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"Hard Brexit"
Ifo-Chef: "Noch nicht das Ende der Verhandlungen"

Der Präsident des ifo-Instituts, Clemens Fuest, geht fest davon aus, dass die britische Premierministerin Theresa May am Mittag Pläne für einen "harten Brexit" präsentieren wird. Die Europäer hätten ihr keine andere Wahl gelassen, sagte Fuest im Deutschlandfunk. Dies sei aber der Beginn der Verhandlungen, nicht das Ende.

Clemens Fuest im Gespräch mit Sandra Schulz | 17.01.2017
    Der Präsident des ifo Instituts, Clemens Fuest, posiert vor einem Schild mit der Aufschrift "ifo".
    Der Präsident des ifo Instituts, Clemens Fuest. (picture alliance / dpa / Christina Sabrowsky)
    Fuest sagte, die Europäer hätten London sehr deutlich gemacht, dass es keine "Rosinenpickerei" bei den bevorstehenden Austrittsverhandlungen geben werde. Daher könne sich die britische Premierministerin Theresa May gar nicht anders positionieren.
    Ein harter Brexit - also ein Ausscheiden des Landes aus dem Eu-Binnenmarkt und aus der Zollunion - wäre für beide Seiten schmerzhaft. Fuest betonte, er gehe davon aus, dass Großbritannien zwar stärker darunter zu leiden hätte als die EU. Es sei aber auch kleiner und damit flexibler, sich an die neue Situation anzupassen. Das heißt, London könnte entsprechend reagieren, in dem es etwa das Pfund abwerte, die Steuern senke oder mit den USA ein Freihandelsabkommen schließe, erklärte Fuest.
    Der Ifo-Präsident betonte, der künftige US-Präsident Trump habe der Premierministerin in seinem jüngsten Interview den Rücken gestärkt. Trump hatte einen möglichen amerikanisch-britischen Handelspakt angekündigt. Allerdings müsse May sich fragen, wie verlässlich Trump als Partner sei.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Am Telefon ist Clemens Fuest, Präsident des Münchener ifo-Instituts. Schönen guten Morgen.
    Clemens Fuest: Guten Morgen, Frau Schulz.
    Schulz: Gehen Sie davon aus, dass dieser harte Brexit jetzt kommt?
    Fuest: Das halte ich noch nicht für zwingend. Ich glaube, das Ganze ist eine Folge der bisherigen Debatte. Theresa May muss sich so positionieren, weil die Europäer ihr ja Rosinenpicken vorwerfen, und dann ist die Reaktion jetzt zunächst mal, nein, ich möchte kein Rosinenpicken. Es gibt einen "Hard Brexit", sie können auch andere Wege gehen, aber ich denke, das ist der Beginn der Verhandlungen, das ist noch nicht das Ende.
    "Für die EU ein Exportmarkt unter anderen"
    Schulz: Ist uns heute Morgen aber trotzdem Anlass, noch mal genauer zu schauen, was dieser harte Brexit hieße. Abschied aus dem Binnenmarkt und aus der Zollunion, was genau bedeutet das?
    Fuest: Das würde bedeuten, dass Großbritannien nicht mehr wie bisher ohne große bürokratische Hürden Produkte nach Europa exportieren kann. Das würde bedeuten, dass die britischen Banken, die ja sehr wichtig sind für das Land, acht Prozent der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung dort ausmachen, dass die auch nicht mehr ohne weiteres im europäischen Binnenmarkt operieren können. Es würde umgekehrt bedeuten, dass die deutsche Exportindustrie, vor allem die Autoindustrie nicht mehr so einfach exportieren kann nach Großbritannien. Vor allem die deutsche Industrie ist ja sehr, sehr interessiert am britischen Markt. Großbritannien ist das drittwichtigste Exportland für Deutschland. Und auch andere Länder exportieren nach Großbritannien. Beide Seiten hätten doch für große Teile ihrer Märkte mit höheren Handelskosten zu rechnen. Das betrifft natürlich Großbritannien stärker als den Rest der EU, weil Großbritannien kleiner ist als die EU, aber es ist doch auch schmerzhaft für uns.
