Neutralität und Zensur im Web

Von Michael Meyer · 06.05.2013
Blogger, Internetaktivisten, Journalisten, Wissenschaftler und Politiker treffen sich in Berlin zur Konferenz re:publica. "In/Side/out" lautet das Motto in diesem Jahr. Eine ganze Reihe von Vorträgen und Diskussionen thematisieren die Freiheit des Netzes.
So lang wie in diesem Jahr waren die Schlangen schon lange nicht mehr vor der Station Berlin, jenem alten Bahnhof, in dem die re:publica nun schon zum zweiten Mal stattfindet. Vor dem Eingang in der Sonne sitzt unter anderem Mario Sixtus, der "elektrische Reporter" des ZDF. Angesichts von Dutzenden von Vorträgen und einer Vielzahl an Themen kann man sich schon fragen: Wo verläuft der rote Faden der Konferenz? Sixtus meint:

"Also ich denke, das akut-beherrschende Thema wird Netzneutralität sein. Das war ungefähr vor fünf Jahren auf der re:publica das beherrschende Thema, das hat außerhalb der re:publica damals niemanden interessiert. Jetzt hat die Telekom, man muss ihr dankbar sein dafür, dafür gesorgt, dass dieses einstige Orchideenthema in Nerdkreisen Netzneutralität sogar beim Bundeswirtschaftsminister angekommen ist. Und ich denke, Echos davon wird man auch hier vernehmen."

Und in der Tat widmeten die Veranstalter der re:publica, Johnny und Tanja Häusler und Markus Beckedahl in der Eröffnungsveranstaltung dem Thema Netzneutralität breiten Raum. Die Telekom hatte vor zwei Wochen angekündigt, dass sie größere Datenpakete über 75 Gigabyte künftig gesondert abrechnen will. Das Netz wäre also nicht mehr "neutral". Anders ausgedrückt: Wer mehr surft, Filme im Internet guckt, muss künftig mehr zahlen.

Telekom heizt Thema Netzneutralität an
Aber auch Inhalteanbieter, etwa kleine Internetfirmen, die viele Daten durchs Netz schicken, werden künftig möglicherweise stärker zur Kasse gebeten werden. "Die Telekom will das Prinzip eines freien und offenen Internets über den Haufen werfen, wir sind als erstes betroffen, unsere Blogs, unsere Start-Ups", monierte Markus Beckedahl. Und Johnny Häusler meint, dass das Motto der Konferenz "In/Side/out" durchaus auch seine Berechtigung habe beim Thema Netzneutralität:

"In dieser Netzblase, in der wir uns teilweise befinden, ist das ein Riesenthema. Aber im Mainstream ist das überhaupt nicht angekommen, und ich meine, seit sieben Jahren reden wir über Netzneutralität. Das ist aber kein Thema, was man in die Mitte der Gesellschaft so leicht kriegt. Und deswegen muss es von innen, wenn man es so sieht, nach "außen" gehen, oder wir müssen uns mal fragen, ob wir nicht außen sind. Also dieses Wortspiel zeigt halt einfach, dass man die eigene Perspektive auch immer mal wieder infrage stellen muss und auch die Themen."

Genau für diesen Zweck hatte man Günther Dueck eingeladen, Mathematiker und Netzphilosoph – und bekannter Querdenker. Dueck wusch seinen Zuhörern den Kopf, in dem er sagte, man könne solche Themen nicht immer nur einseitig sehen. Mit anderen Worten: Die Telekom wolle ja nicht das Netz zensieren, sondern nur mehr Geld für mehr Leistung sehen. Das sei beim Wasser oder beim Strom nicht anders, so Dueck. Erstaunlicherweise gab es an dieser Stelle im riesigen Saal keine Buhrufe aus dem Publikum.

Nicht alle könnnen mitreden?
Dueck ging in seinem Vortrag auch darauf ein, wie Diskussionsprozesse gelingen können, nämlich nicht so wie bei der Piratenpartei, wo jedes einfache Parteimitglied mitreden kann:

"Ich glaube, dass es im Grunde nicht geht. Weil im Grunde müsste man, wenn man einen Standpunkt hat, ihn sich lange überlegen, ihn sehr sorgfältig ausarbeiten. Und dann immer so ein bisschen Kritiker reinlassen, die sagen: Das ist ganz falsch, das ist ganz falsch. Dann überlegt man sich das, ... dann entwickelt man und lässt das irgendwie reifen. Das heißt: Man arbeitet etwas so schön aus, dass wenn die Leute es zum ersten Mal sehen, sagen: Wir hätten gerne noch eine andere Farbe und ein bisschen schöner, aber im Großen und Ganzen ist es ganz gut."

Andererseits sind derlei Debatten echte Luxusprobleme, wenn man an die Zustände in anderen Ländern denkt. Sprecher aus fast 50 Ländern wurden in diesem Jahr auf die re:publica eingeladen, unter anderem auch jene, in deren Ländern das Netz teilweise oder total zensiert ist. Eine der bekanntesten Bloggerinnen weltweit ist die Kubanerin Yoani Sanchez: Sie schrieb 2007 erstmals ihren Blog "Generation Y". Darin beschreibt sie den harten und beschwerlichen Alltag der Kubaner – lange Jahre war der Blog innerhalb Kubas nicht erreichbar.

Kuba kennt kein freies Internet
Sanchez hat nach Jahren erstmals eine Reiseerlaubnis bekommen, ein neues Gesetz machte es möglich. Sie sprach über ihre Erfahrungen mit dem Internet in einem Land, das keine freie Presse und kein freies Internet kennt.

"Ich bin hier nicht wegen meines Namens oder wegen meiner Person, sondern weil ich Teil einer wichtigen Bewegung des heutigen Kubas bin. Die Bewegung der alternativen Blogger, der unabhängigen Reporter. Wir leben in einem Land, dass die niedrigste Verbreitung von Internetanschlüssen in der gesamten westlichen Welt hat."

Sanchez sprach lange über ihren Alltag, in dem sie nur rund einmal die Woche die Möglichkeit hat, in einem Touristenhotel ihre Texte nach Europa zu schicken, von wo aus der Blog betreut wird. Kuba sei eine "Insel der Abgehängten", so Sanchez. Derzeit gebe es dennoch rund 200 Blogger und Reporter, die zur Gemeinde der alternativen Öffentlichkeit gehören. Sanchez gibt in ihrer Privatwohnung regelmäßig Seminare, in denen sie erklärt, wie man am besten bloggt und im Internet publiziert.

Trotz der Zensur haben diese Seiten einen erstaunlichen Einfluss, so Sanchez:
"Stellen Sie sich vor, wie gefährlich es für einen einfachen Bürger ist, ein Ereignis, einen Autounfall oder was auch immer, per Smartphone aufzunehmen und ins Netz zu stellen. In den letzten Jahren kam es sogar vor, dass die offizielle Staatspresse darauf reagieren musste, wenn ein Blogger oder jemand per Twitter etwas vermeldet hat. Früher hätten sie das der Welt verschwiegen."

Angesichts solcher Zustände wirken die deutschen Debatten manchmal etwas kleinteilig – auch wenn sie sicher nötig sind. In jedem Fall ist die re:publica in diesem Jahr deutlich internationaler geworden – eine Erweiterung des Blickfelds, die dem Thema Netzpolitik sicher gut tut.
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