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Vergessen und vergeben?

Ausgerechnet als US-Vizepräsident Joe Biden in Israel eintraf, um für neue Friedensverhandlungen zu werben, gab Israel den geplanten Bau von 1600 Wohnungen im annektierten Osten Jerusalems bekannt. Der Eklat hat für heftige Verstimmungen gesorgt. Doch nun scheinen sich die Wogen wieder geglättet zu haben.

Von Katja Ridderbusch | 20.03.2010
    Ein Affront, eine Beleidigung, ein destruktives Signal. Das sind starke Worte in der Welt der Diplomatie. David Axelrod, engster Berater von US-Präsident Barack Obama, Architekt des Wahlkampfs und säkularer Jude, lässt seinem Zorn über die israelische Regierung freien Lauf.

    Israel hatte den Ausbau von Siedlungen in Ostjerusalem angekündigt - genau zu dem Zeitpunkt, als Vizepräsident Joseph Biden zu Besuch in Israel weilte. Die Obama-Administration hatte von Israel stets den Stopp des Siedlungsbaus gefordert. Außenministerin Hillary Clinton sekundierte:

    "Das war eine Beleidigung. Nicht nur gegenüber dem Vizepräsidenten. Auch gegenüber den Vereinigten Staaten. Die USA haben massiv in den Friedensprozess investiert, um die Gespräche wieder in Gang zu bringen."

    Mehr als eine Woche später scheint die Wut verraucht, das Thema nimmt mittlerweile auf der Agenda der amerikanischen Medien nur noch einen hinteren Platz ein - und das Weiße Haus rudert kräftig zurück. Man sei betroffen gewesen und enttäuscht, gibt Clinton heute zu. Aber von einer Krise könne keine Rede sein. Die USA stünden felsenfest hinter Israel. Innenpolitisches Kalkül oder ein wirklicher Sinneswandel?

    Fest steht: Am Sonntag beginnt in Washington der Jahreskongress der jüdisch-amerikanischen Lobbygruppe AIPAC. Das "American Israel Public Affairs Committee" ist die größte und mächtigste unter den jüdisch-amerikanischen Interessenvertretungen. AIPAC wurde in den 50er-Jahren gegründet, hat mehr als 100.000 zahlungskräftige Mitglieder und beste Verbindungen in den US-Kongress. Unter den Rednern der Jahresversammlung sind keine geringeren als Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, Oppositionsführerin Tzipi Livni und US-Außenministerin Clinton. Offene Spannungen zwischen Israel und den USA dürften die Harmonie stören und sich nur schlecht auf diesem innenpolitischen Parkett machen.

    Allerdings: Politische Analysten wollen noch nicht so recht daran glauben, dass alle Wogen geglättet sind. Aaron David Miller, Politikwissenschaftler am "Woodrow Wilson Center", einem staatlichen Thinktank in Washington, geht nicht davon aus, dass die jüngste Eskalation rein zufällig geschah:

    "Wenn man in einem Labor ein Szenario entwickeln müsste, das garantiert Spannungen zwischen Israel und den USA auslöst, welches böte sich da an? Es gibt keine perfektere Gemengelage, die man hätte heraufbeschwören können, als das Szenario in Jerusalem."

    Und auch Annette Heuser, Leiterin der Bertelsmann-Stiftung in Washington, ist überzeugt, dass die heftige Reaktion der US-Regierung keine spontane Entrüstung war, sondern wohl kalkuliert.

    "Es ist eine Krise, die man aus meiner Sicht von Seiten der US-Administration gezielt provoziert hat, um der israelischen Regierung und allen voran dem israelischen Ministerpräsidenten zu signalisieren, wo die roten Linien sind."

    Die jüdisch-amerikanischen Interessengruppen in Washington gießen zusätzlich Öl ins Feuer. AIPAC, das als konservativ und bedingungslos pro-israelisch gilt, bezog auf seiner Homepage deutlich Stellung. Das Komitee rügte die US-Regierung.

