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"Nichts Neues"

Der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter rechnet nicht mit der Gründung einer neuen Rechtspartei nach der Sarrazin-Debatte und dem Abzug Erika Steinbachs aus dem CDU-Bundesvorstand. Die Bundesrepublik habe "seit eh und je ein rechtspopulistisches, rechtsextremistisches Segment von 15 bis 18 Prozent", sagte Oberreuter. Er denke nicht, "dass es was Neues gibt".

Heinrich Oberreuter im Gespräch mit Christoph Heinemann | 10.09.2010
    Christoph Heinemann: Nach dem Rückzug ist vor dem Rückzug. Das hätte jedenfalls die Opposition gern. Die SPD hat die CDU aufgefordert, Erika Steinbach aus dem Menschenrechtsausschuss des Bundestages abzuberufen. Steinbach hatte am Mittwoch mit Äußerungen zur deutschen Kriegsschuld für Empörung gesorgt. Die Vertriebenenchefin hatte danach den Rückzug aus dem CDU-Bundesvorstand angekündigt. Erika Steinbach habe schon immer die Geschichte und die Folgen des Zweiten Weltkrieges entstellt. Das schreibt heute die konservative polnische Zeitung "Rzeczpospolita". Am Telefon ist der Politikwissenschaftler Professor Heinrich Oberreuter von der Universität Passau. Guten Tag!

    Heinrich Oberreuter: Guten Tag.

    Heinemann: Herr Oberreuter, was Frau Steinbach gesagt hat, ist historisch nicht falsch, aber verkürzt die Geschichte wesentlich. Vermuten Sie eine Absicht hinter einer solchen Äußerung?

    Oberreuter: Das glaube ich überhaupt nicht, denn sie hat das ja auch hinterher klargestellt, was sie nicht sagen wollte. Ich denke, das war eine Äußerung, die einer zornigen Auseinandersetzung innerhalb des CDU-Gremiums gefolgt ist und in dieser angespannten Situation gefallen ist, wo sie ja einen Funktionär ihres Verbandes versucht hat, zu verteidigen. Trotz aller polnischen Vorwürfe kann man Frau Steinbach eigentlich revisionistische Tendenzen nicht vorwerfen.

    Heinemann: Aber die Äußerung enthält doch höchstens die halbe historische Wahrheit?

    Oberreuter: Ja, sie enthält natürlich bestenfalls die halbe. Es ist ja ganz unstrittig, dass die Expansionspolitik des Nationalsozialismus und Adolf Hitlers auf Polen gerichtet war. Man weiß ja, was vorher alles zu Fall gebracht worden ist und dem Reich einverleibt wurde. Fatal an dieser Argumentationsfigur ist, dass Zeitgenossen und auch der Nationalsozialismus selbst diese polnische Mobilmachung und manches andere, auch die Korridorfrage und die Unnachgiebigkeit in dieser Korridorfrage, als rechtfertigendes Argument für die eigenen Aktionen ins Feld geführt hat, und das macht die Sensibilität dieser ganzen Auseinandersetzung aus.

    Heinemann: Sind die Vertriebenen seit gestern politisch heimatlos?

    Oberreuter: Na ja, sie sind es ein Stückchen mehr als ohnehin schon die etablierten Parteien in der Republik, und vor allen Dingen die nachwachsende Generation tut sich sehr, sehr schwer mit den Interessen der Vertriebenen, seien sie nun politischer oder auch nur brauchtumsorientierter Art. Es ist halt ein Echo aus einer weit entsunkenen Geschichte, muss man eigentlich sagen. Es wird ja auch nicht wahrgenommen, welch segensreiche Aktivitäten die Vertriebenenverbände sowohl in der Tschechei als auch in Polen in kultureller Förderung, in Förderung von Wiederaufbau von Gemeinden und ähnlichen Dingen mehr und Baudenkmälern in den letzten Jahrzehnten wahrgenommen haben. Also isoliert sind sie schon.

    Heinemann: Ist die CDU noch eine konservative Partei?

    Oberreuter: Die CDU war nie eine nur konservative Partei. Sie hat natürlich ein anderes als kollektivistisches und nur vorwärts gewandtes Weltbild. Sie hat immer Traditionen bewahrt, sie hat auch immer wertkonservative Elemente in sich geborgen, sie hat aber von Beginn an auch die Paradigmen der deutschen Geschichte verändert, nicht national orientiert, sondern europäisch orientiert, wirtschaftsliberal statt protektionistisch. Also wie immer man die Geschichte der CSU und der CDU betrachtet, kann man sie keineswegs nur ins Konservative wenden. Der entscheidende Punkt scheint mir eher der zu sein, dass entschieden Konservative in der Union noch am ehesten eine Heimat und Ansprechpartner gefunden haben, und das hat sich auch im Wandel der Generationen erheblich reduziert.

    Heinemann: Manche warnen jetzt vor der Gründung einer Partei rechts von der Union. Wie weit ginge da der Brückenschlag? - Anders gefragt: Würden bürgerliche Wähler das vulgär-konservative Gedankengut eines Jörg Haider oder des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders wählen?

    Oberreuter: Ja, Gott, wir haben natürlich rund herum in Europa, nicht nur in den beiden genannten Ländern, rechtspopulistische Strömungen, über die sehr viel weniger Aufregung besteht, was aus historischen Gründen ja auch ganz leicht nachvollziehbar ist. Wir haben aber auch seit eh und je in Deutschland ein rechtspopulistisches, rechtsextremistisches Segment von 15 bis 18 Prozent. Insofern hat auch die Sarrazin-Affäre nichts Neues zutage gefördert. Nur es sind mehr Stimmungen, es ist mehr Milieu. Es ist in der Vergangenheit der Union, speziell der CSU gelungen, durch entschieden konservatives Profil Brandmauern nach ganz rechts zu errichten. Da ist gegenwärtig keine Führungsfigur mehr da, also kein Strauß mehr, kein Stoiber. Auch das führt zu einer gewissen Heimatlosigkeit. Eine Partei und eine Wählerströmung daraus zu machen, das würde eben genau eine profilierte Person bedürfen, würde auch einer Person bedürfen, die bereit ist, die schwierige Aufgabe einer Parteiorganisierung auf sich zu nehmen und der Wählerorganisation. Also ich nehme mal an, dass wir da gelassen schauen können. Auch ein Herr Schill hat die Grenzen seiner Heimatstadt nie zu übertreten vermocht. Also ich vermute, dass dieses sehr flüssig gewordene Parteiensystem jenseits dessen, was ohnehin schon da ist - wir hätten ja eine DVU, wir hätten eine NPD, wir hätten Restbestände von Republikanern, die als Gefäße zur Verfügung stünden -, ich denke nicht, dass es was Neues gibt mit einem aufgeklärten Konservativen, der in der Lage wäre, das zu stabilisieren.