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"Niemand hat mehr Angst vor den deutschen Denkern"

Der Medien- und Kommunikationstheoretiker Norbert Bolz geht nicht davon aus, dass die von Jürgen Habermas geprägte Diskurstheorie die Zeit überstehen wird. Die Theorieangebote Habermas' stellten nur eine Art "Ersatzreligion" dar, so Bolz. Habermas habe vor allem als "größter Netzwerker, der je in der Geistesgeschichte Deutschlands tätig war" Bedeutung.

Norbert Bolz im Gespräch mit Mascha Drost | 18.06.2009
    Mascha Drost: Diesen Geburtstag konnte man gar nicht vergessen - seit einer Woche schon prangt sein Bild als eindrucksvolle Geburtstagserinnerung auf dem Titelblatt der "Zeit" und heute ist es so weit: Jürgen Habermas feiert seinen 80. Geburtstag. Seitenlange Würdigungen in allen Zeitungen, Superlative wie Staatsphilosoph oder Vordenker der Weltöffentlichkeit schwirren durch die Medien, und die Habermas'sche Theorie vom kommunikativen Handeln findet man zum Auffrischen in allen Feuilletons erläutert. Nach all diesen Vivat-Rufen wollen wir einmal einen Kritiker befragen, der natürlich wie alle Kritiker einmal Anhänger war und dann einen anderen Weg eingeschlagen hat. Norbert Bolz ist Medien- und Kommunikationstheoretiker, er lehrt als Professor an der TU in Berlin und setzt sich schon seit Jahren mit dem Wirken von Jürgen Habermas auseinander. Zuerst aber einmal, Herr Bolz, was sind denn auch von Ihrer kritischen Warte aus gesehen die Verdienste von Jürgen Habermas?

    Norbert Bolz: Er hat in eine geistige Welt, die sehr stark von Adorno geprägt war und von der Frankfurter Schule, doch Texte hineingebracht, Größen hineingebracht, die tabu waren. Man denke nur an die amerikanische Soziologie um Parsons herum. Also wir haben Anschluss gefunden, könnte man sagen, an die internationale Debatte.

    Drost: In Ihrem heutigen Artikel in der "taz" sprechen Sie von dem "Paradies des Diskurses". Warum haben Sie sich aus diesem Paradies vertreiben lassen oder selbst vertrieben?

    Bolz: Was "Paradies des Diskurses" zum Ausdruck bringen sollte, war, dass es bei Habermas auch um ein religiöses Angebot geht, und das ist vielleicht für die meisten deshalb erstaunlich, weil er sich ja als jemand gibt, der ganz auf der Seite der Aufklärung, also scheinbar gegen die Religion steht. Aber wenn man genauer hinschaut, dann sind die Angebote, die Theorieangebote, die Habermas macht, so eine Art Ersatz für das, was man früher von der Religion bekommen hat. Also gerade der zentrale Begriff von Habermas, nämlich Konsens, ist ziemlich deutlich erkennbar als eine Art Ersatz für Versöhnung, also für dieses tiefe religiöse Versprechen, versöhnt zu sein. Oder wenn man denkt an Begriffe wie "verzerrte Kommunikation", dann sieht man darin sehr, sehr schön, dass es Habermas gelungen ist, einen modern klingenden, aufklärerisch klingenden Ausdruck für etwas sehr Altes anzubieten, nämlich etwas, was wir früher als Entfremdung oder Sündhaftigkeit angesprochen haben. Also Habermas hat dadurch, denke ich, vor allen Dingen Leute fasziniert, dass er Intellektuellen, die stolz darauf sind, mit Religion nichts zu tun zu haben, trotzdem, ohne dass sie es gemerkt haben, eine Art Ersatzreligion angeboten hat.

    Drost: Ist das vielleicht auch der Grund für diesen allgemeinen Konsens, denn die Gegenstimmen, die es natürlich gibt, die wirken immer ein bisschen wie einsame Rufer oder werden zumindest so dargestellt?

    Bolz: Ja, das hat allerdings auch noch einen anderen Grund, und ich denke, das macht die eigentliche Weltmacht Habermas' aus. Er ist nicht als Geist eine Weltmacht, er ist keine intellektuelle Weltmacht, nicht als Philosoph ist er von so durchschlagendem Erfolg, sondern er ist es vor allen Dingen institutionell. Oder um es zeitgemäßer zu sagen: Habermas ist wohl der größte Netzwerker, der je in der Geistesgeschichte Deutschlands tätig war. Das heißt, er hat es verstanden, nicht nur in Deutschland und in Europa, sondern in der ganzen Welt ein Netzwerk, auch gerade ein persönliches Netzwerk zu stabilisieren, sodass Sie, wenn Sie irgendwo anrufen, wenn Sie irgendjemanden befragen nach Habermas, Sie überall die lobendsten und begeistertsten Zusprüche bekommen. Also es geht weniger um seine Philosophie als um die Art und Weise, wie er sich selbst und sein Denken in der ganzen Welt inszeniert hat. Also wenn Sie in die Redaktionsstuben gucken, in die Feuilletons, wenn Sie in die Häuser der Rundfunk- und Fernsehanstalten gucken, da finden Sie sehr, sehr viele Leute von Habermas. Denken Sie auch an die Verlage, an die Lektoren, da sind, glaube ich, die meisten Habermasianer zu finden. Und das sind natürlich die Schlüsselstellen für die Produktion der öffentlichen Meinung.

    Drost: Aber was kann man denn eigentlich gegen diese Theorie des kommunikativen Handelns haben?

    Bolz: Ich persönlich habe überhaupt nichts dagegen, ich habe auch nichts gegen andere Religionen. Wer das glauben mag oder wem das ein gutes Gefühl gibt, dass das bessere Argument sich durchsetzt, dass es so etwas wie einen gewaltlosen Diskurs gibt und dass am Ende tatsächlich die Aufklärung siegt über die Macht, der soll das ruhig glauben. Das sind ja auch Menschen, die meistens recht harmlos sind und von denen keine Gefahr ausgeht. Insofern kämpfe ich nicht dagegen, aber ich kann's auch nicht allzu sehr ernst nehmen. Und in Wahrheit nimmt das wohl auch tatsächlich niemand ernst. Das eignet sich für Sonntagsreden, es eignet sich als philosophischer Schmuck auch für politische Reden, aber mit der Wirklichkeit, in der wir leben, in der wir kämpfen müssen und arbeiten müssen, hat das doch herzlich wenig zu tun.

    Drost: Eine ganz kurze Einschätzung von Ihnen, Norbert Bolz, zum Schluss: Was wird denn von der Habermas'schen Lehre bleiben?

    Bolz: Ich denke, von der Habermas'schen Lehre wird nicht sehr, sehr viel bleiben, allerdings wird er in seinem Effekt, denke ich, immer bewundernswert bleiben, nämlich dem, dass er, wie soll man sagen, das Bild des deutschen Geistes in der Welt radikal verändert hat. Niemand hat mehr Angst vor den deutschen Denkern.

    Drost: Na Gott sei Dank. Das war der Medien- und Kommunikationstheoretiker Norbert Bolz.