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Linkspartei
"Auch eine Sahra Wagenknecht kann sich bewegen"

Es sei schwer für einen alleine, eine "derart heterogene Partei" wie die Linke zusammenzubinden, sagte der Göttinger Politikwissenschaftler Matthias Micus im DLF. Daher spreche vieles für eine Doppelspitze. Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch seien dazu in der Lage, neue Inhalte zu setzen, müssten sich aber noch "zusammenraufen".

Matthias Micus im Gespräch mit Christine Heuer | 16.06.2015
    Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht
    Politikwissenschaftler Matthias Micus: "Gregor Gysi hat die Partei zunehmend hinter sich zurückgelassen." (imago/Christian Thiel)
    Christine Heuer: Auch die Linke nimmt Anteil an der Griechenland-Krise. Ein bisschen abgelenkt dürfte die Partei aber schon sein; schließlich muss sie sich gerade neu aufstellen, jedenfalls was die Führung ihrer Bundestagsfraktion angeht. Nach dem Rückzug von Gregor Gysi sollen dort Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch gemeinsam das Ruder übernehmen, Kontrahenten sowohl in der Sache als auch im Persönlichen.
    Matthias Micus forscht über die Linke an der Uni Göttingen. Er ist Politikwissenschaftler und jetzt am Telefon. Guten Abend, Herr Micus.
    Matthias Micus: Guten Abend.
    Heuer: "Spiegel Online" textet heute, hier kommt Wagenknartsch. Klingt übel. Was kommt auf die Linke zu mit der neuen Doppelspitze?
    Micus: Na ja, die Gefahr von Konflikten zwischen den beiden Führungsfiguren Bartsch und Wagenknecht besteht in der Tat. Die inhaltlichen Positionen sind denkbar weit auseinander. Aber ich denke, dass mehr für als gegen diese Doppelspitze spricht.
    Heuer: Nämlich was?
    Micus: Zum einen war Gregor Gysi in der Vergangenheit nicht wirklich mehr Zentrist der Partei, als der er sich ja selbst dann dargestellt hat und als der er sich selbst, wenn man so will, legitimiert hat, sondern er war selbst ein Flügelmann, preschte zunehmend weiter voran, war ungeduldig und ließ die Partei dadurch zunehmend hinter sich zurück.
    Und eine Partei, die wie die Linkspartei auch deswegen, weil der Vormann Gysi alleine zu der Integration eben nicht mehr in der Lage war, zunehmend sich in verschiedenste Strömungen und Flügel, man kann sagen, tribalisiert hat, die braucht eine kollektive Führung.
    Das kann einer alleine vermutlich gar nicht mehr zusammenbinden und zusammenhalten und insofern spricht in der Tat vieles dafür, dass eine Partei, die derart heterogen ist wie die Linkspartei, von einer kollektiven Führung, von einer Doppelspitze sowohl an der Parteispitze, an der Parteiführung als auch in der Fraktion geführt wird.
    "Wagenknecht und Bartsch müssen sich aufeinander zubewegen"
    Heuer: Aber es geht ja, Herr Micus, jetzt auch um diese speziellen Personen Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch. Das sind beides profilierte und begabte Politiker. Die können sich aber nicht mal gegenseitig leiden. Können diese beiden sich wirklich zusammenraufen? Ist das realistisch?
    Micus: Ja. Ich glaube, das es in Parteien ja nicht ganz selten ist, dass die Führungspersonen gewisse Aversionen und Antipartien gegeneinander hegen, und trotzdem muss man der Sache willen zusammenarbeiten.
    Ich glaube, dass es in der Tat ein Punkt gibt, der dafür spricht, dass die beiden sich zusammenraufen werden, und das ist, dass sie wissen, dass sie ohne den jeweils anderen sich selber nicht halten können. Sowohl Bartsch als auch Wagenknecht sind als Fraktionsvorsitzende nur denkbar mit dem jeweils anderen. Bartsch wäre sonst niemals mehrheitsfähig und Wagenknecht ebenfalls nicht. Alleine ist Bartsch gescheitert bei allen Kandidaturen, die er gemacht hat, zum Parteivorsitzenden 2012 etc., und Wagenknecht hat ja sich auch nicht durchsetzen können in der Fraktion, in der wichtigen Griechenland-Frage zuletzt.
    Aber in der Tat ist richtig, dass sich beide aufeinander zubewegen müssen, und zwar nicht erst, wenn die Partei unmittelbar vor der Zerreißprobe steht, sondern vorher schon, also jetzt.
