Dienstag, 30. April 2024

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Musikprojekt "Bootleg"
Klänge mit Füßen getreten

Das Label Bureau B hat eine Schallplatte herausgebracht, deren Rohmaterial aus anderen Vinylschallplatten stammt, die buchstäblich mit den Füßen zertreten worden sind. Verantwortlich für das dabei entstandene "Bootleg" sind die Band Automat und der Klangforscher Dirk Dresselhaus, besser bekannt als Schneider TM.

Von Dennis Kastrup | 22.10.2014
    "Die Aufgabe war, dass wir Soundfiles bekommen haben, in digitalisierter Form, also das Vinylknistern, was entstanden ist durch leeres Vinyl auf dem Boden des Clubs, wo 'Automat' ein Konzert gespielt haben. Da sind die Leute drauf rumgelaufen auf dem Vinyl. Durch diese Zerstörung der Rillen im Prinzip entstehen Loops und Knistergeräusche und aus diesen Soundfiles sollten wir Musik machen."
    Dirk Dresselhaus sitzt in seinem selbst gebauten Studio im Prenzlauer Berg. Hier hat er die Geräusche vor ein paar Monaten in Empfang genommen und bearbeitet. Jeder einzelne Schritt, jedes Hüpfen und Betreten des Vinyls hinterließ eine Spur, einen Abdruck des Abends. Fünf verschiedene Schallplatten wurden vom Publikum dabei unbewusst bespielt. Sich später darauf einzulassen, war keine leichte Aufgabe.
    "95 Prozent der Vinyls klang halt wie Noise, was mich natürlich auch interessiert, aber es gibt ja interessanten Noise und langweiligen Noise. Da habe ich doch sehr, sehr lange in den Files rumgesucht bis ich Stellen gefunden habe, die ich musikalisch schon im Ausgangsmaterial interessant fand oder "funky" irgendwie. Wenn man das zehn Minuten, zwanzig Minuten hört, dann ist man auch fertig danach. Darum habe ich viele Tage gebraucht, um erst einmal die richtigen Stellen zu finden."
    Konkret klingt das dann so: Durch das Überlagern mehrerer Effekte löst sich der Krach vom Original. Es entstehen angenehmere Klänge und Rhythmen.
    Diese Vorgehensweise war für Dresselhaus aber nichts Neues. Schon vor zwei Jahren hat er ein Album mit dem Titel "Construction Sounds" herausgebracht. Die Idee dahinter war, die Baustellen seines Wohnortes Berlin aufzunehmen und in Musik umzuwandeln.
    "Ich bin da sehr ähnlich rangegangen wie an die 'Construction Sounds' eigentlich. Also ich habe möglichst versucht, nur das Ausgangsmaterial zu benutzen und das halt in möglichst unterschiedliche Richtungen zu manipulieren und daraus was zu machen, was irgendwie Sinn macht, was aber immer noch sehr nah am Ausgangsmaterial ist."
    Automat auf der B-Seite
    Einen anderen Weg ist Automat gegangen. Die Band ist für den Song auf der A-Seite zuständig. Hier spielt das Knistern nur eine Nebenrolle und bildet eher den Hintergrund oder das Bett. Die B-Seite, zwei Stücke von Schneider TM, funktionieren ursprünglicher, weshalb Dresselhaus sie auch "Erdöl" und "Chlor" benannt hat: die wichtigsten Bestandteile von Vinyl.
    "Also ich habe zwei sehr unterschiedliche Stücke gemacht aus dem Ausgangsmaterial, und zwar fast aus dem gleichen Ausgangsmaterial. Ich habe alles durchgehört und habe mir dann ein paar Loops rausgesucht. Als alles fertig war, habe ich gemerkt, wenn man das zusammen mischt, also das Erdöl und das Chlor, dann kriegt man Vinyl. Und in meinem Fall hat man dann einen dritten Track, also man kann quasi die beiden Tracks miteinander DJen, irgendwo ansetzen und es kommt immer wieder ein neues Stück dabei raus. Es passt immer, weil beide auf dem gleichen Loop basieren. "
    Die Veröffentlichung ist eine limitierte Vinyl-Sonderausgabe. Auch das Cover-Artwork entstand durch die Zuschauer: Es zeigt ihre schmutzigen Fußabdrücke. So ist "Bootleg" im Endeffekt ein in sich geschlossener Prozess, vielleicht sogar eine Inszenierung, die mit dem Publikum einer Band angefangen hat, durch die Musiker gefiltert wurde und am Ende zu den Zuhörern in Form eines Kunstwerks zurückkehrt. Bleibt die Frage, welche Rolle die dabei entstandenen Stücke eigentlich im Vergleich zum Entstehungsprozess spielen.
    "Natürlich muss Musik für sich stehen. Also ich finde sogar, dass Musik eigentlich, auch wenn es quasi unmöglich ist, außerhalb jeglicher Kontexte funktionieren muss. Kontexte eröffnen natürlich Räume und wenn man diese Information hat, dann hört man natürlich die Musik noch einmal ganz anders. Wenn sich dann diese Räume auftun, dann ist es natürlich umso besser."