Aus den Feuilletons

Tellkamp beklagt "Kulturdiktatur"

Der Schriftsteller Uwe Tellkamp
Der Schriftsteller Uwe Tellkamp wirft den Medien "eine Wucht des Common Sense" vor. © picture alliance / dpa-Zentralbild / Sebastian Kahnert
Von Paul Stänner · 13.11.2018
Der Schriftsteller Uwe Tellkamp attackiert Medien und Kulturbranche, berichtet die "Welt". Er wirft ihnen vor, keinen Widerspruch zu ertragen - und reagiert damit auf Kulturinstitutionen, die sich zu einem Bündnis gegen Rechts zusammengeschlossen hatten.
Die WELT beschreibt ein real existierendes Horror-Szenario, nämlich das hypermoderne Überwachungsprogramm, dass die chinesische Staatsführung installiert hat. Die WELT zitiert die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, derzufolge fleißig gesammelt wird: "Krankheitsgeschichten, Essensbestellungen, Kurierlieferungen, religiöse Neigung, Onlineverhalten, GPS-Bewegungskoordinaten und biometrische Daten, Gesicht, Stimme, Fingerabdruck und von rund 40 Millionen Chinesen auch schon die DNA." Der Artikel schließt mit einer Dystopie: "Wagt man einen Blick in die Zukunft, so kommt man zu der Erkenntnis, dass die Weltmacht des 21. Jahrhunderts in Gestalt der Volksrepublik China eine digitale, nationalkommunistische, staatskapitalistische und totalitäre Diktatur sein wird, die ihren Einfluss zunehmend selbstbewusst und rücksichtslos geltend macht."

Mit Spendengeldern zum Literatur-Helden

Aber noch können wir fröhlich mit unserer Identität spielen: In Großbritannien – schreibt die FAZ - kann man in einer Online-Auktion seinen Namen in den nächsten Roman von Joanna Trollope oder Margaret Atwood oder Lee Child einschreiben. Der Erlös aus der Versteigerung geht an eine Organisation "Freedom from Torture" – die wiederum vermutlich der chinesischen Regierung suspekt sein dürfte. Es gilt zu beachten, dass die Erzähler, bei denen man sich eingekauft hat, das volle Verfügungsrecht über die Figuren haben. So kann man sich bei Aktion-Autor Lee Child womöglich beim Sterben zusehen oder wird von A.L. Kennedy auf "Abgründe, Verwerfungen und Widersprüche" untersucht.

Tellkamp und seine Anklage

Würde man dem Romanschriftsteller Uwe Tellkamp, der 2008 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde, seinen Namen zur Verfügung stellen wollen? Tellkamp fühlt sich heute bereits in einer "Kulturdiktatur". Er beklagt, wie die WELT berichtet, den Moralismus der "Vielen". Unter dem Namen "Berliner Erklärung der Vielen" hatten sich am 9. November Kulturinstitutionen gegen die aus ihrer Sicht zunehmend rechtsnationale Propaganda zusammen geschlossen. Tellkamp dagegen hat eine lange Liste bekannter Zeitungen und Zeitschriften gesammelt, denen er "eine Wucht des Common Sense" vorwirft ebenso wie die "Maßregelung" und "Zurechtweisung" anderslautender Meinungen.
Nun, wie Tellkamps verstorbener Kollege Friedrich Hölderlin schon schrieb: "Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch". Vielleicht wären ja die Helden des eben verstorbenen amerikanischen Comic- Autors Stan Lee Retter nach Tellkamps Geschmack. Es schreibt die WELT in ihren Nachruf: "Spider-Man. Die Fantastischen Vier. X-Men. Silver Surfer. Hulk. Thor. Iron Man. Daredevil. Doctor Strange. The Avengers. Die Liste der von ihm erdachten Helden ist unfassbar lang. Die Erde nach Stan Lee: ein Mutantenstadl."

Stan Lee als Ikone verehrt

Aber diese Mutanten aus Stan Lees Hausverlag Marvel räumen auf mit dem fantastischen Horror dieser Welt. Dabei sind sie nicht allein ausschließlich Supermänner, sondern Männer wie andere auch. Schreibt die WELT: "Die Marvel-Figuren sind eitel, gierig, liebeshungrig, zornig, überschäumend, großspurig. Dazu unbedingte Patrioten, die auch dann auf dem Boden der amerikanischen Verfassung stehen, wenn sie maskiert durch die Luft schweben." Der Tagesspiegel geht stärker darauf ein, dass Stan Lee nicht zwingend alles selbst erfunden hat, für das er bezahlt wurde, und schreibt: "Am wahrscheinlichsten ist, dass er vor allem als Impresario wirkte, der es meisterhaft verstand, die Talente anderer Menschen in den Dienst einer gemeinsamen Sache zu stellen." Der Erfolg gab ihm wohl recht, kein Feuilleton kann heute seinen Tod übergehen, denn, wie die Süddeutsche schreibt: Stan Lee wird "– unter tatkräftiger Mithilfe seiner selbst – als Ikone verehrt. Unumstritten war er bis zuletzt nicht" - aber doch jetzt nicht mehr! Über die Toten, auch die toten Väter der fantastischen Helden: Nur Gutes!
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