    Schulz: Wen würde es mehr schmerzen?
    Fuest: Sicherlich Großbritannien zunächst, denn für Großbritannien ist natürlich die EU ein gewaltiger Wirtschaftsraum. Für die EU umgekehrt ist Großbritannien wichtig, aber eben nur ein Exportmarkt unter anderen. Trotzdem ist das Ganze schmerzhaft und vor allem fällt es Großbritannien sicherlich leichter, dann flexibel auf die neue Lage zu reagieren. Das Land kann abwerten, das kann Land kann Steuern senken, das Land kann mit den USA eine Freihandelszone gründen, das Land würde auch nicht mehr der europäischen Subventionskontrolle unterliegen. Das heißt, es könnte gezielt in bestimmten Sektoren Subventionen und Anreize setzen, um Arbeitsplätze zu attrahieren. Man könnte sich als Steueroase positionieren, man könnte Regulierungen abbauen und so versuchen, Firmen anzuziehen. Großbritannien hat zwar den Nachteil, kleiner zu sein und stärker von der EU abhängig zu sein als umgekehrt, aber man ist auch viel flexibler, um sich hinterher anzupassen.
    "Großbritannien könnte sich als Niedrigsteuer-Standort positionieren"
    Schulz: Laufen wir da, weil Sie das gerade ansprechen, auf diesen Unterbietungswettbewerb zu, was niedrige Steuern betrifft?
    Fuest: Indem die EU darauf besteht, dass Großbritannien aus dem Binnenmarkt ausscheidet, wenn es sich nicht mehr an die Migrationsfreiheit hält oder in anderer Weise abweicht, zwingen wir Großbritannien dazu, dass das Land zu solchen Maßnahmen greift. Was sollen die Briten denn tun? Sie müssen ja ihre wirtschaftlichen Interessen verteidigen und das wird wohl nur gehen, indem sie sich als Niedrigsteuer-Standort positionieren.
    Schulz: Gleichzeitig ist es so, Sie haben es ja auch gerade noch mal gesagt, dass diese Entscheidung, dieser Schnitt für Großbritannien sehr wahrscheinlich schmerzhafter werden wird als für die EU, was ja auch diese ganze Brexit-Entscheidung so paradox und so irrational macht. Hat es da jetzt schon eine Zeitenwende gegeben durch den Wechsel, der sich im Weißen Haus abzeichnet, der kommt, der am Freitag kommt, Donald Trump, der dann ins Weiße Haus einzieht, der neue US-Präsident, der ja in seinem Interview jetzt in der "Bild"-Zeitung und mit der britischen "Times" auch durchaus Freundlichkeiten noch mal geschickt hat in Richtung der Brexitiers.
    Fuest: Das stärkt natürlich die Verhandlungsposition von Theresa May, die Aussicht, dass man mit den Amerikanern zusammenarbeiten kann. Ob das dann wirklich am Ende so reibungslos klappt, muss man abwarten. Ein Handelsabkommen abzuschließen, ist schon ziemlich kompliziert. Das dauert auch eine gewisse Zeit. Aber es ist klar, dass er ihr den Rücken damit gestärkt hat. Nur muss sie sich natürlich fragen, wie verlässlich ist eigentlich Donald Trump als Partner, kann sie wirklich auf diese Ankündigung bauen. Ich denke, dass sie diese Rede gehalten hätte und sich für den "Hard Brexit" ausgesprochen hätte selbst ohne Trumps Ankündigung.
    "Trump will, dass der Brexit ein Erfolg wird"
    Schulz: Würde Trump das denn machen?
