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Jugoslawien-Kriege
Vergangenheitsbewältigung in Serbien

Für die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen im früheren Jugoslawien ist der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag eine wichtige Adresse. In Serbien allerdings stoßen die Prozesse nur auf wenig Interesse. Statt Vergangenheitsbewältigung überwiegt nationale Rhetorik.

Von Clemens Verenkotte | 13.06.2017
    Serbische Nationalisten protestieren in Belgrad am 24.03.2016 gegen die Verurteilung von Radovan Karadzic durch das UNO-Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag
    Serbische Nationalisten protestieren gegen die Verurteilung von Karadzic am 24.03.2016. Das Land steht seit langem unter massiver Kritik des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (imago/Ilic Srdjan )
    Es sei ein weitverbreitetes Phänomen in der gesamten Region: Sobald es um die Frage der juristischen und politischen Aufarbeitung der Kriege während der 90er Jahre gehe, zeige jedes Land auf das Andere. Dort müsse mal erst einmal anfangen! Der serbische stellvertretende Staatsanwalt für Kriegsverbrechen in Belgrad, Bruno Vekarić:
    "Das Thema der Kriegsverbrechen wird leider sehr schnell wie ein Feuer auf die Politik übertragen: Seien das Fälle der potenziellen Täter aus dem Kosovo oder aus Serbien, Kroatien oder Bosnien. Das löst ein Erdbeben in der Region aus. Politiker akzeptieren sehr gerne diese 'Rangeleien' unter sich, was letztendlich aber niemandem einen besonderen Nutzen bringt. Das engt nur die Justizorgane ein. Denn das sind auch nur Menschen aus Fleisch und Blut, die sich diese Themen immer anhören müssen und deshalb auf gewisse Weise passiver werden, als sie das sein sollten."
    Kooperation: Fehlanzeige
    Serbien steht seit langem unter massiver Kritik des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien: Dessen Chefankläger, der Belgier Serge Brammertz, richtete erst vergangene Woche vor dem UN-Sicherheitsrat in New York harsche Vorwürfe an die Adresse Belgrads. Serbien sei zur Strategie der Nicht-Kooperation mit Den Haag zurückgekehrt, sagte Brammertz.
    So widersetzten sich die Behörden seit bald zweieinhalb Jahren, drei hochrangige serbische Angeklagte zu überstellen. Die Vorwürfe aus Den Haag lauten zudem: Es gebe eine wachsende Tendenz der Verweigerung und der Negierung von gerichtlich festgestellten Fakten. Dies betreffe Serbien, aber auch andere Länder des ehemaligen Jugoslawiens. Stets würde es heißen: "Wir erkennen unsere Opfer an, aber nicht Eure!"
    Das sei auch kein Wunder, meint die Journalistin Jelena Diković von der Tageszeitung "Danas", die auch für die serbische Menschenrechtsorganisation "Fonds für humanitäres Recht" die Prozesse in Serbien beobachtet:
    "Wenn man die Bedeutung des Fernsehens für die Information der Öffentlichkeit berücksichtigt, weist unser Fond für humanitäres Recht immer wieder darauf hin, dass in mehr als 14 Jahren die serbische Öffentlichkeit kein einziges Mal die Gelegenheit hatte, weder die Aussagen der Opfer zu hören, die der Täter und der Zeugen der Kriegsopfer, noch eine Urteilsverkündung zu sehen, ohne Rücksicht auf ihre Nationalität."
    Medien feiern EX-Geheimdienstchefs als Helden
    Breiteste Medienbeachtung finden allerdings diejenigen Angeklagten, die mit einem Freispruch zurückkehren aus Den Haag. Als der Ex-Geheimdienstchef Jovica Stanišić und dessen Vize Franko Simatović im Juni 2013 nach ihrem spektakulären Freispruch durch den Internationalen Strafgerichtshof mit einer Linienmaschine in Belgrad landeten, feierten Medien und Politik die Beiden als Helden.
    Die Staatsanwaltschaft ging in Revision, und bekam Recht. Gegen Stanišić, den "Eisigen", wie er zu Zeiten seiner Herrschaft in den 90ziger Jahren genannt wurde und seine rechte Hand Simatović wird jetzt erneut verhandelt, wegen der gleichen Anklage: Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen während der Kriegsjahre.
    Dejan Anastasijević, Journalist der politischen Zeitschrift "Vreme", gehört zu denjenigen Autoren, die seit langer Zeit schon über die Prozesse in Den Haag berichten. Er sieht einen engen Zusammenhang zwischen dem gesellschaftlichen Schweigen über die eigene Vergangenheit und der nationalistisch motivierten Rhetorik der Politik. Im Sender B92 sagte er:
    "Politiker sind sich bewusst, dass das Reden über unsere eigenen Verbrechen keine Punkte bei den Wahlen bringt. Menschen empfinden dieses Thema als unangenehm, so dass es für sie (Politiker) leichter ist zu prahlen und zu rufen: 'Wir sind Helden', usw."