Grundlagen der Demokratie

Warum Gefühle für die Politik wichtig sind

Amtsübergabe: Der neue Innenminister Thomas de Maizière (CDU, r.) umarmt seinen Vorgänger, Hans-Peter Friedrich (CSU) am 18. Dezember 2013.
Amtsübergabe: Der neue Innenminister Thomas de Maizière (CDU, r.) umarmt seinen Vorgänger, Hans-Peter Friedrich (CSU) am 18. Dezember 2013. © picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini
Martin Saar im Gespräch mit Simone Rosa Miller · 09.04.2017
Nicht nur der Populismus, auch die Demokratie brauche Gefühle, meint der Philosoph Martin Saar. Allerdings habe sie ein anderes Verhältnis zu diesen Gefühlen - und besonders bedrohlich seien für sie Angst und Hass. Denn die unterbinden, was er als Kern der Demokratie sieht.
Bei aller Krisendiagnose müsse man aktuell zwischen der objektiv gegebenen Krise und der eingeredeten Krise unterscheiden, meint der Philosoph Martin Saar.
"Die Krise der EU, der Demokratie, des Kapitalismus und des Westens beschwören, ist natürlich selber ein Akt, der emotionale Reaktionen hervorbringt."
Gefühle dürften aber keineswegs als reiner Störfaktor innerhalb der Politik aufgefassst werden, gäben sie doch wichtige Hinweise auf die Werthaftigkeit ihres Gegenstands. Die Krise der Demokratie zeige also auch, wie wichtig uns die Demokratie sei. Als Bekümmertsein um das gemeinsam gestaltete Gemeinwesen, sei die Sorge sogar das bedeutendste demokratische Gefühl.
"Deshalb muss man den 'besorgten Bürgerinnen und Bürgern' eigentlich die Sorge nehmen, in dem Sinne, dass wir anderen Demokratinnen und Demokraten sagen: Auch wir kümmern und sorgen uns um den Zustand unseres gemeinsam geteilten Welt, aber nicht in einer Weise, in der wir versuchen Einzelinteressen geltend zu machen, sondern indem wir versuchen Wege finden, in denen alle mitsprechen können darüber, was uns insgesamt als politische Gemeinschaft wichtig ist."
Martin Saar, Inhaber der Professur für Politische Theorie an der Universität Leipzig
Martin Saar, Inhaber der Professur für Politische Theorie an der Universität Leipzig© Deutschlandradio / M. Hucht
Besonders bedrohlich für eine Demokratie seien Angst und Hass. "Wir sollten viele unterschiedliche institutionelle Techniken finden, die Angst zurückdrängen", meint Saar. Denn wer geängstigt ist, sei getrieben, könne sich nicht mehr positiv auf die anderen beziehen und gemeinsam mit ihnen handeln – genau darin bestehe aber der Kern einer Demokratie. Hass und Angst könne man in diesem Sinne als antipolitische Gefühle begreifen.
"Die neueren Phänomene" – wie zum Beispiel sich zunehmend artikulierender Hass und Angst – "zeigten uns wie stark nicht nur die emotionalen Grundlagen, sondern auch die emotionalen Faktoren im politischen Entscheiden und politischen Prozess sind."

Zentrale Emotion einer Demokratie: Vertrauen

Auch innerhalb der Philosophie gelte es deshalb, die affektiven Voraussetzungen für das Gelingen demokratischer Politik nicht zu unterschätzen, etwa durch einen einseitigen Fokus auf die argumentative Ebene demokratischer Auseinandersetzung.
"Die Demokratie beruht auf Voraussetzungen, die nicht nur rational sind, die nicht nur auf Urteilen und Erfahrungen beruhen, sondern auch auf Gefühlen."
Wobei eine zentrale Emotion für das Gelingen einer Demokratie das Vertrauen sei. Denn das Vertrauen lege die Grundlage dafür, sich mit anderen zusammenzutun und Gesellschaft gemeinsam zu gestalten.
Wenn also Angst und Hass die Demokratie deshalb gefährden, weil sie Menschen vereinzeln, dann sei der Ausbau von Orten demokratischer Begegnung das einzige Heilmittel. Wer vieles kenne, würde sich wahrscheinlich nicht so leicht ängstigen. Unsere Demokratie müsste also Orte der gegenseitigen Begegnung multiplizieren, in denen sich Menschen durchaus auch leidenschaftlich miteinander austauschen und diese Erfahrung dann wiederum positiv auf den größeren Zusammenhang rückbeziehen können.
Mehr zum Thema