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"Ich versuche ein Design zu liefern, das visuell für die Musik spricht"

Led Zeppeline, Biffy Clyro oder Pink Floyd - Storm Thorgerson hat ihre Plattencover gestaltet. Angefangen hat der 68-jährige Brite mit einem Künstlerkollektiv. Im Corsogespräch spricht er über seine Werke und die Motivkämpfe mit den Plattenfirmen.

Storm Thorgerson im Gespräch mit Amy Zayed | 11.08.2012
    Amy Zayed: Sie haben ja für so viele Künstler Plattencover gestaltet. Muse, Pink Floyd und viele andere. Was reizt Sie nach all den Jahren noch an dieser Arbeit? Macht es noch genau so viel Spaß wie am Anfang?

    Storm Thorgerson: Ja, es macht immer noch sehr viel Spaß. Ich finde es kreativ, innovativ und interessant. Ich habe in diesem Punkt Glück. Auch wenn ich gesundheitlich nicht so viel Glück hatte, aber mit meinem Job schon! Im Musikgeschäft zu arbeiten, hat den Vorteil, dass Musik etwas Sauberes ist. Sie macht das Leben schöner. Genauso wie Bäume, oder Träume. Jeder mag Musik und verbindet irgendetwas damit. Musik ist etwas Unbeflecktes. Mir ist es sehr viel lieber, im Musikgeschäft zu arbeiten, als Parfum, Autos, Bier oder Zigaretten zu vermarkten. Ich denke, für einen kommerziellen Künstler ist Musik das Beste, was ihm passieren kann. Es ehrt mich aber auch vor allem, wenn die Musik, die ich vermarkte, dann auch noch fantastisch ist, und vielleicht auch durch meine Hilfe Anerkennung findet. Obwohl mir die Musik selbst in meinem Job nicht so wichtig ist. Mein Job ist es zu interpretieren, nicht zu loben, oder zu kritisieren.

    Zayed: Bei allem Respekt vor dem, was Sie sagen, aber Sie machen das seit über 30 Jahren, sind nicht mehr der Jüngste, und dann müssen sie mit Bands arbeiten, die manchmal noch relativ neu sind, die zu spät kommen, vielleicht keine Lust auf Fotosessions haben, rumpöbeln, und Sie müssen trotzdem einen guten Job machen. Nervt das nicht manchmal?

    Thorgerson: Aber Sie haben vollkommen recht! Was das Benehmen oder die Pünktlichkeit angeht, stimmt das absolut! Es nervt, weil ich es oft mit egozentrischen, wilden, emotional zerrütteten Menschen zu tun habe, die sich meistens wie kleine Kinder benehmen, und wo ich dann Papa spielen muss. Was ich aber an den Musikern bewundere, ist die Tatsache, dass sie sich trauen, vor Tausenden von Leuten auf die Bühne zu gehen. Vielleicht muss man egozentrisch sein, um diese großartigen Auftritte liefern zu können. Ich könnte das nicht! Wenn man zu einem Konzert von Muse oder Peter Gabriel geht, stellt man immer wieder fest, wie genial diese Leute sind, und dafür habe ich tiefste Bewunderung, und dann vergebe ich ihnen auch ihre Macken.

    Zayed: Lassen Sie uns über ein paar ihrer Cover reden. Mir fällt als Erstes die Kuh auf Pink Floyds "Atom Heart Mother"-Cover ein. Auf der Anniversary Edition ist es sogar eine Drahtkuh. Also eine "Wire Cow". Warum eine Kuh? Why a cow?

    Thorgerson: Eigentlich sollte das Cover eine Art Anticover werden. Die Bandmitglieder waren sich nicht sicher, wie sie das Album nennen sollten, und auch musikalisch waren sie sich nicht wirklich einig, sie hatten keine Ahnung, worum es auf der Platte eigentlich ging, sie waren einfach total verwirrt. Und da dachte ich, wir könnten ein Cover machen, mit dem niemand rechnet. Selbst die Band nicht. Weil die Musik ja genauso wirr war.

