Priggen: Alles andere als Rot-Grün wäre "dummes Zeug"

Reiner Priggen im Gespräch mit Nana Brink · 14.05.2012
Die Grünen in Nordrhein-Westfalen sehen einen klaren Auftrag der Wähler für Rot-Grün. Man habe mit der SPD in den letzten zwei Jahren "orientiert an den Problemen des Landes in einer schwierigen Situation" erfolgreich Politik gemacht und wolle das nun fortsetzen. Entsprechend intensiv werde man am Koalitionsvertrag arbeiten.
Nana Brink: Es gibt eindeutige Gewinner der Wahl in Nordrhein-Westfalen, und sie heißen SPD und Piraten, und es gibt auch eindeutige Verlierer, sie heißen CDU und Linke, und es gibt die dazwischen: Die Grünen. Sollen die sich jetzt wirklich freuen? Immerhin haben sie das Ergebnis fast gehalten, ein bisschen verloren, 0,7 Prozent. Aber was heißt das nun für die neue rot-grüne Wunschkoalition? Am Telefon ist Reiner Priggen, Fraktionschef der Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen – schönen guten Morgen, Herr Priggen!

Reiner Priggen: Schönen guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis Ihrer Partei?

Priggen: Ja! Wir haben zwei schwierige Jahre gehabt, sehr, sehr anstrengend, mit einer Minderheitsregierung. Wir sind angetreten jetzt, eine stabile Regierungsmehrheit zu haben, und die haben wir, und ich werde zukünftig statt 23 29 Kollegen und Kolleginnen in der Fraktion haben. Das ist insgesamt ... Auch unter den schwierigen Bedingungen – neue Konkurrenten oder Wettbewerber mit den Piraten, die Reinkarnation der FDP – ist das ein gutes Ergebnis, und ich bin damit gut zufrieden.

Brink: Sie klingen aber nicht wirklich euphorisch. Kann man denn zufrieden sein – die SPD gewinnt mit Schuldenmachen Stimmen, und Sie, die Grünen, stagnieren, haben sogar ein bisschen verloren?

Priggen: Also ich neige als Maschinenbauer vielleicht nicht unbedingt zur Euphorie, aber dass die SPD mit Schuldenmachen Stimmen gewonnen hat, ist ja so nicht richtig. Wir haben beide zusammen 20 Monate lang unter ganz schwierigen Bedingungen eine Minderheitsregierung gemacht, wo nichts anderes möglich war. So, und dann sind wir angetreten, weil wir den Haushalt nicht durchbekommen haben, und haben gesagt, wir wollen eine eigene klare Mehrheit haben. Und wir haben in den letzten 20 Monaten in vielen Themenfeldern gute Arbeit geleistet, wir haben auch immer wieder wechselnde Mehrheiten gehabt. Wir haben mit der CDU Schulgesetze gemacht, mit der FDP für die Kommunen, mit den Linken ganz viele Sachen, was Mitbestimmung angeht, Demokratie, Stadtwerke.

So, und ich wünsche mir, dass wir jetzt mit einer stabilen Mehrheit von über 20 Stimmen ein Stück weit was mitnehmen von der, ich sag mal in Anführungsstrichen, "Kultur" der letzten zwei Jahre, auch da zuhören bei den anderen. Wir werden ja eine, würde ich mal sagen, putzmuntere Oppositionslandschaft haben, Herr Lindner wird kommen, der bürgt da für ein bisschen Wirbel, die Piraten als ganz neue Gruppe mit 18 Personen im Landtag in Nordrhein-Westfalen, das wird auch interessant, und die CDU wird sich neu aufstellen müssen.

Das heißt, die Herausforderungen für uns als Regierungsfraktion werden noch mal steigen, aber das macht es ja letztendlich auch spannend. Insofern zufrieden – ich sag mal, es wird ein hartes Stück Arbeit die nächsten drei, dreieinhalb Wochen, die Koalition stabil aufzustellen, das wissen wir alle, das ist immer so, aber dann wird das auch stehen und dann haben wir auch fünf Jahre Zeit, da gut zu arbeiten.

Brink: Aber bleiben wir doch ein bisschen bei dem Ergebnis: Sie haben es selber gesagt, bekundeten Respekt vor der FDP, die war ja schon klinisch tot, und rein rechnerisch würde es jetzt aber für eine Koalition mit der SPD reichen. Macht Ihnen das nicht Angst?

Priggen: Nein, überhaupt nicht, muss ich sagen. Da sind alle gut beraten, auch das zu machen, wofür sie angetreten sind bei der Wahl und was sie immer vertreten haben, und ich bin da auch ganz gelassen. Ich bin ja auch zehn Jahre im ersten Koalitionsausschuss gewesen, noch mit Schleußer, Müntefering, Rau, Clement, Steinbrück. Die Zusammenarbeit in den letzten beiden Jahren jetzt mit Hannelore Kraft und meinem SPD-Kollegen Römer war anders. Die war vernünftiger, weil die war orientiert auch an den Problemen des Landes in einer schwierigen Situation, und ich kann mir nur vorstellen, dass das genauso weitergeht. Und wenn da jemand, irgendjemand übermütig werden wollte, dann wird man auch damit umgehen können.

