie nutzt ihn aus, um noch höher zu steigen. Sie diente mir als Figur, auch wenn sie nicht sehr sympathisch wirkt, um all diese modischen Phrasen zu widerlegen, die mit diesem afrikanischen Begriff obuntu verbunden sind. Den haben wir oft nach der Wende gehört. Obuntu bedeutet Gemeinschaft und sich Umeinanderkümmern, Zusammenhalten. Es zeigt sich nach 14 Jahren nicht mehr viel Obuntu in der Demokratie, tut mir leid. Es geht immer mehr um persönlichen Gewinn, persönliche Gier und Baby ist dafür typisch. Man kann Leute wie sie nicht mal dafür anklagen. Sie sind ohne jede Chance, ohne Zukunft aufgewachsen. Jetzt sehen sie die Gelegenheit, etwas für sich zu bekommen und greifen zu, aber das geht unglücklicherweise auf Kosten vieler anderer. Das entschuldigt die Korruption nicht, aber man begreift, warum es sie gibt. Da gibt es die Möglichkeit und man kann sie ergreifen und kommt damit durch. Also sagen sie sich: warum nicht. Von diesem ‚warum nicht’ hängt allerdings die gesamte Zukunft des Landes ab. Baby steht für diese Leute, die nur an sich selbst interessiert sind, nicht an der Gemeinschaft, aus der sie kommen."

    So nutzt Baby Adam zwar für ihre sexuellen Bedürfnisse, ansonsten aber bedeutet er ihr wenig. Schließlich hat er nichts zu bieten. Sie lässt ihn fallen, sobald sie ihn nicht mehr braucht. Doch auch Canning spannt Adam für seine Zwecke ein, missbraucht ihn als Geldboten, um sich die Zustimmung der örtlichen Politiker zu erkaufen, damit die Farm gegen alle Umweltgesetze zum Golfplatz umgewidmet werden kann. Viel Geld fließt dabei.

    "Im Buch spiegelt sich die wachsende Korruption wieder. Sie ist das ständige Thema jeder Nachrichtensendung, jeder Zeitung, in die man dieser Tage einen Blick wirft. Es gibt eine sehr gierige, schnapp-es-dir-wo-immer-du-kannst Mentalität und das ist wieder eine dieser südafrikanischen Ironien. Es ist ein Land, in dem 50% der Menschen unter der Armutsgrenze leben und gleichzeitig entsteht überall eine unglaubliche Zahl von Golfplätzen. Für mich ist diese Art von Geisteshaltung sehr symptomatisch. Wir haben nun diese multiethnische Demokratie, aber es gibt eine neue Elite, die sich mit genauso viel zynischer Gier die Taschen füllt wie die alte Truppe. Nur die Regeln sind andere. Für einen Schriftsteller ergibt das reiche Ernte."

    Am zynischsten verhält sich in diesem Dreiecksverhältnis die junge Schwarze. Kalt berechnend erreicht sie ihr Ziel. Auch Canning bekommt, was er wollte. Dass er Adam für seine schmutzigen Geschäfte einspannt, bringt den letztlich in große Gefahr. Er muss für eine Weile untertauchen.

    "Adam hat etwas von einem Verlierer, von einem Aussteiger. Er sollte ein Außenseiter sein, anders formuliert, er sollte Zeuge der Betrügereien, der Machtspiele sein, als Außenseiter nur zuschauen. Er verfolgt zwar seine eigenen Ziele, aber er erreicht nichts. So ist er ist das Auge, das bei den anderen Geschichten zuschaut und letztlich werden diese Geschichten auch zu seiner eigenen, weil sein Leben da mit reingezogen wird."

    Es ist kein sympathisches Bild, das Damon Galgut von Südafrika heute entwirft, aber ein sehr realistisches. Die Rassentrennung mag aufgehoben sein, die Klassentrennung existiert umso deutlicher, nur dass die Hautfarbe dabei eine eher untergeordnete Rolle spielt. Geld regiert. Doch es geht nicht nur darum. Damon Galgut hat mit seinem Roman noch mehr im Sinn gehabt:

    "Auf einer anderen Ebene geht es bei dieser ganzen Geschichte natürlich auch um das ganze Problem von Erinnerung und Vergessen. Das spielt im Augenblick in Südafrikas Leben eine zentrale Rolle. Diese Frage ist eben, was wir mit dem Land anstellen. Können wir daraus großen Gewinn schlagen und dabei völlig vergessen, wie man sich um dieses Land gestritten und sich die Köpfe blutig geschlagen hat im langen Kampf darum, wer das Recht hat, auf ihm zu leben? Dieses Hin und Her zwischen Erinnerung und Vergessen ist sehr typisch für das derzeitige Südafrika."

    Damon Galgut versteht sich keineswegs als politischer Schriftsteller. Und doch ist seine Geschichte des Aussteigers Adam unter der Hand zu einem fulminanten und mitreißenden Porträt Südafrikas gewachsen. Doch das liegt in der Natur der Sache:

    "Das neue Südafrika bietet einem Schriftsteller reichhaltiges Material. Es steckt voller Ironien und Gegensätze, voll verschiedener Ebenen, die ineinander greifen. Die breiten Pinselstriche, mit der die Politik zu Zeiten der Apartheid funktionierte, sind verschwunden. Sie ist voller Kompromisse und Schatten, merkwürdigen kleinen Komplikationen und all das kann ziemlich interessante Situationen und Figuren heraufbeschwören, wenn man dafür aufnahmefähig ist."

    Damon Galgut ist das literarische Echo Südafrikas, seine Stimme, sein Gewissen. Er hat viel zu erzählen und das kann er glänzend. Die weiße Postapartheidliteratur trägt sein Gesicht.

    Damon Galgut, ‚Der Betrüger’, Übers. Thomas Mohr, Manhattan Verlag München 2009, 302 Seiten, 19,95 Euro.