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Werbung mit dem "Versprechen uneingeschränkter Macht"

Scientology hat offiziell das Ziel, eine Welt ohne Geisteskrankheiten, Krieg und Kriminalität zu schaffen. Laut Frank Nordhausen geht es der Organisation jedoch darum, "einen Führerstaat mit Menschenrechten nur für Scientologen zu errichten" - und etwa 20 Prozent der Menschheit in Lager zu sperren.

Frank Nordhausen im Gespräch mit Christoph Heinemann | 31.03.2010
    Christoph Heinemann: Das ARD-Fernsehen strahlt heute Abend nach der Tagesschau einen Film aus, dessen Titel eine Gefahr beschreibt: "Bis nichts mehr bleibt". Es geht um die Organisation Scientology. Die Dreharbeiten fanden unter strenger Geheimhaltung statt. Offiziell hieß es, ein Tatort-Film sei in Arbeit. Die Drehbücher wurden nach jedem Drehtag wieder eingesammelt. Scientology versucht immer wieder, gerichtlich gegen Filme vorzugehen. Der Journalist Frank Nordhausen hat sich mit den Scientologen beschäftigt, er ist Co-Autor des Buches "Scientology – wie der Sektenkonzern die Welt erobern will". Guten Tag!

    Frank Nordhausen: Guten Tag.

    Heinemann: Herr Nordhausen, Stichwort Welteroberung. Ist der von Ihnen beschriebene Konzern auf dem Vormarsch oder auf dem Rückzug?

    Nordhausen: Scientology hat momentan sehr starke Probleme. Führende Mitglieder sind in den letzten zwei bis drei Jahren ausgestiegen und auch eine Reihe von Prominenten, die ja enorm wichtig sind für Scientology, für die Werbewirkung von Scientology, haben Scientology verlassen. Das ist etwas, was allen Experten große Sorgen bereiten muss, denn es bedeutet, dass es möglicherweise zu einer Radikalisierung dort kommt, und das ist bei Sekten aller Art immer ein besonderes Problem, wenn sie in eine solche Situation geraten, wo sie sich von Feinden umzingelt sehen.

    Heinemann: Warum kehren so viele jetzt der Organisation den Rücken?

    Nordhausen: Das hat mit der Aufklärungswelle zu tun, die seit, ich würde mal sagen, Anfang der 2000er-Jahre auch die USA erreicht hat, nachdem dort führende Zeitungen wie die "New York Times" und die "Washington Post", vor allen Dingen die "New York Times" und das "Time Magazine" ihre Prozesse gegen Scientology gewonnen haben, denn zuvor hat etwa, ich würde mal sagen, sechs, sieben Jahre in den USA pressemäßig Funkstille geherrscht, weil diese Zeitungen und auch Fernsehsender mit ungeheuer hohen Schadenersatzforderungen verklagt worden sind. Sehr wichtig – das darf man auch nicht vergessen – ist das Internet, das eine unglaubliche Rolle in der Aufklärung über Scientology gespielt hat, weil dort viele Ehemalige, viele Aussteiger erstmals ein Forum fanden und auch gehört wurden.

    Heinemann: Was reizt Menschen überhaupt, in diese Organisation einzutreten?

    Nordhausen: Na ja, es gibt sicher welche, die dort eintreten, weil sie einen gewissen Reiz erkennen, und der Reiz liegt letztlich auf der Hand. Es ist das Versprechen uneingeschränkter Macht und letztlich auch der Unsterblichkeit. Man muss aber sagen, dass bei Scientology wie bei den meisten Sekten die Menschen dort nicht freiwillig, also suchenderweise reingehen, sondern dass man angeworben wird, und das ist auch bei Scientology der Fall und das kann man auch sehr schön in dem Film heute Abend sehen. Da wird das sehr deutlich gezeigt, wie so etwas funktioniert, dass es in der Regel nicht normalerweise auf der Straße passiert, sondern im Freundeskreis oder im Kreis von Bekannten und Arbeitskollegen und so weiter.

    Heinemann: Sie haben jetzt die offiziellen Ziele benannt. Welchen Zielen dienen die Scientologen denn tatsächlich?

