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Reaktor mit Kuhmagen

Technik. - Zellulose ist Hauptbestandteil von pflanzlichen Zellwänden und gilt als häufigste organische Verbindung. Biogasanlagen können das energiereiche Material nicht verwerten. Anders die Kuh: Ihr Magen kann Zellulose aufspalten. Ein Biotech-Unternehmen aus Hannover will sich das zu Nutze machen.

Von Christoph Kersting | 10.03.2010
    Die Tierärztliche Hochschule in Hannover: Hier kennt man sich aus mit dem Verdauungstrakt von Wiederkäuern - ein Know-how, auf das der Chemiker Michael Strecker gerne zurückgriff für seine Idee einer Biogasanlage nach Kuhmagenvorbild.

    Der Prototyp in einer kleinen Halle der Hochschule hat zwar keine Ähnlichkeit mit dem Pansen einer Schwarzbunten - eher mit einem in Alufolie verpackten Öltank - doch im Prinzip funktioniert die zweistufige Anlage laut Michael Strecker tatsächlich wie ein Kuhmagen:

    "Hier vorne, der liegende Reaktor, das ist der synthetische Pansen, wenn man so will, das ist ein Behälter mit fünf Kubikmeter nutzbarem Volumen. Wir haben das Ganze inkubiert mit dem Mageninhalt von vier Rindern, das sind ungefähr 400 Liter gewesen. Wir kommen da praktisch nur ran über die Schlachtung, deswegen waren am Anfang zwei wichtige Fragen zu stellen: Gelingt es überhaupt diese Pansenbiologie außerhalb des lebenden Tieres in einer Maschine zu kultivieren. Und die zweite Frage war: Wie stabil ist diese Kultur? Sprich: Wenn Sie sich vorstellen, Sie müssen so ein System inkubieren und müssen praktisch jede Woche zum Schlachthof fahren, wäre das nicht praktikabel. Also muss es gelingen, was auch in der Natur passiert, wenn das Kalb von Milch auf pflanzliche Nahrung umgestellt wird, dass sich eine Kultur aufbaut und praktisch ein ganzes Leben lang hält."

    Ein ganzes Leben lang - das sind im Fall eines Hausrindes rund 15 Jahre. So lange steht die Anlage zwar noch nicht, aber seit immerhin zwei Jahren arbeiten die Bakterien aus dem Kuhmagen jetzt schon im künstlichen Pansen, ohne dass Chemiker Strecker den Inhalt von Kuhmägen nachfüllen musste.

    Die biologischen Prozesse, die dann im Innern der Anlage ablaufen, sind absolut identisch mit der Funktionsweise eines echten Pansen: Die zellulosehaltigen Pflanzenfasern werden zu Fettsäuren abgebaut. Diese Fettsäuren nun werden im Tiermagen vom Speichel aufgenommen und in die Blutbahn der Tiere transportiert. Den Speichel ersetzt in der künstlichen Anlage eine spezielle Flüssigkeit. Die bringt die Fettsäuren in den hinteren Teil der Anlage: den Gasreaktor, wo sie zu Methan und Kohlendioxid zerlegt werden. Diese Energie steht zudem wesentlich schneller zur Verfügung als in herkömmlichen Biogasanlagen, erklärt Michael Strecker:

    "Also gehen Sie mal davon aus: Wenn Sie ein gutes Futter haben, zum Beispiel Heu, dann können wir das innerhalb von zehn Tagen um 90 Prozent abbauen. Bei einer herkömmlichen Biogasanlage bleibt ja dieser Zelluloseanteil in der Regel übrig, das sind 20 bis 25 Prozent."

    Nur zehn Tage bleibt das Heu in der Anlage. Herkömmliche Biogasanlagen hingegen benötigen bis zu 200 Tage, um Mais oder Gras zu verarbeiten. Das hat zur Folge, dass diese Anlagen mit mehreren Tausend Kubikmetern Füllvolumen monströse Ausmaße annehmen, der Reaktor mit Kuhmagen indes durch die kürzere Verweildauer des Inhalts zehnfach kleiner ist - ein weiterer Vorteil, sagt Chemiker Strecker, der mit seinem Bruder das Start-up Ares Consultants zur Vermarktung der neuartigen Anlage gegründet hat.

    ""Was uns vorschwebt aufgrund des Systems, wie Sie es hier sehen, ist praktisch ein System auf der Basis von Containern. Also im Grunde geht es darum, dass Sie uns beispielsweise sagen, wie viel Energie wollen Sie erzeugen, und dann kann man durch ein Baukastensystem sich seine Biogasanlage konfigurieren, ganz individuell","

    indem ganz einfach mehrere Einheiten des künstlichen Kuhmagens hintereinander geschaltet werden. So ließe sich die Anlage, je nach Bedarf, schrittweise vergrößern oder auch wieder verkleinern.