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Christine Lagarde: Resolut und kämpferisch

Keine Frage: Mit Christine Lagarde hofft Frankreich insgeheim, sich von der Schande und Schmach der Strauss-Kahn-Affäre reinzuwaschen. Die 55-Jährige selbst glaubt auch an die Unterstützung durch die Schwellenländer.

Von Burkhard Birke | 26.05.2011
    "Meine Kandidatur steht im Kontext eines universellen und zugleich offenen Prozesses, bei dem sich jeder fragen sollte: Kann ich dem IWF dienen, nicht als Europäerin oder Französin, nicht als Finanzministerin, sondern
    als jemand, der für den IWF und seine 187 Mitglieder da ist."

    Christine Lagarde weiß um die Ansprüche und Sensibilitäten der Schwellenländer. Genau deshalb hat sie gestern, einen Tag vor dem G8-Gipfel, ihren Hut in den Ring geworfen. Nicht – oder nicht nur als Kandidatin der Mächtigen - will die hochgewachsene, stets braun gebrannte Finanzministerin mit den kurzen grauen Haaren ihre Kandidatur vorantreiben. Sie sieht sich als Fachfrau, wobei die Betonung auf Frau liegt.

    Weniger Testosteron, weniger Libido in öffentlichen Ämtern: Darin sieht die 55-jährige Mutter zweier erwachsener Söhne einen Vorteil ihres Geschlechtes, wie sie in einem vorahnungsvollen Interview einmal zu Protokoll gab!

    Keine Frage: Mit Christine Lagarde hofft Frankreich insgeheim, sich von der Schande und Schmach der Strauss-Kahn-Affäre reinzuwaschen, auch wenn selbstverständlich für den beschuldigten ehemaligen IWF-Direktor nach wie vor grundsätzlich die Unschuldsvermutung gilt.

    Inhaltlich will Christine Lagarde die Reformbaustelle beenden. Und als Finanzministerin des Landes, das zurzeit den G8 und G20-Vorsitz führt, liegt ihr die Erneuerung des Weltwährungs- und Finanzsystems natürlich besonders am Herzen.

    "Im Zuge der Krise ist der IWF völlig legitim zum Herzstück der internationalen Reaktion geworden: Seine Kontroll- und Steuerungsmechanismen sind gründlich erneuert worden. Es liegt jedoch noch ein Stück Weg vor uns, um eine bessere Repräsentativität und Flexibilität zu erzielen."

    Eine gigantische Herausforderung, für die sie den größtmöglichen Konsens sucht. Christine Lagarde weiß, was sie will, tritt resolut auf, kämpft gegen den Schlendrian und ist zweifelsohne die Angelsächsischste im Kabinett. Die ehemalige Vizemeisterin im Synchronschwimmen kann durchaus auch einmal gegen den Strom schwimmen.

    Im Streit um die Bankenfinanzhilfen soll sie Nicolas Sarkozy gar schon einmal ihren Rücktritt angeboten haben. Der Präsident indes weiß ihre Loyalität und ihre Kompetenz zu schätzen, obwohl er Christine Lagarde aus wahltaktischen Gründen ihr Ressort etwas beschnitten hat, um andere zu featuren.

    Dieser Umstand dürfte Lagarde den Abgang erleichtern. Ohnehin hatte man spekuliert, ob die einstige Chefin der mittlerweile zweitgrößten Wirtschaftsanwaltskanzlei der Welt Baker und McKenzie nicht in die Wirtschaft und/oder in die USA zurückkehrt, wo sie studiert und lange Jahre überaus erfolgreich gearbeitet hatte. Premierminister Dominique de Villepin war es, der sie unter Präsident Chirac als Handelsministerin als Quereinsteigerin in die Politik holte. Präsident Sarkozy weiß ihre Qualitäten zu schätzen und hatte ihr angeblich sogar das Außenamt bei der letzten Kabinettsumbildung angetragen. Loyalität will belohnt werden: Denn es war Christine Lagarde, die Deutschland öffentlich kritisierte, es spare und konsolidiere zuviel.

    "Deutschland hat zum einen natürlich beachtliche Erfolge vorzuweisen. Da kann man sich durchaus inspirieren. Andererseits muss in einer Solidarzone, wie der Eurozone jeder einen Beitrag leisten. Die Defizitländer müssen ihre Defizite abbauen, und das besitzt Priorität und die Überschussländer müssen einsehen, dass sie nicht alleiniger Motor sind und ihr Wachstum aus anderen Quellen speisen müssen."

    Finanzminister Wolfgang Schäuble trug es mit Fassung. Er schätzt seine Amtskollegin, die volle fünf Jahre beim IWF anstrebt und ihr Amt wegen der
    G20-Aktivitäten auch in der Bewerbungsphase nicht ruhen lassen will.
    Stolpern könnte Lagarde allerdings noch über die Affäre Tapie. Denn als Finanzministerin schloss sie einen Vergleich mit dem illustren Geschäftsmann. Tapie hatte den Staat auf Schadensersatz verklagt, weil der verstaatliche Crédit Lyonnais sein Adidas Aktienpaket unter Wert verkauft hätte.
    Auf einen Schlag bekam Tapie 285 Mio EURO vom Staat, eine in Augen von Experten in dieser Höhe nicht gerechtfertigte Summe.

    "Es läuft zurzeit gerade eine Untersuchung. Wir befinden uns in einer Demokratie Natürlich lege ich Wert darauf, dass all diese Fragen geklärt werden. Ich setze mein Vertrauen in die Untersuchung, weil ich ein reines Gewissen habe und stets im strikten Interesse des Staates und unter Einhaltung der Gesetze gehandelt habe."

    Am 10. Juni wird entschieden, ob formell Anklage erhoben wird. Dann läuft auch die Bewerbungsfrist beim IWF ab. So ein Zufall!?