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Erler: Russische Protestbewegung hat viel erreicht

Gernot Erler, Fraktionsvize der SPD im Bundestag, weist auf die Fortschritte Russlands bei der Präsidentenwahl hin. Erstmals habe die Opposition sich im staatlichen Fernsehen äußern dürfen, in Moskau habe Wladimir Putin nicht die Mehrheit der Stimmen erreicht: Russland sei binnen weniger Wochen zu einem anderen Land geworden.

Das Gespräch führte Tobias Armbrüster | 07.03.2012
    Tobias Armbrüster: Am Telefon begrüße ich jetzt den SPD-Außenpolitiker Gernot Erler. Er ist stellvertretender Fraktionschef der SPD im Deutschen Bundestag und er war unter anderem Staatsminister im Auswärtigen Amt. Schönen guten Morgen, Herr Erler.

    Gernot Erler: Guten Morgen, ich grüße Sie.

    Armbrüster: Herr Erler, hat Gerhard Schröder hier Recht mit seiner Kritik an den internationalen und an den deutschen Wahlbeobachtern?

    Erler: Ich finde, dass er sich für seine Verhältnisse sehr zurückgehalten hat. Er hat ja gesagt, er hat keine eigenen Erkenntnisse und er möchte sich an dieser Diskussion gar nicht beteiligen.

    Armbrüster: Aber wenn jetzt die Rede davon ist, dass es in jedem dritten Wahllokal zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist - das sagt die OSZE -, sind das tatsächlich nur Vorurteile?

    Erler: Solche Erkenntnisse wird es gegeben haben, aber die Frage ist, worauf sie sich beziehen. Das gestehen die Wahlbeobachter auch ein, dass das sehr unterschiedliche Dinge sind. Zum Beispiel: Wenn eine Registrierung von einem Namen nicht in einem Wahllokal passiert ist, oder wenn formale Vorschriften dort nicht eingehalten worden sind, dann wurde das alles festgehalten. Aber natürlich sind auch handfeste Versuche zu manipulieren darunter gewesen, aber da kommt eine Mischung zusammen, die aus ganz unterschiedlichen Beobachtungen besteht. Das ist aber bei allen Wahlbeobachtungen so.

    Armbrüster: Das heißt, die internationalen Wahlbeobachter sind mit ihrem Urteil nicht ganz korrekt?

    Erler: Nein, sondern die halten verschiedene Beobachtungen fest, die dann als Unregelmäßigkeiten gelten, aber da sind zum Beispiel ganz formale Vorschriften auch über die Vorgänge in dem Wahllokal dabei und es sind Manipulationen dabei, die dann sozusagen in eine Statistik reingeraten.

    Armbrüster: Können Sie da ein Beispiel nennen, was für Vorgänge sind das, die eigentlich in eine solche Statistik nicht reingehören?

    Erler: Nein, ich sage ja gar nicht, dass die da nicht reingehören, sondern das sind ganz normale Unregelmäßigkeiten bei den Vorgängen dort, wie ausgezählt werden muss, wie abgestimmt werden muss, ob das immer tatsächlich genau so ist, wie die Vorschrift ist, und es sind aber eben auch Verletzungen der Regeln, und das kommt dann in eine Statistik. Also, wenn ich so eine grobe Statistik höre wie, in jedem dritten Wahllokal gibt es eine Unregelmäßigkeit, dann frage ich mich natürlich, welche Unregelmäßigkeiten sind das, und dann hört die Statistik eben auf.

    Armbrüster: Sie stellen das jetzt so ein bisschen hin, als gebe es immer Unregelmäßigkeiten bei Wahlen. Kann so was auch bei einer deutschen Bundestagswahl passieren?

    Erler: Ja also, es kann natürlich theoretisch auch passieren, aber sicherlich nicht in dieser Zahl, und da kommt es eben darauf an, wie geschult auch zum Beispiel das Personal ist in einem solchen Wahllokal, wie genau das Personal eben darauf achtet, dass jede Vorschrift auch eingehalten wird.

    Armbrüster: Ich höre daraus jetzt, Herr Erler, dass Sie im Großen und Ganzen sehr zufrieden sind mit dieser Wahl in Russland?

    Erler: Nein, ich setze bloß den Akzent anders. Ich mache mir überhaupt keine Illusionen darüber, ob dort und in welchem Umfang dort auch manipuliert worden ist. Wenn ich zum Beispiel Wahlergebnisse höre in Tschetschenien oder im Nordkaukasus von 97,7 Prozent, ...

    Armbrüster: 99 Prozent sogar!

