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Archiv

DDR-Aufarbeitung
Die Zukunft der Stasi-Unterlagenbehörde

Was wird künftig aus der Stasi-Unterlagenbehörde und ihren Akten? Die vom Bundestag eingesetzte Böhmer-Kommission hatte eine weitgehende Reform empfohlen. Doch stimmte der Bundestag im Juni dem Antrag von CDU und SPD zu, vorerst nichts zu entscheiden. Nun soll ein neues Konzept erarbeitet werden, wie die Akten unter das neue Dach zu überführen sind.

Von Isabel Fannrich-Lautenschläger | 07.07.2016
    Das Archiv der Stasiunterlagenbehörde in Berlin. Die Zukunft der Behörde ist ungewiss.
    Das Archiv der Stasiunterlagenbehörde in Berlin. Die Zukunft der Behörde ist ungewiss. (dpa / picture-alliance / Klaus-Dietmar Gabbert)
    Berlin Lichtenberg. Nur wenige Meter von der früheren Stasi-Zentrale entfernt, wo neben einem Museum über die DDR-Staatssicherheit die Akten lagern.
    "Ich bin eher dafür, dass sie hier bleiben, weil ich finde, dass das historisch gewachsenes Material ist."
    "Ich komm zwar aus dem Osten, aber ich habe andere Probleme."
    "Es ist höchste Zeit, dass man das schließt. Es ist alles geklärt."
    Dass der Bundestag jüngst eine Entscheidung über die Vorschläge der Expertenkommission zur Zukunft der Stasi-Akten vertagt hat, wundert Stasi-Forscher Ilko-Sascha Kowalczuk nicht. Die Wissenschaftler und Politiker der sogenannten Böhmer-Kommission hätten nicht vermittelt, was künftig besser werden soll, wenn die Stasi-Akten zum Bundesarchiv gehören. Warum es Sinn macht, die Stasi-Unterlagenbehörde und ihr besonderes Gesetz aufzulösen. Oder weshalb aus dem Behördenchef ein Ombudsmann für die Opfer der kommunistischen Diktatur und aus den hauseigenen Wissenschaftlern eine unabhängige Forschungsstelle werden soll.
    "Insofern mussten ihre Vorschläge fast nach hinten losgehen. Weil gewissermaßen die Philosophie ihrer Ideen fehlte. Und das Zweite, was dann passierte, dass Opferverbände gegen diese Expertenkommissions-Vorschläge mobilisierten. Und da haben wir einen politisch interessanten Vorgang beobachten können, dass diese Verbände, die einige Opfer repräsentieren, nach wie vor eine geradezu Übermacht in der politischen Entscheidungsfindung in Deutschland haben. Und die Politik, die knickt regelmäßig seit Jahren, mittlerweile kann man sagen seit Jahrzehnten, vor diesem Lobbyisten-Gebahren ein. Das ist im Prinzip der eigentliche Skandal daran, diese Feigheit dieser Politik."
    Der Bundestag hat im Juni ausgerechnet die beiden involvierten Häuser damit beauftragt, ein Konzept für den "Transformationsprozess" zu erarbeiten: den noch in der selben Sitzung für fünf Jahre wieder gewählten Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen Roland Jahn und das Bundesarchiv. Über das Konzept muss die Politik erneut abstimmen.
    Für Roland Jahn bedeutet diese Wendung keinen Stillstand. Auf einer Veranstaltung der Bundesstiftung Aufarbeitung zum Thema "Vergangenheit mit Zukunft" betonte er diese Woche, die Vorschläge der Expertenkommission lägen nach wie vor auf dem Tisch.
    "Wir haben den Auftrag, das zu ermöglichen: das Stasi-Unterlagenarchiv als Symbol der Revolution deutlich sichtbar unter dem Dach des Bundesarchivs zu erhalten."
    Erst das Konzept, dann die Entscheidung, wie es mit der Behörde weiter geht. Für Jahn stehen die Aufgaben im Vordergrund – nicht das Etikett, ob am Ende BStU oder Bundesarchiv über der Behörde steht.
    "Das ist doch das Entscheidende: Wie, unter welchen Bedingungen werden dem Bürger die Akten zur Verfügung gestellt? Wie können wir Forschung und Bildung so gestalten, dass auch die nächsten Generationen was davon haben? Dass die Forschung in Zukunft frei ist und nicht den Zwängen einer Behördenforschung unterliegt und nur auf das Thema Staatssicherheit fixiert ist."
    Wird Geschichte hier instrumentalisiert?
    Es geht allerdings um viel mehr als die Zukunft der Akten und der Behörde. Welche Art von Aufarbeitung ist gesellschaftlich gewollt? Welche Aufgabe übernimmt die politische Bildung zu einem Zeitpunkt, wo immer mehr Menschen in Deutschland die SED-Diktatur nicht mehr erlebt haben? Wie soll die Forschungslandschaft, in der die DDR-Vergangenheit universitär kaum vertreten ist, gestaltet werden?
    An einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur bestehe von politischer Seite kein Interesse mehr, stellt der Historiker Kowalczuk fest. Statt dessen werde Geschichte instrumentalisiert, um die Gegenwart zu legitimieren und den Status quo zu bewahren. Die ritualisierte Diskussion sei an Langeweile kaum zu überbieten.
    Die vielen Akteure des "Aufarbeitungskombinats", wie Kowalczuk es nennt, wollen sich finanzielle Zuwendungen, Einfluss und nicht zuletzt die Deutungshoheit sichern - darunter Opferverbände und Aufarbeitungsinitiativen, die Stiftung Aufarbeitung, die Bundeszentrale für politische Bildung und außeruniversitäre Forschungsinstitute wie das Zentrum für Zeithistorische Forschung und das Institut für Zeitgeschichte. Dabei kontrollieren sie sich gegenseitig, kritisiert der Forscher:
    "Der Tross zieht praktisch jede Woche von einer Institution zur andern. Und diejenigen, die das Sagen haben, treffen sich jede Woche in einer anderen Institution, entweder in ihrer Eigenschaft als Verantwortliche dieser Institution oder als Mitglieder der Beiräte. Und deshalb läuft das auch alles für Außenstehende nach etwas merkwürdigen Spielregeln, die man kaum durchschaut, mit sehr starken persönlichen Verflechtungen."
    Neubert legte Minderheitsvotum vor
    Hildigund Neubert, die frühere Thüringer Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, hat dies als Mitglied der Expertenkommission zu spüren bekommen. Als einzige trug sie die Empfehlungen nicht mit, sondern legte ein Minderheitsvotum vor. Darin fordert sie, die Behörde nicht aufzulösen, sondern zu reformieren, ihren Verwaltungsapparat zu verkleinern und die Archive in den Außenstellen technisch zu modernisieren.
    Nach dem Bundestagsbeschluss freut sie sich, dass die Behörde, das Stasi-Unterlagengesetz und das Amt des Behördenleiters zunächst einmal gerettet scheinen. Für sie stehen jetzt allerdings strukturelle Veränderungen an: In einem Brief hat sie Richard Schröder, den Vorsitzenden des Beirates, zum Rücktritt aufgefordert.
    "Er hat seit 1998 den Vorsitz, ist seit 1992 Mitglied dieses Beirats. Und der Beirat hat seine Einwirkungsmöglichkeiten ganz offensichtlich nicht genutzt. Und ich finde, ein Vorsitzender, der die Abschaffung des Beratungsgegenstandes fordert, kann diese Behörde nicht mehr beraten."