Dienstag, 30. April 2024

Archiv

Mecklenburg-Vorpommern
Zerstörte Vogelbrutstätten in der Nähe von Windkraftanlagen

In einigen Gebieten Mecklenburg-Vorpommerns, die für Windkraftanlagen geeignet sind, wurden zuletzt zahlreiche Brutstätten von Greifvögeln zerstört. Tierschützer vermuten dahinter Vorsatz. Experten warnen aber vor voreiligen Schlüssen: Das kann Zufall sein.

Silke Hasselmann | 13.07.2018
    Ein Seeadler (lat. Haliaeetus albicilla) fliegt am 12.10.2012 am Breiten Luzin, einem See im Naturpark "Feldberger Seenlandschaft" in Feldberg (Mecklenburg-Vorpommern).
    Vogelschützer vermuten: Um Flächen für Windkraftanlagen zu schaffen, werden vorsätzlich Greifvogelhorste zerstört. (dpa / Patrick Pleul )
    Im Auto unterwegs mit Dietmar Weier über Stock und Stein. Und das im wahrsten Wortsinne. Denn der Sachgebietsleiter Naturschutz im Landkreisamt VG will mir etwas zeigen, und dafür müssen wir sein Anklamer Büro verlassen. Eine Viertelstunde später halten wir auf einem Acker.
    "Wir befinden uns in der Nähe von Blesewitz am Rand eines Windeignungsgebietes. Auf dem Luftbildauszug sind die kartierten Greifvogelhorste in der Umgebung gekennzeichnet. Das sind mehrere Schwarzmilan-Horste, Mäusebussard-Nester und auch Rotmilan-Horste. Einige von denen sind in den letzten beiden Jahren wiederholt verschwunden. Das heißt, hier sind Horstbäume beseitigt worden oder auch Horste aus dem Baum herausgesägt worden", sagt Dietmar Weier.
    Brutstätten wurden von Menschenhand zerstört
    Allein der Landkreis Vorpommern-Greifswald registrierte in den letzten zwei Jahren insgesamt 41 verschwundene Greifvogelhorste - alle in sogenannten Windeignungsgebieten. Weiers Behörde erstattete stets Anzeige gegen unbekannt. Bislang ohne Erfolg. Dabei sei klar: Vom Winde verweht wurde keine dieser Brutstätten. Hier war Menschenhand am Werk.
    Die weitverbreitete Vermutung lautet, dass Windmüller dahinter stecken könnten oder die Eigentümer jener Ackerflächen, auf denen Windkraftanlagen errichtet werden sollen. Immerhin winken den einen staatlich gesicherte Einspeisevergütungen, den anderen satte Pachteinnahmen. Windeignungsgebiete ohne Artenschutzauflagen sind da Gold wert.
    Doch Mecklenburg-Vorpommerns Energieminister Christian Pegel (SPD) winkt ab. Der bekennende Windkraftanhänger, dem auch jene Behörde untersteht, die die Landesraumentwicklung plant und dabei ein Windeignungsgebiet nach dem anderen ausweist, sieht in dieser Überlegung viel Verschwörungstheorie. Zumindest, so Pegel, würde ein solches Tatmotiv von Dummheit zeugen.
    "Da, wo Vogelhorste... oft wird ja übrigens der ganze Baum gefällt oder nur der Vogelhorst verschwindet, ist für jeden, der kundig ist in den Thema, klar, dass der Bestandsschutz bleibt, weil es nicht darauf ankommt, ob ein Nest da ist oder ein Vogel brütet, sondern all diese Nistplätze haben nachlaufende Schutzzeiträume: fünf Jahre, sieben Jahre, zum Teil zehn Jahre und länger. Und da kann man nun lange diskutieren, ob Grundstückseigentümer nun besonders dusselig sind oder man auch einen schlechten Leumund auf die Windkraft werfen will."
    Widerstand gegen die Verspargelung des Horizonts
    Auch die Polizei hat im Blick, dass gerade in Vorpommern der Widerstand gegen die sogenannte Verspargelung des Horizontes beträchtlich zunimmt und dass womöglich Windkraftgegner auf die Idee kommen könnten, mit einem zerstörten Vogelhorst falsche Fährten zu legen. Doch bislang konnten die Ermittler keinen Fall klären.
    Zurück auf dem Acker am Rand des Windeignungsgebietes Blesewitz bei Anklam. Der Bereichsleiter im Kreisnaturschutzamt von Vorpommern-Greifswald erklärt mir, dass die Raumplaner vom Land nur dort Windeignungsgebiete ausweisen können, wo ein Mindestabstand von zwei Kilometern zum nächstgelegenen Seeadler-Horst und von drei Kilometern zu einem Schreiadler-Brutwald eingehalten wird.
    Das freilich wäre nur der erste Schritt auf dem Weg hin zu einem Windpark. Denn wer neue Anlagen errichten oder alte durch größere ersetzen will, muss ein noch strengeres Genehmigungsverfahren durchlaufen. Dietmar Weier und Kollegen müssen dann zum Beispiel bei jedem einzelnen Windrad prüfen, ob es die vorgeschriebenen Mindestabstände zu Biotopen, aber auch zu Horsten von Rotmilan, Bussard, Schwarzmilan einhält.
    Zusammenhang zum Windanlagenbau nicht beweisbar
    "Mit Sicherheit würde die Planung des Windeignungsgebietes durch diese Greifvogelhorste beeinflusst werden. Denn es gibt für einige Tabubereiche, wo dann keine Anlagen entstehen könnten. Und es gibt Zonen, wo zumindest sogenannte Lenkungsmaßnahmen erforderlich wären, um die Greifvögel, die dann noch durch den Windpark fliegen könnten, abzulenken durch hochattraktive Nahrungsangebote."
    Und zwar in der Nähe des Horstes, aber weg von den bis zu 200 Meter hohen Windkraftanlagen. Alles kein billiger Spaß für Windmüller und Landverpächter. Doch was die mutwillige Zerstörung von Greifvogelhorsten betrifft, so rät Herr Weier zu Vorsicht bei der Schuldzuweisung:
    "Es können Taubenzüchter, Geflügelhalter sein, die meinen, es gibt Probleme, Verluste. Es kann durchaus sein, dass uns die Windeignungsgebiete besonders auffallen, weil hier Naturschutzverbände und auch sachkundige Personen besonders aktiv sind. Also es ist überhaupt kein Zusammenhang zur Windkraft bisher nachweisbar. Es gibt nur die Sachlage, dass wir erkennen: All diese Fälle, die wir bisher dokumentiert haben, haben in Windeignungsgebieten stattgefunden."