    Heuer: Herr Micus, dann gehen wir mal auf die Inhalte. Der Grundkonflikt zwischen den beiden ist ja der zwischen Fundamentalisten und Realos in den beiden Parteiflügeln, nämlich soll man in Regierungsverantwortung gehen oder nicht. Sahra Wagenknecht ist dagegen, Dietmar Bartsch ist eher dafür. Wird dieser Konflikt gelöst und wenn ja wie?
    Micus: Das ist natürlich schwierig, weil ja auch in der Sozialdemokratie es sehr viele grundsätzlich kritische Positionen gegenüber der Linkspartei gibt, die auch ihrerseits, also auch von der SPD-Seite aus eine Koalition mit der Linkspartei ausschließen. Und man kann jetzt schlecht das prognostizieren, ob das jetzt 2017 schon so weit sein wird, dass von Linksparteiseite aus eine Koalition möglich ist, genauso wenig wie man ja jetzt vorhersehen kann, dass die Sozialdemokraten das wirklich wollen. Ich würde immer sagen - und das zeigen die Beispiele im Ausland, beispielsweise in Skandinavien -, dass Linksparteien, wenn sie denn miteinander koalitionsfähig werden wollen, schon weit im Vorfeld einer Wahl sich zusammentun müssen, sich verständigen müssen, dass sie die Absicht hegen, so etwas wie ein Koalitionsbündnis nach der nächsten Wahl zu schließen, und die Inhalte, die sie dann gemeinsam durchsetzen wollen, vorher klären.
    Heuer: Das heißt aber, Herr Micus, das schließen Sie für die Linkspartei nicht aus, und das heißt, Sie schließen nicht aus, dass Sahra Wagenknecht irgendwann sagt, okay, Regierungsbeteiligung unter bestimmten Bedingungen, ich mach doch mit?
    Micus: Nein! Sahra Wagenknecht ist auch in der Lage, sich zu bewegen. Bis in die 90er-Jahre, Mitte der 90er-Jahre hinein galt sie als ultraorthodoxe der Kommunistischen Plattform, die die alte DDR verteidigt und den Mauerbau nicht verurteilt und letztlich auch Stalin für gar nicht so einen schlechten Kerl hält, und von diesen Positionen hat sie sich meilenweit entfernt und genauso denkbar ist es natürlich, dass sie sich auch jetzt dann auf die Sozialdemokratie zubewegt und auch für ein Bündnis wirbt, genauso wie ja Oskar Lafontaine, der ja jetzt, wenn man so will, als der Urvater der Koalitionsablehnung zur Sozialdemokratie gilt, ja lange Jahre Parteivorsitzender der Sozialdemokraten sogar gewesen ist.
    "Koalition mit den Sozialdemokraten auf Bundesebene ist möglich"
    Heuer: Aber zuerst war er Parteivorsitzender der Sozialdemokraten und dann war er gegen jede Regierungsbeteiligung mit der SPD, und das hat er ja nun durchgehalten und das macht ja Sahra Wagenknecht bislang genauso.
    Micus: Ja. Sahra Wagenknecht hat das Alter aber noch nicht wie Oskar Lafontaine. Oskar Lafontaine ist jetzt in einem Stadium persönlicher Verletztheit angekommen, in dem er davon dann nicht mehr abweicht. Aber ich wollte sagen: Oskar Lafontaine hat sich in die eine Richtung bewegt, vom Parteivorsitzenden zum kategorischen Gegner jedes Bündnisses. Sahra Wagenknecht kann sich genauso gut von der relativ rigiden Bündnisgegnerin zur auch Vertreterin eines Bündnisses bewegen.
    Es ist ja dann auch schon immer so: Das Einfallstor, was offen ist, ist, es müssen die Inhalte stimmen, und das kann man so und so am Ende begründen. Dann kann man sagen, na ja, genauso wie es die Sozialdemokraten auch müssen dann, man muss bestimmte Kompromisse eingehen und wir sind das und das als Kompromiss eingegangen, dafür haben wir das erreicht, das hätten wir nie erreichen können, wenn wir das Bündnis nicht eingegangen wären.
    Diese Möglichkeiten halte ich immer für möglich und dass jetzt relativ scharfe Töne geäußert werden, ist überhaupt kein ernsthaftes Argument letztlich oder Ausschlusskriterium letztlich für eine Koalition 2017, wenn sie 2017 nicht kommt 2021.
    Heuer: Der Politikwissenschaftler Matthias Micus vom Institut für Demokratieforschung an der Universität Göttingen. Herr Micus, vielen Dank für das Gespräch.
    Micus: Ja, ich bedanke mich auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.