    Nordhausen: Scientology hat offiziell das Ziel, eine Welt ohne Geisteskrankheiten, Krieg und Kriminalität zu schaffen. Das ist das, was die immer so offiziell vor sich hertragen. Tatsächlich aber muss man sagen – und das haben auch deutsche Gerichte inzwischen letztinstanzlich festgestellt -, dass es darum geht, einen Führerstaat mit Menschenrechten nur für Scientologen zu errichten, im Grunde ganz ähnlich der Nazi-Ideologie, nur eben in einem vielleicht moderneren Gewand. Man will selektieren, man will auch – das hat der verstorbene Scientology-Gründer Ron Hubbard mal ganz deutlich gesagt – etwa 20 Prozent der Menschheit in Lager sperren. Das wären immerhin in Deutschland etwa acht Millionen Menschen.

    Heinemann: Herr Nordhausen, wieso haben die USA offiziell kein Problem mit einer solchen Organisation und mit einer solchen Ideologie?

    Nordhausen: Na ja, ich würde mal sagen, dass man nicht sagen kann, dass die USA da kein Problem haben, denn wenn man sich anguckt, was gerade in den letzten zwei Jahren dort an Prozessen auch gelaufen ist, wo jetzt eigentlich erstmals seit langer, langer Zeit Opfer und Ehemalige vor Gericht gehen und Schadenersatz fordern für entgangene Bezahlung, oder auch für Schäden, die sie davongetragen haben, dann kann man eigentlich nicht sagen, dass es da kein Problem gibt. Ich hatte auch schon angesprochen, dass die Presse dort durchaus wieder mutiger geworden ist, und gerade in dieser Woche wird CNN an vier Tagen hintereinander ein jeweils einstündiges Programm über Scientology bringen, wo Ehemalige auch darüber sprechen, dass sie persönlich geschlagen wurden, etwa von dem Scientology-Chef David Miscavige persönlich geschlagen wurden und vieles andere mehr erdulden mussten, dass es Straflager gibt und diese Dinge. Es gibt einen Grund, warum Scientology sozusagen unter dem Schutz der US-Regierung steht und auch, wie wir ja wissen, in den Jahresberichten des US-Außenministeriums immer wieder Deutschland kritisiert wird, weil man hier Scientologen angeblich diskriminiert. Das hat damit zu tun, dass Scientology mit einer sehr interessanten, sehr gewitzten, sehr hinterhältigen auch Operation es 1993 erreicht hat, dass sie in den USA für gemeinnützig erklärt worden sind und von den Steuern befreit worden sind.

    Heinemann: Wie wichtig sind Prominente wie die Schauspieler Tom Cruise oder John Travolta für die Organisation?

    Nordhausen: Die sind enorm wichtig. Deswegen ist Scientology auch im Augenblick so angeschlagen, weil eben Prominente wie der Regisseur Paul Haggis die Sekte in den letzten Monaten verlassen haben. Das sind die Werbeträger. Das sind die wichtigsten Menschen, die sozusagen der Welt verkünden, Scientology ist toll, kommt dahin, macht mit, dann werdet ihr genauso erfolgreich sein wie Tom Cruise oder John Travolta.

    Heinemann: An den Häusern der Organisation hängt außen oft ein kreuzähnliches Symbol. Wofür steht das?

    Nordhausen: Ja, das ist eine interessante Frage. Die weist sozusagen auf die Wurzeln von Scientology, und diese Wurzeln liegen in dem Neosatanismus von Aleister Crowley, einem selbsternannten englischen Magier, der bis heute in der Satanistenszene eine große Bedeutung hat, und der hat dieses Kreuz erfunden. Der Scientology-Gründer Ron Hubbard war eine Zeit lang Schüler von Aleister Crowley und hat von dort dieses Symbol übernommen. Es ist das durchkreuzte christliche Kreuz. Das ist eigentlich der symbolische Kerngehalt dieses Scientology-Symbols.

    Heinemann: Frank Nordhausen, Co-Autor des Buches "Scientology – wie der Sektenkonzern die Welt erobern will". Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Nordhausen: Ja, bitte!

    Heinemann: Den Film "Bis nichts mehr bleibt" strahlt die ARD heute Abend um 20:15 Uhr aus und wie sich die Scientology-Organisation in Hamburg dagegen wehrt, das erfahren sie in unserer Sendung "Deutschland heute" ab 14:10 Uhr.