    Ich habe mich mit einem Freund darüber unterhalten, und der meinte: Nimm doch einfach ein Foto von einer Kuh als Cover! Und in diesem Moment hab ich die Kuh ganz klar gesehen, so wie in einem Bilderbuch für Kinder. Ich wollte die Kuh in all ihrer Kuhhaftigkeit zeigen. Die Band fand das super! Allein weil es so gar keinen Sinn machte. Die Plattenfirma war außer sich! Sie wollten uns das Cover verbieten, und meinten: Warum eine Kuh zum Henker? Was hat eine Kuh mit Pink Floyd zu tun? Und ich hab gesagt: Keine Ahnung, fragt die Band! Und die Band hat geantwortet: Keine Ahnung, fragt Storm! Irgendwann haben sie dann aufgegeben und uns machen lassen! Die Platte schaffte es auf Platz eins der britischen Charts, und die waren immer noch am meckern! Fünf Jahre lang! Nicht nur über die Kuh, sondern über alles Mögliche, was mit den Covern zu tun hatte. Sie haben einfach nicht verstanden, dass diese Beziehung zwischen mir und der Band einfach gut war, nicht nur professionell und privat, sondern auch finanziell war es genau das, was sie brauchten. Um noch mal auf die Kuh zurückzukommen: Jeder weiß, was es darstellen soll. Es ist eben eine Kuh. Nicht verständlich ist, warum sie da ist, und was sie mit der Musik zu tun hat. Und genau wie Sie gerade hat jeder gefragt: Warum eine Kuh? Und wir fanden das dann so witzig, dass wir auf der 40 Jahre Edition eine Drahtkuh, also eine "Wire cow" daraus gemacht haben. Die Platte kam übrigens ein Jahr nach dem 40. Jubiläum raus, aber das passt zu Pink Floyd, die stehen nicht auf Jubiläen. Aber wir haben das Bild genau am selben Ort gemacht, wie damals mit der richtigen Kuh. Aber irgendwie mochte ich die richtige Kuh lieber. Sie stand da, und guckte mich an, als wollte sie sagen: Was willst Du denn überhaupt? Die hatte Charakter.

    Zayed: Ein anderes Cover, das mir auffiel, ist ein Plattencover der Band Silent Buddhas. Es zeigt zwei Betten, in denen ein Mann liegt, als wären es Spiegelbilder. Darunter steht: Träumt der Träumer den Traum, oder träumt der Traum den Träumer? Wie kamen sie denn darauf?

    Thorgerson: Der Text stammt vom berühmten argentinischen Autor Jorge Luis Borges. Ich wollte versuchen, diesen Satz bildlich darzustellen. Auf dem Bild ist ein großes Bett mit einem Mann drin, und daneben, genau das gleiche Bett in klein, als wäre es ein Klon. Man weiß nicht, was zuerst da war. Ich finde, das Schlafen und Träumen noch sehr unerforschte Territorien sind. Es ist alles möglich. Das Gehirn und die Psyche können dort ihre eigenen Schlüsse ziehen, ihre eigene Welt kreieren. Du so vielleicht sogar viel mehr Spaß daran haben.

    Zayed: Hatten Sie da vielleicht auch an ein Paralleluniversum gedacht, in dem ein zweites Ich von uns existiert, wo wir nur im Traum hinreisen können?

    Thorgerson: Ja warum nicht. Brian Eno wurde mal in einem Interview gefragt, was denn sein Hobby sei, und er antwortete: Ich denke gern. Mir hat die Antwort sehr gut gefallen. Einfach zu denken um des Denkens willen ist toll! Vieles was ich kreiere soll die Menschen zum nachdenken, grübeln, oder sogar zum verzweifeln bringen, eben dazu, ihr Gehirn anzustrengen. Ich muss meins ja auch anstrengen, um diese Bilder zu schaffen. Und dabei gehe ich auf Reisen, Traumreisen, und ich möchte, dass die Leute das gleiche tun, und daran Freude finden. Ja, und die Idee mit den Parallelwelten gefällt mir.

    Zayed: Es gibt ein Album Cover, auf dem ein Schwan aus Eis in der Wüste steht und schmilzt. Hat das etwas mit dem Schwan als Metapher für die Muse zu tun, vielleicht sogar die kranke Muse von Baudelaire?

    Thorgerson: Der Schwan steht tatsächlich als ganz traditionelle Metapher für die Muse. Oder für das Zeichen der Kreativität. Und hier wollte ich einen sterbenden Schwan darstellen. Wir haben den Eisschwan tatsächlich in der Wüste sterben sehen. Das war sehr überwältigend! Diese Eisskulptur war etwa einen Meter 20 hoch, und als wir sie in die brütend heiße Sonne stellten, fing sie direkt an zu schmelzen. Wir sahen, wie zuerst langsam die Flügel einsackten, und dann der Kopf abfiel. Es war so überwältigend und traurig. Aber es war auch irgendwie wunderschön! Ich fand diese Melancholie des Augenblicks einfach umwerfend!

