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Window-Color-Künstler Georg Vierbuchen
Ein Bild fährt durch die Stadt

Der Berliner Street-Artist Georg Vierbuchen holt die Window Color aus dem heimeligen Umfeld heraus und setzt sie ganz innovativ im öffentlichen Raum ein: Im Großformat auf S-Bahn-Fenstern schafft er eine friedliche Street Art, die keinen Schaden hinterlässt und sich einfach wieder abziehen lässt.

Von Marie Kaiser | 04.06.2019
S-Bahn Fensterbild
S-Bahn Fensterbild von Georg Vierbuchen ((c) Georg Vierbuchen)
Ganz unauffällig mit Schiebermütze, schwarzem T-Shirt und schwarzer Jeans steigt Georg Vierbuchen in die S-Bahn – über der Schulter trägt er eine Plakatrolle. Darin eingerollt ist das fragile Window-Color-Bild. Einer seiner Freunde begleitet ihn, denn ohne Hilfe lässt sich das 1 Meter hohe und etwa 1,30 breite Bild nicht aufs Fenster kleben. "Bei diesen fensterfüllenden Sachen ist schon wichtig, dass man die von zwei Seiten nimmt, sonst sackt das in der Mitte so schnell runter."
Bis zur letzten Sekunde zögern beide, ob sie die Aktion wirklich durchziehen wollen, weil die Bahn für einen Sonntagmorgen recht voll ist. Aber dann läuft alles glatt und dauert nur zwei Minuten. Die beiden breiten das Bild am Boden der S-Bahn aus, ziehen einen Teil der Folie ab und kleben das Bild passgenau auf die Scheibe wie einen riesigen Sticker. Stück für Stück, damit keine Falten oder Luftblasen entstehen. Gerade an diesem Tag mit knapp 25 Grad keine leichte Aufgabe, weil sich das Bild bei Hitze schnell verzieht. "Es klebt auch viel härter. Du kannst es nicht noch einmal von der Scheibe ablösen, weil es, wenn das weich ist sofort anfängt zu kleben und dann macht das Falten."
Potentielle Störer als Publikum
Immerhin mehr als ein Dutzend Fahrgäste und damit potentielle Störer schauen bei der Aktion zu. Manche mustern die beiden kritisch, andere schauen gelangweilt zu Boden. Doch es gibt auch eine junge Frau, die sich das verwandelte S-Bahn-Fenster ganz intensiv anschaut. "Full Plastic" – Vollplastik – dieser Schriftzug prangt auf dem Fenster. Darum herum ranken sich abstrakte Formen in knalligem orangegelb, smaragd oder hellgrün. In der rechten oberen Ecke hat Georg Vierbuchen eine kleine Signatur hinterlassen.
Entstanden ist das so schnell dahin geklebte Fensterfarbenbild in tagelanger Arbeit bei Georg Vierbuchen im Atelier, wo säckeweise leere Window-Color-Tuben herumliegen. Wie genau er auf die Idee gekommen ist, aus Window Color Street Art zu machen, daran erinnert sich der Künstler gar nicht mehr genau. Aber eine Rolle spielt sicher, dass er schon als Kind von Fensterfarben begeistert war. "Wir haben das früher auch zu Hause gemacht. Ja, es kleben bei uns zu Hause auch noch welche. Eins überlebt hartnäckig. Ein Delfin bei uns im Badezimmer, den gibt es immer noch."
Mehr als nur Deko
Aber um eine reine Verschönerung oder Dekoration der S-Bahn geht es Vierbuchen bei seinen Aktionen nicht. "Window Color wird zuhause gemacht, um auch das Zuhause zu verschöneren, und das war für mich von Anfang an ganz wichtig, das von diesem Heimelig-Kitschigen zu lösen. Es ist ein bisschen so, dass ich eine Affinität hab zu diesem Gediegenen, bisschen Spießigen. Auch Sachen, die aus der Mode kommen, so etwas interessiert mich."
Also zieht Georg Vierbuchen die spießige Window-Color ganz groß im öffentlichen Raum auf. An der Technik hat Vierbuchen lange experimentiert, alles muss miteinander verbunden sein, sonst bricht das Bild und zerfällt in seine Einzelteile. "Eigentlich benutze ich die Farben genauso wie damals auch direkt aus der Tube. Ich brauche nur viel, viel mehr! Irgendwann habe ich angefangen, das zu siebdrucken und bin jetzt gerade dabei das zu sprühen mit der Airbrush-Pistole."
Der Künstler druckt, sprüht oder verteilt die Farbe auch schon mal großflächig mit den Händen. 20 bis 30 Tuben Farbe verbraucht er pro Bild. "Die trocknet sehr dünn aus und sehr transparent. Was das gerade mit dem Sprühen auch sehr schwierig macht, weil man sehr viele Schichten braucht, damit man überhaupt etwas sieht. Die muss eigentlich sehr fett aufgetragen werden, trocknet dann sehr dünn aus und fühlt sich dann an wie Gummi oder Plastik."
Wie ein Puzzlespiel
Georg Vierbuchen malt auf Gewächshausfolie, weil die schön dünn und reißfest ist. Manchmal hat er einen festen Plan, den er umsetzt. Oft entsteht das Bild aber auch erst beim Machen.
"Ich arbeite viel mit Found Footage, einfach Ästhetiken und Bilder, die mich ansprechen auf der Straße. Auch selbstgeschossene Fotos von Momenten. Ich leg mir dann einen Ordner an und habe eine riesige Bildersammlung auf dem Computer, wo ich dann durchgehe und Dinge zusammensetze. Oft beinhaltet das auch eigene Zeichnungen, die ich damit kombiniere. Wie ein Puzzlespiel, an das ich mich herantaste."
Doch wie kann der Künstler ein Bild, an dem er vier, fünf Tage, manchmal auch zwei Wochen puzzelt, am Ende einfach so mit der Bahn wegfahren lassen?
"Irgendwie stelle ich mir gerne vor, wie das durch die Stadt fährt und zu potentiellen Betrachtern hinfährt, und nicht wie bei Menschen, die in eine Ausstellung gehen und sich Bilder explizit anschauen. Auch dieses, sich nicht aussuchen können, wann ich mit einem Bild konfrontiert werde, finde ich spannend."
Und besonders spannend findet es Georg Vierbuchen, nach dem Kleben noch ein paar Stationen inkognito mit der Bahn mitzufahren und die Reaktionen der Mitfahrer zu beobachten. "Manche unterhalten sich voll offen darüber und sagen ganz ehrlich, was sie darüber denken und finden es meistens ganz witzig oder machen ganz schüchtern beim Rausgehen ein Foto."
"Endstation - Bitte alle aussteigen!"