Religion

Zwischen Vernunft und Glauben

Der Zeithistoriker Francois Fejtö starb im Jahr 2008.
Der Zeithistoriker Francois Fejtö starb im Jahr 2008. © dpa / picture alliance / epa MTI Kollanyi
Von Carsten Hueck · 01.04.2014
Kurz vor seinem Tod veröffentlichte der französische Journalist und Historiker Francois Fejtö einen Essay, in dem er die Geschichte des Abendlandes überblickt - und für eine neue Form der Religiosität plädiert.
2008, kurz vor Vollendung seines 99. Lebensjahres, starb der gelehrte Journalist und Historiker Francois Fejtö in Paris. Er hatte am "Institut für Politische Studien" unterrichtet und als Osteuropaexperte regelmäßig für die französische Presse geschrieben. Sein erstes Buch veröffentlichte Fejtö 1935, sein letztes im Jahr 2006. Kurz zuvor waren in Frankreich seine "Gedanken über das Böse und den Lauf der Geschichte" erschienen – so der Untertitel des Essays, der nun als Buch in deutscher Übersetzung vorliegt: "Gott,der Mensch und sein Teufel".
Darin geht der Autor der Metamorphose unseres Gottesbildes nach und, eng damit verbunden, auch der des Teufels. Seine Untersuchungen und Reflexionen führen von der Genesis über die römische Zeit, das Mittelalter und die Renaissance bis in die Gegenwart. Fejtö unterstreicht den essenziellen Stellenwert von Religion in der Geschichte der Menschheit. Doch weigert er sich, die beiden Prinzipien Gut und Böse einander gleichzusetzen. Das Böse erscheint in seiner Analyse als Folge des Guten, als Antwort, provoziert von einer falsch gestellten Frage.
Abkehr vom Monotheismus
Als wichtigstes Moment der Religion – auch nach dem Tod Gottes – erscheint dem Autor die ständige Wiederkehr des Messianismus, eines Heilsversprechens, das einst das Christentum prägte, später der Aufklärung zugeschrieben wurde, im 19. Jahrhundert dem Nationalismus, dann dem Kommunismus und heute jenem Terrorismus, der sich einen "verfälschten Koran auf die Fahnen" schreibe.
Um den Fortbestand der Menschheit zu sichern, plädiert Fetjö, keineswegs blauäugig, für eine "spirituelle Revolution": für die Einhaltung bereits vorhandener Moralvorschriften, die Abkehr vom Monotheismus und eine stärkere Orientierung auf Universelles sowie die (Wieder-) Erschaffung einer Pluralität des Göttlichen, wie sie einst die Antike kannte.
Das Buch ist die Arbeit eines alten, gleichwohl wachen und engagierten Intellektuellen. Da überblickt einer, kurz bevor er 100 wird, noch einmal die Geschichte des Abendlandes und verbindet Geschichte, Literatur, Theologie und Politik spielerisch leicht, ohne sich in Detailgestrüpp oder alterseitler Denkerpose zu verfangen. Im Gegenteil: Fejtö erweist sich als scharfsinniger Denker und Aufklärer. Er hinterfragt Bekanntes, entwickelt Verständnismöglichkeiten und regt die Nachgeborenen an, sich mit seinen Ideen auseinanderzusetzen.
Scharfsinniger Denker und Aufklärer
György Dalos bezeichnet Fejtös Abhandlung im Nachwort als "eine Art angewandter Theologie für Gläubige, die zweifeln müssen, und für Zweifler, die glauben möchten." So plädiert Fejtö mit dem Wissen des Historikers und der Fantasie des Träumers für einen erweiterten Religionsbegriff. Wissenschaft und moderne Theologie sollten sich annähern – "hin zu einer Vereinigung der erfahrbaren Wahrheit von Vernunft und Glauben".
Fejtös Gedankengänge münden nicht in ein abschließendes Resümee, sondern erweisen sich als Sprungbrett in die Zukunft. Sie sind nach vorne gedacht. Hier ist keine Altkanzlerschaft zu spüren, kein Welterklärertum, sondern die lebendige Kraft eines geschmeidigen Geistes.
Francois Fejtö: Gott, der Mensch und sein Teufel. Gedanken über das Böse und den Lauf der Geschichte.
Aus dem Französischen von Agnes Relle und Werner Stichnoth
Matthes & Seitz Berlin Verlag, Berlin 2014
280 Seiten, 22,90 Euro
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