    Die jüngsten Einlassungen der Obama-Administration zum Verhältnis zwischen den USA und Israel erfüllen uns mit tiefer Sorge. AIPAC fordert die Regierung auf, so schnell wie möglich die Spannungen mit Israel beizulegen.

    Mit keinem Wort geht AIPAC auf die Ankündigung Israels zum Siedlungsbau ein, auf den Zeitpunkt dieser Ankündigung oder auf den düpierten Vizepräsidenten Joe Biden. Ganz im Gegenteil:

    "Wir fordern die amerikanische Administration dringend auf, mit Israel in einem Stil zusammenzuarbeiten, der zwischen strategischen Partnern angemessen ist."

    Eine andere Sicht auf die Dinge liefert "J Street". "J Street" ist eine junge, liberale, jüdisch-amerikanische Lobbygruppe, die seit zwei Jahren den Kapitolshügel aufmischt. Die offiziellen Kommentare von "J Street" zu den jüngsten Spannungen lesen sich wie eine Gegendarstellung zum Statement von AIPAC:

    Wir fordern eine noch stärkere Einmischung der USA, um eine Zwei-Staaten-Lösung im Nahen Osten möglich zu machen. Wir weisen die Angriffe derer auf die Obama-Administration zurück, die den Status quo erhalten wollen.

    Barack Obama und der Nahe Osten: Vor fast zehn Monaten hatte der US-Präsident in einer Grundsatzrede in Kairo eine Neuorientierung des Verhältnisses zwischen Amerika und der Arabischen Welt angekündigt - und den Stopp des israelischen Siedlungsbaus gefordert.

    Doch seither ist wenig passiert. Das Versprechen, die arabische Welt stärker in die Lösung des Nahost-Konflikts einzubinden, hat die US-Regierung nicht einlösen können. Und auch Israel zeigte sich bislang kaum beeindruckt von Obamas markigen Forderungen. So waren die jüngsten verbalen Warnschüsse aus Washington wohl auch ein Ventil für Obamas tiefe Frustration über die Wirkungslosigkeit seiner Worte.

    Annette Heuser, Leiterin der Bertelsmann-Stiftung in Washington, hält es zwar für verfrüht, Obamas Nahostpolitik abzuschreiben, klar aber sei:

    "Obama und seine Administration haben an Einfluss verloren in diesem Konflikt, weil sie in den ersten Monaten hier nicht Gas gegeben und den Druck erhöht haben. Und weil sie eben mit anderen außen- und innenpolitischen Themen beschäftigt waren."

    Trotz der jüngsten rhetorischen Ausschläge gehen die meisten politischen Beobachter in Amerika davon aus, dass beide Staaten, Israel und die USA, bald wieder zum üblichen Prozedere und zum gewohnten Umgang zurückkehren werden. Aus ganz pragmatischen Gründen: Will die US-Regierung Sanktionen gegen den Iran voranbringen, dann ist sie auf die Unterstützung Israels angewiesen. Schlechte Zeiten für Drohgebärden vonseiten Washingtons. Also, "business as usual"?

    Nicht ganz, meint Annette Heuser. Der Einfluss liberaler, jüdisch-amerikanischer Stimmen, wie sie in "J Street" vertreten sind, werde in den kommenden Jahren zunehmen. Und auch der Politikwissenschaftler Aaron David Miller glaubt, dass gelegentliche atmosphärische Störungen künftig zum israelisch-amerikanischen Alltag gehörten:

    "Wenn Sie einen ernsten politischen Konflikt zwischen Israel und den USA erwarten: Vergessen Sie's. Aber es wird in den kommenden Jahren einige tiefe Schlaglöcher auf der gemeinsamen Strecke geben."

    Beim Jahreskongress der jüdisch-amerikanischen Lobbyisten von AIPAC, der morgen seinen Auftakt nimmt, dürfte allerdings erst einmal die große Eintracht herrschen. Genauso wie im vergangenen Jahr. Da war der Hauptredner - ausgerechnet - Amerikas Vize-Präsident Joe Biden. Er unterstrich die Solidarität der USA mit dem Staat Israel - diese sei uneingeschränkt und nicht verhandelbar.