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Präziser Beobachter von Vogelwelt und Zeitgeschichte

Jonathan Franzen gilt nach John Salinger und Jack Kerouac als der Schriftsteller einer ganzen Generation: Mit seinem Familienepos "Die Korrekturen" hielt er der US-Gesellschaft der letzten Jahrtausendwende ihr Spiegelbild vor und wurde zum literarischen Weltstar. Die deutsche Filmemacherin Marion Kollberg hat den Autor fünf Tage lang begleiten können.

Von Susanne Luerweg | 06.06.2012
    Die Colorado Wüste im Süden Kaliforniens. Ein Mann mit Fernglas vor den Augen: Jonathan Franzen. Der Schriftsteller hat zwei Leidenschaften: Schreiben und Vögel beobachten.

    "Nicht häufig in Deutschland- Ein sehr schönes Tier. Ich zeige ihnen ein Bild."

    Es sind ruhige Szenen, die der Kraft der Bilder vertrauen; in denen Jonathan Franzen manchmal auch deutsch spricht. In jungen Jahren hat er unter anderem in Berlin gelebt und studiert. Inzwischen ist er ganz oben auf den Bestsellerlisten angekommen. Doch der 52-Jährige wirkt überhaupt nicht wie ein etablierter Schriftsteller, sondern eher wie ein besonnener Intellektueller der amerikanischen Mittelschicht. Ein bescheidener Mann, der in einem abgedunkelten, spartanisch eingerichteten Büro Weltliteratur verfasst.

    "Ein Ort, der gut zum Schlafen ist, ist für mich auch gut zum Schreiben. Beim Schreiben geht es um die Vorstellungskraft und irgendwie stört die grelle Außenwelt den Blick. "

    Franzens Schreibzimmer liegt in einem unspektakulären Stadtteil New Yorks.

    ""Nichts ist cool an der Upper East Side. Ich finde das sehr erleichternd."

    Schließlich ist er ebenfalls alles andere als cool. Eher ein präziser Beobachter der Zeitgeschichte, wie auch sein Freund und Schriftstellerkollege Jeffrey Eugenidis ohne Neid einräumt.

    "Seine Romane sind deshalb ganz dicht an aktuellen Ereignissen. Freiheit handelt eigentlich von der Finanzkrise."

    Es sind die Freunde und Weggefährten, die in Marion Kollbergs Film auftauchen, die das Bild des Schriftstellers auf angenehme Weise abrunden, ohne ihn zu entblößen. So auch David Means, sein Kumpel aus Kindertagen– ebenfalls ein angesehener Schriftsteller.

    "Er sagt, dass er schreibt, um die Einsamkeit zu verstehen. Nicht um sie zu füllen, sondern um zu verstehen, dass wir alle allein sind."

    Der Film lebt nicht von spektakulären Bildern, sondern von wohl überlegten Aussagen. So entsteht eine Nähe, die in Fernsehportraits selten ist. Der Schriftsteller öffnet sich – trotz Kamera: Wenn er erzählt wie schlecht er nach einem Talkshowauftritt geschlafen hat, oder von seinen Schreibblockaden und von seiner Lust in Großstädten zu leben. Und er kann auch humorvoll sein: Ein Schriftsteller, der mühelos einen Riesensaal unterhält-

    "Warum gehe ich auf Lesereise? Ich bin gerne mit anderen Lesern zusammen, und so stehe ich vor der großen Herausforderung, mich nicht in Michael Jackson zu verwandeln."

    Die 52-minütige Reportage ist ein herrliches Zeitdokument mit einem ausgesprochen sympathischen Protagonisten. Ein Bestsellerautor, der noch nicht einmal verschroben wirkt, wenn er allein einem seltenen Vogel hinterher jagt.

    "Vielleicht kommen Sie mir nicht hinterher."


    "Fünf Tage mit Jonathan Franzen" ist heute um 22.10 Uhr auf arte zu sehen.