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Problematische Fingerabdrücke

Kriminalistik.- Seit Jahrzehnten sind Fingerabdrücke ein bewährtes Hilfsmittel in der Kriminalistik. Wurde ein solcher Abdruck an einem Tatort gefunden, war klar, dass die zu diesem Fingerabdruck zugehörige Person dort war und etwas angefasst hat. Doch so eindeutig ist die Sache nicht, sagt jetzt eine neue Studie.

Von Michael Stang | 09.01.2012
    Am 8. Januar 1997 wurde im schottischen Kilmarnock der Leichnam von Marion Ross entdeckt. Die Obduktion der 51 Jahre alten Frau ergab, dass sie an den Folgen zahlreicher Stichwunden an Nacken und Kopf gestorben war. Bei der kriminalistischen Untersuchung wurde am Tatort ein Fingerabdruck der Polizistin Shirley McKie entdeckt. Dies wurde als Beweis für ihre Schuld gewertet und sie als Mörderin inhaftiert, obwohl es nur einen einzigen Fingerabdruck gab. Die Richter hätten die Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen mit der Wahrheit gleichgesetzt und das sei ein Fehler, sagt Jim Fraser, Direktor vom Zentrum für Forensische Wissenschaft der Universität von Strathclyde in Glasgow.

    Erst nach langem juristischem und medienpolitischem Streit zeigte sich, dass sie nicht die Mörderin sein konnte. Vier Kollegen der schottischen Polizei hatten ihren Fingerabdruck dort platziert und sich in ihren Aussagen abgesprochen.

    "Und es war ja nicht nur dieser eine Fall in Schottland, sondern es gab noch einen weiteren, der vergangenes Jahr ebenso für Schlagzeilen sorgte, weil auch dort zahlreiche Fehler bei der Beweisaufnahme gemacht wurden. Als Konsequenz daraus sollten die schottische und die englische Polizei sich darüber bewusst werden, dass die Fingerabdrücke der Grund für die Ermittlungsfehler waren."

    Dass diese Methode zur Identifizierung von Verdächtigen fehleranfällig ist, darauf hatte auch 2009 die Amerikanische Akademie der Wissenschaften hingewiesen, als sie sich mit der Aussagekraft forensischer Methoden beschäftigte. Demnach werden bei der Polizeiarbeit regelmäßig Standards verletzt. So wird zum Beispiel oft die eigentlich vorgeschriebene objektive Überprüfung der Ergebnisse durch nicht involvierte Kollegen nicht durchgeführt. Auch bei der Analyse der Spur selbst werden Fehler gemacht. So werden Fingerabdrücke bereits am Tatort miteinander verglichen, bevor alle Spuren ergebnisoffen gesammelt und später erst im Labor gemeinsam analysiert werden. Zudem ignoriert die bisherige Praxis die Möglichkeit, dass Fingerabdrücke dort absichtlich platziert wurden. Spuren müssen, so zeigte es der Fall Shriley McKie eindrucksvoll, im Zusammenhang betrachtet und bewertet werden. Jim Fraser ist auch Gründungsmitglied des European Network of Forensic Science Institutes, wo er sich mit Kollegen bemüht, die Schwächen der Fingerabdruckmethode klarzumachen.

    "Wir haben zahlreiche Experten auf der ganzen Welt zur Aussagekraft von Fingerabdrücken befragt. Eine Frage war auch, ob sie einen einzelnen Fingerabdruck an einem Tatort, der einer Person zugeordnet werden konnte, direkt als Beweis dafür sehen, dass diese Person tatsächlich vor Ort war."

    Nur jeder fünfte der mehreren hundert Studienteilnehmer war skeptisch, 80 Prozent der befragten Experten hingegen erachteten die Fingerabdruckmethode als sicheres Beweismittel. Dabei können Gegenstände, auf denen die Fingerabdrücke hinterlassen wurden, wie etwa Tassen, Schlüssel oder CD-Hüllen, leicht von A nach B zum Tatort gebracht werden.

    "Wir befinden uns in einer Situation, wo wir uns bei der Polizeiarbeit praktisch von der seriösen Wissenschaft verabschieden. Viele Experten glauben, Fingerabdrücke könnten es von der Aussagekraft mit DNA-Beweisen, die wesentlich sicherer sind, aufnehmen. Haben sie einmal eine Entscheidung getroffen, bleiben sie bei dieser Meinung, weil sie von deren Unfehlbarkeit überzeugt sind. Diese Haltung steht aber dem Anspruch der Professionalität entgegen. Wir müssen kritischer sein, mögliche Fehler aller Beteiligten im Hinterkopf behalten und uns bei der Auswertung solcher Spuren stets ein Maß an Realismus bewahren."

    Ob der schottische Forensiker mit seinem Weckruf Erfolg haben wird, bleibt abzuwarten. Warten musste auch die schottische Polizistin Shriley McKie zwei Jahre lang. Erst 1999 wurde die Mord-Anklage fallen gelassen.