    Erler: Ja, verschiedene. Es gibt ja da verschiedene Republiken. Dann steht für mich eigentlich schon fest, dass das nicht mit guten Dingen zugeht. Das ist dann völlig klar, das ist ganz offensichtlich. Und auf der anderen Seite stelle ich fest, dass Wladimir Putin in Moskau 47 Prozent bekommen hat, etwas mehr als 47 Prozent. Das ist nicht die Mehrheit. Dann sehe ich, dass da große Unterschiede bestehen, und dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass da im Kaukasus eben eindeutig manipuliert worden ist, sehr groß. Aber ich setze den Akzent eben auch ein bisschen anders, und ich meine, Gerhard Schröder hat ja eben auch ein langes Lastenheft für Putins zweite oder jetzt dritte Amtszeit hier aufgezählt, die ich völlig richtig finde. Wladimir Putin wird unter großem Druck stehen und wir müssen auch feststellen, dass bereits vor dem Wahltag sich einiges in Russland geändert hat, was man auch zur Kenntnis nehmen muss: dass nämlich Demonstrationen stattgefunden haben, verabredet, die ohne jede Zwischenfälle verlaufen sind, wo auch sehr kritische Äußerungen gegenüber der Führung, gegenüber Putin zugelassen worden sind, dass auch Vertreter der Opposition Möglichkeiten gehabt haben, in den öffentlichen Medien, in den staatlichen Medien aufzutreten, was vorher nie der Fall war, und dass eben auch Putin und Medwedew Zugeständnisse, was Änderungen zum Beispiel beim Wahlrecht bei den Gouverneurswahlen angeht, gemacht haben. Also die Protestbewegung hat sehr viel erreicht und mir ist das wichtig, dass man das auch mal sagt. Es ist schon ein anderes Land geworden innerhalb von wenigen Wochen, wenigen Monaten, und wenn man jetzt nur immer sagt, oder nur untersucht, wie korrekt die Wahl gewesen ist, dann, finde ich, ist das schade, weil man auf diesen großen Erfolg dann gar nicht zu sprechen kommt.

    Armbrüster: Aber wenn wir von diesen Wahlergebnissen – Sie haben es erwähnt – in Tschetschenien von 99 Prozent hören, wo ja ganz offensichtlich etwas falsch gelaufen sein muss, wenn wir dann die Einwände der OSZE hören über den Ablauf dieser Wahl, auch wenn Sie jetzt sagen, hier und da ist das möglicherweise alles nicht so ernst zu nehmen, ...

    Erler: Das habe ich nicht gesagt!

    Armbrüster: Müssen wir uns dann nicht große Sorgen machen über den Zustand dieses Landes, mit dem ja die EU auch eine gemeinsame Grenze teilt?

    Erler: Also noch mal: Ich habe sehr großen Respekt vor den Wahlbeobachtern und ich möchte vielleicht auch anfügen, es hat eine ganz erstaunliche Bewegung gegeben, die auch zu den Erfolgen der Protestbewegung gehört, nämlich es hat mehrere Organisationen gegeben, die russische Wahlbeobachter in Crashkursen ausgebildet hat, und es sollen 27.000 Wahlbeobachter – das kann natürlich keiner so einfach nachzählen -, aber immerhin russische Wahlbeobachter unterwegs gewesen sein in den 96.000 Wahllokalen, und das alles Leute, die innerhalb von wenigen Tagen sich ganz intensiv auf diesen Auftrag vorbereitet haben, und natürlich auch einfach die Existenz von Wahlbeobachtern ist ja auch schon, sage ich mal, ein abschreckendes Moment gegenüber Manipulationen. Wir hatten durchsichtige Wahlurnen, wir hatten diese Webcams, also auf jeden Fall ist das die bestbeobachtete Wahl gewesen, die es bisher in der Russischen Föderation gegeben hat. Und ich habe hohen Respekt sowohl vor den internationalen Wahlbeobachtern wie vor allen Dingen auch vor den russischen, die so ein großes Engagement hier gezeigt haben und sich diese Zeit genommen haben. Es wird sehr schwer sein, jetzt statistische Angaben zu machen darüber, in welchem Umfang die Wahlen nicht korrekt waren, aber man darf ja auch mal auf die Fortschritte, die es da gegeben hat, und die Veränderungen in dem Land hinweisen.

    Armbrüster: Herr Erler, die Nachrichten warten leider. – Das war der SPD-Außenpolitiker Gernot Erler heute Morgen live hier bei uns im Deutschlandfunk. Besten Dank für das Gespräch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.