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Wettkampf der Teilchenschleudern

Physik. - Elektron, Neutrino, Quarks - alle diese Elementarteilchen sind im Standardmodell der Teilchenphysik theoretisch beschrieben und auch schon praktisch beobachtet worden. Einem Teilchen des Standardmodells jagen die Physiker allerdings bislang vergeblich hinterher: dem Higgs-Teilchen. Derzeit konkurrieren zwei große Physikerteams darum, dieses Partikel zuerst zu entdecken.

Von Jan Lublinski | 16.04.2008
    Der größte Teilchenbeschleuniger aller Zeiten, der Large Hadron Collider, LHC, in Genf wird bald in Betrieb gehen. Die Frage ist nur wann genau. Der Generaldirektor des Großforschungszentrums CERN hat offiziell mitgeteilt, dass im kommenden August die ersten Teilchen aufeinander geschossen werden sollen. Nichtsdestotrotz rechnen viele Physiker noch mit Verzögerungen. Insbesondere die Kühlung der extrem starken supraleitenden Magnete, mit denen die Teilchen gebündelt und vorangetrieben werden, ist eine enorme technische Herausforderung. Abraham Seiden von der Universität von Kalifornien Santa Cruz.

    " Ich denke, die Leute sind nervös und haben Sorgen, dass es noch unvorhergesehene Probleme geben wird. Aber die Probleme, die sie derzeit noch haben, werden sich lösen lassen. Insofern bleibt es bei dem Zeitplan des Generaldirektors. - Aber mein Haus würde ich jetzt nicht unbedingt darauf verwetten. "

    Unterdessen läuft in den USA ein alter Teilchenbeschleuniger besser denn je. Das Tevatron am Fermilab bei Chicago: Jene Maschine, an der Physiker im Jahr 1995 das Top-Quark erstmals gesehen haben. Die Physiker, die dort arbeiten, haben sich etwas vorgenommen, was noch vor wenigen Jahren als unmöglich galt: Sie wollen das Higgs-Teilchen finden, das letzte noch unbekannte Element im Standardmodell der Teilchenphysik. Diese große Entdeckung hatten sich eigentlich die Physikern in Genf vorgenommen, aber womöglich werden die Amerikaner ihnen die Schau stehlen. Dimitri Denisov vom Fermilab.

    " Unser ursprüngliches Ziel war das Top-Quark. Aber in den vergangenen Jahren haben wir gelernt, wie wir bei unseren Messungen die entscheidenden Signale besser herausfiltern können. Wir haben unsere Messgeräte deutlich verbessert, die Zahl der Teilchen-Kollisionen verdreifacht und gehen jetzt ans Limit. Klar, denn wir wollen bei diesem Wettlauf ein Wörtchen mitreden. "

    Quasi nebenbei sind die amerikanischen Physiker jetzt möglicherweise auf neue Physik gestoßen: Die Daten der beiden großen Experimente am Tevatron, die sich auf zwei gegenüberliegenden Seiten des Beschleuniger-Rings befinden, weisen auf einen Unterschied zwischen Materie und Antimaterie hin. Die sogenannte CP-Symmetrie-Brechung bei B-Mesonen, ein Zusammenhang, der sich mit dem Standardmodell der Teilchenphysik nicht erklären lässt.

    " Jedes dieser beiden Experimente am Tevatron für sich gesehen kann hier noch nichts Signifikantes erkennen. Es gibt aber ein externes Team, das die Daten beider Experimente zusammen analysiert hat. Wir werden das jetzt noch einmal prüfen. Und in den kommenden Wochen wird es hierzu eine gemeinsame Mitteilung aller Beteiligten geben. "
    Sollte dann tatsächlich eine positive Bestätigung kommen, wäre den Physikern am Tevatron ein Paukenschlag gelungen. Die Frage nach dem Unterschied zwischen Materie und Antimaterie ist eine der Grundfragen, die sich die Wissenschafter stellen. Sie wollen wissen, warum nach dem Urknall so viel Materie und so wenig Anti-Materie übrig geblieben ist. Dieser Frage wollen auch die Physiker in Genf gezielt nachgehen. Sie bauen eigens dafür ein Experiment auf. Generell ist das Potential für neue Entdeckungen und Erkenntnisse hier noch wesentlich größer. Der LHC ist das neuere und größere Teilchenmikroskop. - Aber die Amerikaner werden vielleicht erst einmal schneller sein. Abraham Seiden, der in Genf arbeitet, hat nichts gegen den gegenwärtigen Wettbewerb der beiden Maschinen. Im Gegenteil.

    " Ich denke der Wettbewerb ist sehr gut, wir haben viel von den Kollegen gelernt und werden ihre guten Ideen übernehmen. Der LHC ist ja die Nachfolgeprojekt. Viele Physiker sind ja an beiden Maschinen beteiligt und fragen sich: wann soll ich von dem alten zum neuen Beschleuniger wechseln? Wann schicke ich meine Studenten wohin? - Aber das wird sich in den nächsten beiden Jahren klären. "

    Und in diesem Zeitraum wird dann wohl auch entschieden sein, wo das Higgs-Teilchen zuerst ins Netz gegangen ist: Am alten Beschleuniger in Amerika - oder am neuen in Europa.