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Hermine Huntgeburth, Regisseurin von "Bibi Blocksberg", "Die weiße Massai", "Effi Briest" oder "Neue Vahr Süd" hat sich jetzt Mark Twains legendären Jugendbuchhelden zugewandt. Mit Benno Fürmann, Joachim Król und Heike Makatsch in den Hauptrollen kommt "Tom Sawyer" diese Woche in die Kinos, "Huckleberry Finn" wird bald folgen.

Hermine Huntgeburth im Gespräch mit Hartwig Tegeler | 17.11.2011
    Tegeler: Hermine Huntgeburth, wenn ich richtig gezählt habe, gibt es Kinoverfilmungen von Tom Sawyer, also kein Dutzend, aber einige. Das muss ja eine unheimliche Last sein, sich einem Klassiker anzunähern, den neu zu verfilmen, von dem es schon so viele Filme gegeben hat in der Filmgeschichte.

    Huntgeburth: Stimmt und stimmt wiederum nicht. Ich denke, dass es sehr gut ist, dass es so viele Verfilmungen schon gibt, die kann man sich dann auch alle angucken oder was draus lernen. Und dann ist es natürlich auch immer wieder der Reiz, das neu zu machen und dann auch wiederum so zu erzählen, wie ich es erzählen würde. Und auch dass man versucht, es in meine Zeit hinein zu versetzen. Weil, jeder Klassiker ist natürlich ein Klassiker, weil er universell ist. Weil er auch zeitlos ist. Und das haben Tom Sawyer und Huck Finn eben auch. Weil es ganz viele Grundprobleme oder Grundkonflikte anspricht, die eigentlich über die Jahrhunderte oder Jahrtausende irgendwie immer gleich bleiben und immer wieder aktuell sind. Und, na klar, es gibt dann immer wieder diese Vorbilder, aber das war ja auch schon bei "Effi Briest" ja so, irgendwann muss man sich von denen lösen und sich freimachen und das auch nur zu meiner Sache machen und nicht versuchen, dem allem gerecht zu werden. Also, das geht nicht. Obwohl man natürlich schon die Verpflichtung hat, diesem Roman, also, dem Geist eines Klassikers, eines guten Buches treu zu sein, und das auch zu ehren. Dies ist natürlich so, dass man auch bestimmte Dinge sehen möchte, in "Tom Sawyer", was ich auch richtig finde. Man muss natürlich die Zaunstreich-Geschichte machen, man muss die Auseinandersetzung mit Tante Polly. Man hat da schon bestimmte Verpflichtungen, die man hat, und das ist auch etwas, das das so spannend macht. Und dann versucht man sich davon zu lösen und das Ganze neu zu machen.

    Tegeler: Der Tom-Sawyer-Roman von Mark Twain wird in der Literaturgeschichte ein bisschen gehandelt ..., angeblich sei er eine Fingerübung gewesen, bevor Mark Twain dann zu der "großen" Literatur gekommen sei. Dem widerspricht eigentlich das, was Sie jetzt sagen, dass in dieser Geschichte etwas Universelles enthalten ist. Was ist das aus Ihrer Sicht? Ist das dieses Freiheitsgefühl?

    Huntgeburth: Es spricht auch die Sachen an: Es geht um Freundschaft, um Verrat, um Mord, um Lüge, Moral, um Religiosität, es geht um Diskriminierung, es geht um Außenseitertum. Huck Finn und auch der Indianer-Joe. Es geht um Ausgrenzung und so weiter. Und das sind eben so ganz klassische Konflikte. Dann aber eben durch Kinderaugen erzählt, die sich eben in diesem jungen Alter schon mit solchen Dingen auseinandersetzen müssen.

    Tegeler: Es gibt zwei Figuren, die aus meiner Sicht, als ich den Film gesehen habe, aber das natürlich in Verbindung mit Erinnerung, als ich das als Jugendlicher gelesen habe, doch einen Wandel erlebt haben. Und zwar Tante Polly, aber auch ganz stark Indianer-Joe. Indianer-Joe, der wird bei Ihnen ganz klar zum Indianer, aber vor allem geben Sie ihm in gewisser Weise auch einen ganz anderen Charakter - für einen Moment -: Er wird nämlich als Diskriminierter dargestellt. Wie weit darf man sich von dem Klassiker entfernen?
    Huntgeburth: Das ist der Klassiker. Wenn man das genau liest, die Geschichte am Friedhof, wenn er sagt, dein Vater hat mich ... ich wollte nur was zu essen ... das steht genau so ... dein Vater hat mich verprügelt. Und all diese Dinge, die sind in dem Roman enthalten. Das ist Original-Mark-Twain. Dieses Halbblut, nicht weiß, nicht rot, nicht gut, nicht gut, er ist eben was dazwischen. Das ist alles in dem Roman drin, wir haben nur versucht, das ernst zu nehmen. Und ich denke auch, was wichtig für uns war, das ist eben, die Dinge auch wirklich ernst zu nehmen. Das heißt, dass dieser Mensch, der böse ist und böse erscheint, auch nicht immer so war, sondern auch dazu geworden ist. Durch die Gesellschaft, durch die Umstände. Und so weiter und so weiter.

