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Zeitreise durch Kunst und Politik

Die Oper "Mathis der Maler" von Paul Hindemith befasst sich nicht nur mit dem Maler Matthias Grünewald, sondern auch mit dem Thema: Künstler im Konflikt. Am Theater an der Wien hatte das Werk jetzt Premiere.

Von Christoph Schmitz | 13.12.2012
    Paul Hindemiths Oper "Mathis der Maler" ist ein hoch komplexes Gewebe aus historischen, kunsthistorischen, zeitgeschichtlichen und Kunst reflektierenden Motiven. Die gesellschaftlichen Umbrüche in Deutschland zu Beginn des 16. Jahrhunderts, die Entdeckung neuer Weltregionen, Luthers Reformation, die Auseinandersetzungen zwischen Lutheranern und Katholiken, der Bauernaufstand als erste Volkserhebung gegen die überkommenen Verhältnisse sind die geschichtliche Dimension, die Paul Hindemith in seiner Künstleroper zu einem großen Tableau ausbreitet.

    Dazu kommt das Leben und Ringen eines Malers wie Matthias Grünewald, der Schöpfer des Isenheimer Altars in Colmar, der die religiösen Bilderwelten des Mittelalters mit der expressiven Subjektivität des neuen Zeitalters aufblühen ließ. Und darüber hinaus spiegelt sich in diesem Maler Hindemith selbst, den Künstler in unruhiger, beklemmender, gewalttätiger Zeit, den Künstler, der sich selbstquälerisch fragt, ob und wie er sich in diesen Zeiten überhaupt der Kunst widmen kann und darf.

    Hindemith befand sich während der 1930er-Jahre genau in dieser Situation. Er ließ sich einerseits nicht von den Nazis einspannen, andererseits konnte er sich aber auch nicht zum offenen Widerstand entschließen. Er zog die innere Emigration vor und das stille Exil ab 1938 zuerst in der Schweiz, später in den USA. Die Leistung des Regisseurs der Wiener "Mathis"-Aufführung, Keith Warner, besteht nun darin, dass er das thematische Gewebe dieser Oper nicht auflöst und sich nicht für einen Faden entscheidet, sondern es bei der Komplexität belässt. Mittelalter, Neuzeit, Religions- und Bauernkriege, Deutschland in den 1920er-Jahren, als Matthias Grünewald wiederentdeckt und die Bildteile des Isenheimer Altars wieder zusammengefügt wurden. Am Ende des Wiener Abends sieht Keith Warners Mathis schließlich aus wie ein erschöpfter Maler unserer Tage, der auf sein Lebenswerk zurückblickt.
    Bertrand de Billy am Pult entlockt dem oft harten, mitunter spröden und klassizistisch kühlen Tonsatz Hindemiths überraschend warme, fast romantische Klänge, wie hier beim Engelkonzert des Vorspiels. Deutlich markiert Billy immer wieder dieses Thema des mittelalterlichen Chorals "Es sungen drei Engel", hebt die gregorianischen und barocken Formen heraus, lässt es aber auch kräftig rumoren und dröhnen. Auf der Drehbühne zirkuliert dabei die dreidimensionale Riesenskulptur des Gekreuzigten von Matthias Gründewalds Isenheimer Altar. Zwischen den ausgemergelten Gliedmaßen sehen wir Mathis im Atelier, die aufständischen Bauern mit Heugabeln, die Mainzer Bürger im Frack, den Kardinal in Lederstiefeln und rotem Mantel.

    Wenn das Morden eskaliert, zerbricht die Christusskulptur, und zu Mathis' visionärem Albtraum kriechen jene Figuren und Monster teils aus dem Corpus hervor, Motive, die wir aus Gründewalds "Versuchung des Heiligen Antonius" kennen, Vogelmenschen, Teufelsfratzen, lepröse Zwerge. Ein starker, bestens choreografierter Bilderreigen von Keith Warner und seinem Team. Ein starker, volltöniger und zugleich sanfter Mathis von Wolfgang Koch.

    Kurt Streit als Mainzer Kardinal zeigt einen liberalen und wendigen Intellektuellen, gibt alles, forciert aber in den Höhen und verengt sie. Raymond Very singt den Bauernführer Schwalb intensiv. Sehr subtil und filigran gestaltet Katerina Tretyakova die Bauerstochter Regina. Und in der Rolle der Bürgerstochter Ursula, die jugendlich-dramatische Manuela Uhl mit gleißendem Sopran. Musikalisch und szenisch ein wuchtiger und kraftzehrender Premierenabend.