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Streit um Stolpersteine
Respekt vor den Holocaust-Opfern

In fast allen Städten liegen sie – die Stolpersteine. Kleine messingfarbene Pflastersteine mit Namen von jüdischen Bürgern, die aus ihren Häusern verschleppt und im KZ umgebracht wurden. In München wurden die Stolpersteine auf städtischem Grund aber 2004 untersagt. Jetzt muss der Stadtrat erneut entscheiden - die Tendenz ist klar.

Von Susanne Lettenbauer | 29.07.2015
    Im Hof eines Hauses in München sind in den Boden Stolpersteine eingelassen - eine Verlegung auf öffentlichem Grund ist dort nicht möglich. Die in ganz Europa verteilten Gedenktafeln des Künstlers Gunter Demnig sollen an das Schicksal der Menschen erinnern, die im Nationalsozialismus vertrieben, deportiert und ermordet wurden.
    Im Hof eines Hauses in München sind in den Boden Stolpersteine eingelassen - eine Verlegung auf öffentlichem Grund ist dort nicht möglich. (picture-alliance / dpa / Andreas Gebert)
    Sehr viel länger hätte man die Entscheidung nicht mehr hinauszögern können. Bereits im Frühjahr war das endgültige Votum des Münchner Stadtrates für oder wider Stolpersteine auf öffentlichem Grund erwartet worden. Dann immer wieder eine Verschiebung. Seit einem sehr kontroversen Stadtrats-Hearing im Dezember 2014 waren die Argumente beider Seiten in den vergangenen Monaten teils lautstark ausgetauscht worden. Hitzige Debatten hinter verschlossenen Türen ließen die Nerven blank liegen. Wer in den vergangenen Wochen bei den einzelnen Parteien nach einer Entscheidung nachfragte, erntete wahlweise Ablehnung oder erschöpftes Achselzucken.
    Heute fällt nun die Entscheidung auf der letzten Stadtratssitzung vor der Sommerpause. Im Vorfeld hatten CSU und SPD bereits erklärt, "dass wir weiterhin die Verlegung von Stolpersteinen im öffentlichen Raum nicht haben wollen". SPD-Stadtrat Alexander Reissl lässt keine Zweifel daran, dass sich seine Stadratsfraktion daran halten wird. Ebenso der CSU-Stadtrat und zweite Bürgermeister Münchens Josef Schmidt. In München würden Stolpersteine dem Bodendenkmalschutz unterliegen, so sein Argument:
    "Bodendenkmäler können mit Füßen getreten werden, sie können beschmutzt werden, man blickt nicht zu ihnen herauf, sondern zu ihnen hinab, und das ist eine Form des Gedenkens, mit der viele Münchner ihre Probleme haben. "
    Widerstand der Israelitischen Kultusgemeinde München
    Vor allem die Israelitische Kultusgemeinde München Oberbayern mit ihrer Vorsitzenden Charlotte Knobloch wendet sich seit über zehn Jahren massiv gegen ein dezentrales Gedenken in Bürgersteigen. Der frühere Oberbürgermeister Christian Ude hatte 2004 aus Respekt vor den Überlebenden des Holocausts das erste Verbot durchgesetzt. Diesen Respekt müsse man auch heute noch den Überlebenden der NS-Zeit zollen, heißt es von den Stolpersteingegnern. Stattdessen setzen sich SPD und CSU für ein dezentrales Gedenken durch Gedenktafeln an Häuserwänden und Gedenkstelen vor den ehemaligen Wohnhäusern ein. Außerdem soll am Königsplatz eine zentrale Namensliste der Opfer des Nationalsozialismus gedenken.
    Andere Parteien wie die Stadtratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen/Rosa Liste wenden sich heute mit einem Gegenantrag an den Stadtrat. Sie verlangen eine Aufhebung des Verbots der Verlegung von Stolpersteinen. München dürfe sich der in vielen deutschen und europäischen Städten praktizierten Verlegung nicht verweigern, so das Argument von Befürwortern wie der Moderatorin Amelie Fried:
    "Also ich halte die Stelenidee für unpraktikabel. Überlegen Sie mal, wenn Sie hier auf diesem Gehweg überall vor diesen Häusern, und hier haben bestimmt viele jüdische Menschen gelebt, wenn da überall Stelen vor der Tür stehen, das ist unpraktikabel."
    80.000 Unterstützer für Stolpersteine
    Die Befürworter von der Initiative für Stolpersteine München legen heute zusätzlich eine Online-Petition vor. Rund 80.000 Unterstützer sprechen sich mit ihrer Unterschrift für die messingfarbenen Gedenksteine aus. Nicht alles Münchner Bürger, weshalb der Stadrat die Petition nicht als bindend anerkennt.
    Wann genau die Entscheidung heute fällt, ist noch unklar. Vor dem Antrag des Kulturreferenten Hans-Georg Küppers, der sich neben den Gedenktafeln und Stelen auch für die Stolpersteine ausspricht, stehen noch andere Themen auf der Stadtratssitzung wie die städtische Wohnungsfürsorge, der Personalmangel am städtischen Klinikum und die humanitäre Hilfe für Kiew.