Hebammenmangel

Geburtsvorbereitung via Internet

Eine schwangere Frau
Aus der Not heraus: Manche Schwangere suchen sich Rat im Internet. © picture alliance/dpa/Foto: Heiko Wolfraum
Von Amelie Ernst · 31.07.2018
Hebammen fehlen überall – in Zeuthen bei Berlin ist es besonders schlimm. Manche Frauen bereiten sich dort nur mit Hilfe des Internets auf die Geburt vor. Eine neue Hebammenschule soll das Nachwuchsproblem lösen, aber eine Garantie ist das nicht.
Zu viele Babys, zu wenige Hebammen: Über der Gemeinde Zeuthen südlich von Berlin prangt ein dicker lila Fleck – zumindest auf der "Landkarte der Unterversorgung" des Deutschen Hebammenverbandes. Demnach ist der Hebammenmangel hier besonders groß. Typisch Speckgürtel.
Egal, wen man vor der Kita "Kleine Waldgeister" fragt: Jeder kennt das Problem.
"Ich habe bestimmt 20 Hebammen im Umkreis angerufen."
"Es war quasi ganz am Schluss, wo schon keine Hoffnung mehr bestand, die hat’s dann quasi übernommen."
"Ich habe, wie bei Erstmamis üblich, mich im dritten Monat nach ´ner Hebamme erkundigt. Ich hab‘ noch eine gekriegt. Freunde sagen, wenn man nicht sofort nachfragt, wenn man schwanger ist, dann kriegt man keine mehr."

Nachwuchsmangel wegen Haftpflichtprämie

Viele Hebammen, die jahrzehntelang freiberuflich gearbeitet haben, gehen derzeit in Rente. Besonders drastisch sind die Folgen in Frankfurt/Oder: Gerlinde Schücke ist 66 und die letzte freiberufliche Vollzeit-Hebamme in Frankfurt und Umgebung - noch.
"In Frankfurt geht’s mir bestimmt dreimal die Woche so, dass Frauen nachfragen. Wo ich jetzt natürlich sagen muss, dass ich seit Januar Rentnerin bin. Ich mache jetzt noch meine Kurse, aber es wird keine neuen mehr im nächsten Jahr geben. Die Betreuung wird langsam ausklingen."
Und das heißt für viele Schwangere in Frankfurt: Weit fahren – oder Geburtsvorbereitung auf eigene Faust, zum Beispiel via Internet. Tatsächlich berichten Sozialarbeiter davon, dass mehr und mehr Frauen wegen der komplizierten Suche ganz auf eine Hebamme verzichten und unvorbereitet in die Geburt gehen. Außerhalb von Frankfurt sieht es nicht viel besser aus. Auch Agnes Felgendreher in Fürstenwalde muss regelmäßig Frauen abweisen.
"Ich hatte jetzt eine Frau, die ich betreut hatte beim ersten Kind, die mich jetzt beim zweiten Kind anrief, wo der Mann noch nicht mal wusste, dass sie schwanger ist, weil sie so Angst hat, keine Hebamme zu finden. Und ich habe jetzt selbst für Januar acht Frauen ablehnen müssen."
Die Hauptursache für den Nachwuchsmangel bei den Hebammen sieht Agnes Felgendreher zum einen in den nach wie vor hohen Haftpflichtprämien. Zum anderen sind es die Arbeitsbedingungen: mäßige Bezahlung, Stress und Schichtdienste, immer am Rande der Belastbarkeit - egal ob freiberuflich oder angestellt im Klinikum.

Zu wenig Personal und zu viel Stress

"Man ist quasi 24 Stunden sieben Tage die Woche in Rufbereitschaft, gibt so ein Stück vom eigenen Leben auch ab, weil man immer das Telefon dabei hat – egal ob man duschen geht, ins Kino möchte. Man überlegt, kann ich jetzt die Familie besuchen fahren, die vielleicht eine Stunde entfernt wohnt, habe ich da Handyempfang, dass die Frau mich erreicht. Und für die vielen Einschränkungen, die man da hat, da habe ich dann irgendwann gesagt: Für mich isses das so nicht, ich arbeite nur noch ohne Geburten."
Es dreht sich im Kreis: Zu wenig Personal sorgt für zu viel Stress. Und der Nachwuchs bleibt aus, weil der Stress zu groß ist. Bis Ende 2017 schlossen in Brandenburg nur alle drei Jahre höchstens 15 Hebammen und Entbindungshelfer ihre Ausbildung ab, an der bis dahin einzigen Hebammenschule des Landes in Cottbus. Seit November gibt es nun eine zweite Schule in Eberswalde, nördlich von Berlin. Hier vermittelt Ausbildungsleiterin Aline Queck weiteren 20 Schülerinnen die Grundlagen rund um Kreißsaal und Geburt. Heute geht es um die Routine direkt nach der Geburt.
Es brauchte einige Anläufe, um alle 20 Ausbildungsplätze zu besetzen – und manch eine Hebammenschülerin musste sich vorab auch kritische Fragen zu ihrer Berufswahl gefallen lassen.
"Tatsächlich wird man häufig angesprochen, ob man sich das in der heutigen Zeit gut überlegt hat, das zu machen. Und ich denke dann immer: ‚Nee, das sind nicht die Gründe, warum ich das mache.‘ Es geht um den Beruf. Und wir brauchen neue Leute, die die Hebammen dann auch ersetzen."