    Fuest: Ich kann mir gut vorstellen, dass Trump sich dafür einsetzen würde. Die Exporte aus Großbritannien setzen ja die amerikanische Industrie weniger unter Druck. Das ist eher Handel im Bereich Dienstleistungen. Es ist nicht die Art von Handel, gegen die Trump sich ja ausgesprochen hat. Offenbar fühlt er sich außerdem den Briten sehr verbunden. Er ist ja auch misstrauisch, typisch populistische Positionen. Er ist misstrauisch, was internationale Organisationen oder supranationale wie die EU angeht. Er setzt sehr stark auf Entscheidungen auf nationaler Ebene und all das passt natürlich zum Brexit, und er will sicherlich, dass der Brexit ein Erfolg wird.
    Schulz: Es ist jetzt natürlich auch die große Frage, inwieweit er seinerseits ernst macht mit den Abschottungstendenzen. Damit sind wir jetzt zwangsläufig bei dem Thema, für das wir uns heute Morgen eigentlich verabredet haben. Eigentlich wollten wir schauen auf den Ausblick auf das Weltwirtschaftsforum in Davos. Da ist jetzt die interessante Konstellation: Zum ersten Mal kommt ein chinesischer Staatspräsident und der hat jetzt schon im Vorfeld für Freihandel geworben (was früher ja das große Thema der USA war). Hat es da einen Vorzeichenwechsel gegeben?
    Fuest: Ja, das scheint sich anzudeuten, und das ist natürlich bedenklich. Die USA sind ein ganz wichtiger Akteur, wenn es um Freihandel geht, wenn es um die Verteidigung westlicher Werte in der Welt geht, und wenn die jetzt durch die Chinesen ersetzt werden, also letztlich durch ein nichtdemokratisches Land, dann ist das ein großes Problem. Man, denke ich, sollte abwarten, ob Trump sich wirklich in dieser Massivität gegen Freihandel einsetzt. Ich denke, auch er ist sich darüber im Klaren, dass ja auch die amerikanische Wirtschaft an Freihandel interessiert ist, an offenen Märkten. Auch er möchte gern, dass beispielsweise die Rechte amerikanischer Unternehmen in China und sonst in der Welt respektiert werden, und das erfordert Zusammenarbeit im Bereich des Handels. Man kann hoffen, dass dieser Start, diese Kritik am Freihandel, sagen wir mal, ein bisschen ausläuft, wenn er mal im Amt ist.
    Schulz: Und ein Ausrufezeichen hat er auch gesetzt mit seinem Interview, das er jetzt gegeben hat, mit seiner Drohung in Richtung der deutschen Autobauer, Strafzölle einzuziehen in ganz schmerzhafter Höhe. Wie ernst nehmen Sie das?
    Fuest: Das muss man schon ernst nehmen. Diese Drohung bezieht sich aber zunächst mal auf Produktion in Mexiko, auf Unternehmen, die in Mexiko Werke bauen, um dann den amerikanischen Markt von dort aus zu beliefern. Das sind Maßnahmen, die wären verkraftbar. Das ist natürlich nicht schön. Er wird damit auch nicht das erreichen, was er will, denn die mexikanische Währung wertet stark ab, das reduziert wieder die Kosten und gleicht die Zölle zu einem gewissen Anteil aus. Aber das Ganze ist natürlich ein negatives Signal. Vor allem dieses selektive Losgehen auf einzelne Unternehmen passt eigentlich überhaupt nicht zu dem, was so als rationale und vernünftige Wirtschaftspolitik passt. Aber auch da, denke ich, muss man abwarten und sehen, was er wirklich tut. BMW etwa - das ist ja eine der Firmen, von denen hier die Rede war -, BMW hat ja auch sehr viele Aktivitäten in den USA, produziert auch in den USA und hat dort auch einen gewissen Einfluss. Ich glaube nicht, dass er die vergraulen will.
    Schulz: Clemens Fuest, der Präsident des Münchener ifo-Instituts, heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank für Ihre Einschätzungen.
    Fuest: Schönen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.