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Traffic Tower in Berlin

Großereignisse wie die Olympischen Spiele oder eine Fußballweltmeisterschaft haben schwer vorherzusehende Auswirkungen auf den Straßenverkehr. Computermodelle sollen helfen, Staus und andere Verkehrsereignisse besser vorherzusagen. In Berlin befassen sich Ingenieure im so genannten Traffic Tower des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt mit solchen Simulationen.

Von Philip Banse | 04.08.2004
    Michael Bonert leitet die Entwicklung des Traffic Towers am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Berlin. Der Maschinenbauingenieur benutzt einen anschaulichen Vergleich, wenn er sagen soll, wofür der Bund und das Land Berlin rund drei Millionen Euro ausgeben. Der Traffic Tower sei für Verkehrsmanager das, was der Flugsimulator für Piloten ist:

    Besonders geeignet ist der Traffic Tower für alle Situationen, die man nur in Szenarien testen kann, wie Großveranstaltungen und Katastrophenfälle, wo auch nur wenig Erfahrungen existieren. Wir können hier Szenarien entwickeln und sie hier virtuell mit dem Verkehrsoperator durchspielen und schauen, wie er reagieren muss, was gute Strategien sind, um dieses Chaos zu bewältigen.

    Der Traffic Tower ist kein Turm sondern ein großer Büroraum im Dachgeschoss des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Berlin Adlershof. Über vier Monitore hinweg blickt man auf eine große Leinwand. Auf sie kann der Plan einer beliebigen deutschen Stadt projiziert werden, um alle denkbaren Verkehrssituation übersichtlich darzustellen. Denn ein wichtiger Anwendungsbereich ist die Schulung: Verkehrsmanager aus Leipzig werden hier beispielsweise simulieren können, wie sich der Verkehr in ihrer Stadt verändern würde, wenn dort die Olympischen Spiele stattfänden. Die Planer könnten Evakuierungspläne anpassen, und wüssten, welche Straßen gesperrt und welche Ampeln wie geschaltet werden müssten, um auch bei Terroranschlägen Chaos zu vermeiden. Die Berechnung solcher Verkehrsszenarien ist Forschungsgegenstand am Traffic Tower. Das 14köpfige Team um Michael Bonert will Algorithmen entwickeln, mit denen sich Verkehrsströme möglichst genau vorhersagen lassen. So könne auch der Alltagsverkehr optimiert, das System Straße besser genutzt werden. Welche Probleme dabei zu lösen sind, erklärt Michael Bonert:

    Wir alle kennen Wetterprognosen. Sie hören die Wetterprognose und nehmen einen Schirm mit, weil es regnen soll. Das Wetter wird sich aber nicht ändern, nur weil sie einen Schirm mithaben. Anders ist es im Verkehr. Wenn Sie eine Verkehrsnachricht gehört haben, wird sich der Verkehr ändern, weil Sie sich anders entscheiden. Und diese Rückkopplung müssen wir in der Simulation nach mit einbauen.

    Doch um Algorithmen zu entwickeln, mit denen derart komplexen Szenarien berechnet werden können, muss der Computer zunächst mit realen Verkehrsdaten gefüttert werden. Um diese Daten zu bekommen, nutzt der Traffic Tower eine Reihe weitere Projekts des Deutschen Zentrums- für Luft und Raumfahrt: Daten über Verkehrsdichte und Geschwindigkeit der Autos in Deutschland liefern zum Beispiel unter der Fahrbahn vergrabene Induktionsschleifen, an Brücken installierte Kameras - und Taxen. Im Rahmen des Projekts Taxi FCD - FCD steht für Floating Car Data - wurden bundesweit Hunderte Taxis mit Sendern ausgestattet, die ihre Geschwindigkeit und Fahrtrichtung ständig an den Traffic Tower melden.

    Durch diese Taxidaten haben wir ein vollständiges Verkehrslagebild der Städte. Das heißt, wir wissen wie typische Situationen aussehen. Wie ist der typische morgendliche Berufsverkehr, wie sind Sondersituationen. Gerade hier in Berlin haben wir durch den Regierungssitz sehr viele Situationen - Staatsbesuche, Loveparade - wo der Verkehr regelmäßig beeinträchtig wird. Und diese Daten nutzen wir, um die Szenarien für den Traffic Tower zu erstellen.

    Ein weiteres Projekt, mit dem reale Verkehrsdaten für den Traffic Tower gewonnen werden, ist LUMUS, ein sehr neues System, das Fahrtrichtung und Geschwindigkeit von Autos aus der Luft misst, und zwar in Echtzeit: Dabei filmen Infrarotkameras aus Messflugzeugen den Straßenverkehr. Im Traffic Tower werden die einzelnen Autos auf dem Film erkannt und markiert - oder extrahiert, wie Matthias Hetscher, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Lumus-Projekt, sagt:

    Das heißt in der Praxis: Wenn das Flugzeug fliegt, dann sehen sie spätestens zehn Sekunden später die auf der eben gesehen Straße extrahierten Autos mit ihrer Geschwindigkeit, die dann Eingang in ein Simulations- und Prognosetool finden, wie zum Beispiel den Traffic Tower, und es ist damit hervorragend geeignet zur Verkehrslageerfassung und damit natürlich auch zur Verkehrsbeeinflussung.

    Projektleiter Michael Bonert rechnet damit, dass Deutschlands erste virtuelle Verkehrsmanagementzentrale Ende 2005 in Betrieb gehen wird.