Die Politik hat den Bedarf jahrelang unterschätzt

"Ich habe die Ausbildung ja nicht angefangen, weil ich dachte, da verdient man besonders viel Geld oder man hat tolle Freizeitgestaltungsmöglichkeiten, sondern weil ich einfach Lust auf diese Ausbildung hatte."
Zum Glück sähen das immer noch viele junge Frauen so, meint Felizitas Kronbügel, die Leiterin der Hebammenausbildung in Cottbus. Allerdings habe die Politik den Bedarf an neuen Hebammen jahrelang unterschätzt.
"Sicherlich auch, dass man nicht überschaut hat, was an Nachwuchsarbeit zu leisten ist. Ich selbst musste mich noch vor fünf, sechs Jahren rechtfertigen, warum wir überhaupt Hebammen ausbilden in Brandenburg – werden die überhaupt gebraucht? Dann sage ich immer: ‚Wenn man keine Hebammen braucht, dann braucht man nichts anderes mehr, weil auf den Anfang kommt es an.‘ Und dass man auch nicht überblicken konnte, was die demografische Entwicklung betrifft. Wir haben ja wesentlich mehr Geburten in den letzten zwei, drei Jahren als die Prognosen jemals hergegeben haben."

Neue Hebammenschule in Eberswalde

Genau deshalb wolle man nun mit der neuen Hebammenschule in Eberswalde nachsteuern, entgegnet Brandenburgs Gesundheitsministerin Diana Golze. Doch selbst wenn künftig mehr neue Hebammen ihre Ausbildung absolvierten – eine Garantie sei das nicht.
"Das Grundproblem ist: Wer Hebamme gelernt hat, der kann natürlich wie ein Arzt oder eine Ärztin diesen Beruf an jeder Stelle seiner Wahl ausüben. Das heißt, wir haben eine reguläre Hebammenausbildung im Land Brandenburg, wissen aber nicht, wo bleiben die."
Viele der Hebammenschülerinnen in Cottbus und Eberswalde stammen aus der Region und wollen auch hier bleiben, sagen sie. Wenn sie erstmal genug Erfahrung gesammelt haben.
"Wenn’s nach mir geht auf jeden Fall erstmal Klinik, um viele Sachen zu sehen, die einen erwarten können. Und dann kann man in die Freiberuflichkeit gehen."
"Also ich würde auf jeden Fall lieber auf dem Land arbeiten. Zum einen bin ich eher der Land-Mensch. Ich hab‘ auch mein erstes Ausbildungsjahr in ‘ner großen Klinik verbracht. Das war auch ein Krankenhaus, in dem die ganzen Frühchen zur Welt kommen und die Frauen hinkommen, die große gesundheitliche Probleme haben, und da muss man ein ganz anderer Typ sein, als ich es bin."

Brauchen Hebammen einen Bachelor?

Doch selbst wenn alle 35 Brandenburger Hebammenschülerinnen in den nächsten Jahren ihre Ausbildung abschließen und in der Region bleiben, könnte dann schon das nächste Nachwuchsproblem warten: Denn europaweit wird darüber diskutiert, ob Hebammen künftig einen Bachelor-Abschluss brauchen. Jens Reinwardt schüttelt da nur den Kopf. Er leitet die Akademie der Gesundheit, die Trägerin der Hebammenschule in Eberswalde.
"Es ist doch keine elitäre Ausbildung – wo kommen wir denn da hin! Und der Vergleich mit Europa hinkt aus meiner Sicht, denn wir haben ein starkes berufliches Bildungssystem. In vielen anderen europäischen Ländern gibt’s das überhaupt nicht. Also ich denke. Wir sollten mal auf dem Boden der Tatsachen bleiben: Auch die Hebammenausbildung ist ein Handwerk."
Nur die wenigsten Hebammenschülerinnen in Cottbus und Eberwalde haben das Abitur – andererseits würde ein Uni-Abschluss den Beruf für manch eine vielleicht attraktiver machen, auch wegen der Möglichkeit, in anderen EU-Ländern zu arbeiten. Dann stünden viele werdende Mütter in Brandenburg allerdings wieder vor der gleichen Frage wie heute: Lange warten, weite Wege in Kauf nehmen – oder ganz auf eine Hebamme verzichten.
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