    Tegeler: Hermine Huntgeburth, Regisseurin der Neuverfilmung von "Tom Sawyer" und demnächst auch "Huckleberry Finn": Sie muten aber in gewisser Weise Ihren jugendlichen Zuschauern gerade mit der Figur von Tante Polly und Indianer-Joe - als Heike Makatsch und Benno Fürmann - eine sehr, sehr faszinierende Fallhöhe zu. Es gibt nämlich eine Szene, wo fast eine erotische Annäherung stattfindet zwischen Indianer-Joe und Tante Polly, und im nächsten Moment wird klar, dass das eigentlich nur ein strategisches Spiel von Indianer-Joe war, um den Zeugen seiner Mordtat, ja, zu kriegen, an den Wickel zu kriegen.

    Huntgeburth: Ich glaube nicht, dass das zu viel ist. Also, was ich mir auf jeden Fall vorgenommen hat, das ernst zu nehmen. Und nicht versuchen, immer alles zu verniedlichen. Sondern, dass man eher etwas macht, dass man bestimmte Dinge verstehen kann, ohne dass man sie tolerieren muss. Und ich denke, man kann auch nur Dinge begreifen, wenn man sie versteht. Und ich glaube, manchmal kommt es auf leisen Pfoten. Und wenn man klare Haltungen hat zu den Figuren, dann ist es auch klarer und einfacher zu fassen, weil auch die Bösewichte, die dann auf die Nase fallen, sind immer noch Bösewichte, und dann kann man sie noch nicht mal wirklich ernst nehmen. Und ich habe eben versucht, die sehr, sehr ernst zu nehmen. Die Figuren und die Kinder.

    Tegeler: Wenn man sich noch einmal die Frage stellt, was einen Klassiker der Literaturgeschichte, der Weltliteratur, und dann eben natürlich auch erzählt im Kino der Filmgeschichte ausmacht, dann haben wir jetzt eben an den beiden Figuren der beiden Jungs, aber eben auch Indianer-Joe eigentlich eine Spannbreite ausgemacht, die man vielleicht insgesamt an Ihrer "Tom Sawyer"-Verfilmung sehen kann: Wir haben auf der einen Seite - dafür steht natürlich die legendäre Zaunstreich-Szene - die Idylle, und wir haben auf der anderen Seite, ich will das nicht Horror nennen, aber einen Ort, der von Angst überlagert wird. Für die Jungens. Macht die Ernsthaftigkeit dieser Konflikte, der Bedrohung auch, macht das auch die Universalität einer Geschichte aus?

    Huntgeburth: Ja, ja! Ich denke mir, wenn man "Tom Sawyer" verfilmt, muss man "Tom Sawyer" verfilmen und nicht versuchen, "Tom Sawyer" zu verniedlichen. Und ich glaube auch, dass die Kinder das sehr gut verstehen. Also, wir haben ja auch schon einige Vorführungen gemacht. Ich glaube auch, dass da sehr viel Fantasie und viel Arbeit in den Köpfen der Kinder auch passiert.

    Tegeler: Hermine Huntgeburth, schauen wir ein wenig in die Zukunft, von der ich nicht ganz genau weiß, wieweit Sie sie schon abgeschlossen haben, also, der zweite Band, der eigentlich keine Fortsetzung im engeren Sinn ist, "Die Abenteuer des Huckleberry Finn", Huck Finn also haben Sie schon abgedreht.

    Huntgeburth: Also die ganze Postproduktion kommt jetzt noch.

    Tegeler: Als Sie das Angebot bekamen, "Tom Sawyer" und "Huckleberry Finn" oder "Huck Finn" zu verfilmen, auf welche Szene haben Sie sich - gemäß Ihrer eigenen Erinnerung als Jugendliche an die beiden Romane -, an welche Szene haben Sie sich am meisten gefreut?

    Huntgeburth: Na ja, es ist schwierig. Ich fand eigentlich diese Geschichte in der Höhle ... Das ist natürlich auch eine große Herausforderung. Also, am Schluss ist es ja so, dass Becky und Tom sich in der Höhle, weil Tom mal wieder übermütig ist und Becky auch, verirren sie sich dann in so einer großen Höhle und finden nicht wieder zurück und treffen dann auf Indianer-Joe. Wer siegt oder wer überlebt oder nicht? Und darauf habe ich mich schon gefreut. Nur was das sehr schwierig, so eine Höhle zu finden , die alle diese Dinge hat. Weil, das ist ja eine lange Strecke, die man da ... verlaufen, dann muss das auch interessant sein ... und deswegen: Wir haben da fünf Höhlen gebraucht, um diese ganze Geschichte zu erzählen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.