Aber ich kann allen nur dazu raten – wir haben ein klares Votum gekriegt in dieser schwierigen Situation –, das vernünftig weiterzumachen, und genauso wird das laufen. Alles andere wäre dummes Zeug, und ich rate niemandem dazu, da auf Abwege zu gehen.

Brink: Trotzdem konnten Sie Ihr Ergebnis aber nicht verbessern, hat Ihnen die Piratenpartei auch mögliche%e abspenstig gemacht?

Priggen: Also man muss das ja objektiv zugeben, so wie ich sagen kann, Herr Lindner hat das für seine Partei hervorragend gemacht, ist einfach die Situation, wir hatten mit den Piraten einen neuen politischen, ernst zu nehmenden Wettbewerber auf Landesebene, und wenn die Kollegen über oder fast 8 Prozent holen, dann ist das natürlich was, was auch bei uns geholt wird, alles andere wäre ja dummes Zeug. Das können wir auch sehen in den Ergebnissen, insofern müssen wir uns dem stellen.

Wir haben hier in Nordrhein-Westfalen in einem guten Jahr Bundestagswahl, wir haben dann die Kommunalwahl 2014, da ist einfach eine neue politische Kraft in der Landschaft, mit der wir dann aber in einem fairen politischen Wettbewerb umgehen müssen. Die werden es jetzt ein Stück weit auch lernen müssen, das gehört auch dazu, aber ich glaube, dass sie schnell lernfähig sind. Und ich persönlich bin jetzt zwölf Jahre im Landtag, das ist meine dann dritte oder vierte Legislatur – ich freue mich ehrlich gesagt einfach auf den Wettbewerb, weil ich dann mal sehen möchte, wenn wir über ganz konkrete Probleme des Landes reden, wie die Kollegen sich entwickeln, wie die sich positionieren, das gehört auch dazu.

Brink: Die Grünen sind im Herzen immer eigenständig, das haben Sie gesagt, als man Ihnen vor der Wahl vorwarf, keinen eigenen Wahlkampf zu machen. Hätte da ein eigener Wahlkampf nicht mehr Stimmen gebracht, welchen Spielraum haben die Grünen denn noch?

Priggen: Nein, wir haben genau die Spielräume, die wir vorhatten, wir sind eigenständig, das ist überhaupt keine Frage. Aber wenn Sie in einer Minderheitsregierung mit einer Stimme weniger 20 Monate sehr gut arbeiten, und wenn Sie auch in den ganzen politischen Eckfragen mit dem Koalitionspartner klarkommen, dann tritt man doch normalerweise nicht an, um mit anderen dann eine Mehrheit zu machen. Wir sind ja die ganze Zeit noch in der Regierung, wir machen noch parallel Kabinettsvorbereitungen, insofern ist die Koalitionsaussage da sehr klar gewesen, und die war auch richtig so. Ich kenne auch niemanden, der das nicht verstanden hätte.

Und dass wir eine eigenständige Partei sind, zeigen wir auf allen Ebenen, da habe ich überhaupt keine Frage. Das wird auch, deswegen sage ich, drei Wochen harte Arbeit an einem Koalitionsvertrag, weil der vernünftig sein soll, aber eben getragen von der Verantwortung, die wir jetzt bekommen haben. Weil auch das müssen alle im Kopf haben: Wir haben ein Votum für eine Legislatur, und das ist auch nur auf Zeit, und wir werden es uns jeden Tag neu erarbeiten müssen.

Brink: Dann gucken wir doch mal auf diesen Koalitionsvertrag, der verhandelt wird: Was ist denn für die Grünen nicht verhandelbar?

Priggen: Also nicht verhandelbar ist sicherlich, dass unsere erfolgreichen Minister und Ministerinnen weiter in der Regierung sind, aber ich kenne auch niemand, der das anders wollte. Wir werden einfach die Arbeitsstrecke, die vor uns liegt – und das Land hat ja Probleme –, wir werden über die Westdeutsche Landesbank, über die Haushaltssituation, über das Klimaschutzgesetz, über die weiteren Umsetzungen in vielen Bereichen einfach wirklich als Arbeitsprozess miteinander reden. Und da die Sozialdemokraten jetzt 90 Leute sind und wir 29, ist es besser, wir arbeiten das korrekt und sauber aus, weil dann auch alle, die arbeiten in der Regierung, auch die Regierungsmitglieder, wissen, wie sie die nächsten Jahre miteinander umzugehen haben. Und das ist für mich ein reiner Arbeitsprozess, und je mehr solide wir das im Anfang machen, umso besser wird das in der Arbeit hinterher.

Brink: Reiner Priggen, Fraktionschef der Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Schönen Dank, Herr Priggen, für das Gespräch!

Priggen: Danke schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Mehr zum Thema bei dradio.de:
Bundespolitik analysiert NRW-Wahl
SPD sieht politischen Klimawandel in Deutschland nach NRW-Wahl
Rot-Grün triumphiert bei NRW-Wahl