    Zayed: Wie kommt man auf so eine Idee?

    Thorgerson: Ich hab keine Ahnung, was da manchmal in meinem Kopf passiert. Man kann sehr schwer sagen, woher Inspiration kommt. Irgendwer hat gesagt, sie käme aus dem Londoner Vorort Milton Keynes, aber das glaub ich nicht. Es ist unglaublich schwer für einen Künstler, genau zu sagen, woher dieser plötzliche Funke kommt. Er kommt aus dem Herzen und dem Gehirn. Aus der Kultur und den Genen, von den Eltern einfach von überall! Es ist wie ein Kompott aus Input! Deshalb ist das Ergebnis oft so großartig! Eben weil das menschliche Gehirn so großartig ist mit seinen Milliarden und Trilliarden von Verbindungen. Und dieses Gehirn feuert Raketen an irgendetwas anderes im Körper, und aus irgendeiner Chemie entsteht dann diese fantastische Kunst. Ich frage mich, sowohl bei mir als auch bei anderen, könnte es eine Zeit geben, in der niemand mehr kreativ ist? Wo Kunst aufhört zu existieren? Um auf den Schwan zurückzukommen, ich glaube, irgendetwas, das der Sänger gesagt hatte, brachte mich auf die Idee. Ich versuche, meine Cover an die Musik anzupassen. An die Texte, an die Art von Musik, das Genre. Genau wie Sie mich jetzt interviewen, muss ich manchmal die Musiker interviewen, bevor ich mit ihnen arbeite. Mich interessiert, was die Musiker beschäftigt, und wie ich sie visuell aufdecken oder darstellen kann. Ich glaube nicht, dass man Klangbilder visualisieren kann. Dazu sind sie viel zu verschieden.

    Zayed: Meinen Sie? Ich dachte immer, Musik und Bilder könnten sich zumindest ergänzen?

    Thorgerson: Vielleicht können sie sich ergänzen. Aber sie sind nicht das Gleiche. Ich kann nur versuchen, ein Design zu liefern, das visuell für die Musik spricht, sie also repräsentiert. Ich weiß nur nicht, ob das überhaupt möglich ist. Die Ohren nehmen nämlich Klang über Vibration auf, die Augen allerdings funktionieren durch Chemie. Das Ohr nimmt die Vibrationen auf, und sendet diese durch das Trommelfell über Stimulation des Innenohrs an das Audio Cortex. Das Auge funktioniert durch Chemie in der Netzhaut. Das ist ein ganz anderer Prozess. Dazu kommt, dass das Auge achtmal so viel aufnimmt wie das Ohr. Eine Übersetzung von Klang in visuelle Bilder ist also kaum möglich. Was ich also versuche ist, einen Nenner zu finden. Etwas womit sich die Musiker bewusst oder unbewusst beschäftigen. Es geht meistens um Jungs oder Mädels oder Jungs oder Mädels, ach ja, manchmal auch um Politik. Ach ja, und um Geld! Schwierig wird's dann, wenn sie es selbst noch nicht wissen.
    Dann spiele ich ein Spielchen mit ihnen, das ich "Blick in euer Unterbewusstsein" nenne. Da müssen sie sich dann selbst analysieren, sitzen sozusagen auf ihrer eigenen Psychocouch, und werden sich zum ersten Mal klar, was sie die ganze Zeit versucht haben in ihrer Musik auszudrücken. Und dann wird ihre Musik noch viel bewusster und wertvoller für sie. Bei Musik geht's ums Handeln, nicht ums Denken, und wenn sie fühlen, dass sie etwas getan haben mit ihrer Musik, verstehen sie sich und ihren Weg viel besser. Ich versuche das ans Tagelicht zu fördern, und daraus etwas Visuelles zu schaffen. Zum Beispiel bei der Steve Miller Band. Auf dem Cover für den Song "Let Your Hair Down" steht ein glatzköpfiger Typ mit einem einzigen Haar auf dem Kopf. Da geht es darum, die Menschen ein wenig zum Schmunzeln zu bringen. Der Sänger hatte mir vorher gesagt, es ginge ihm auf dem Album darum, dass die Leute Spaß haben sollen. Also hab ich nicht versucht, das zu interpretieren oder zu übersetzen, sondern einfach witzig zu sein. Da steht ein glatzköpfiger Typ mit einem einzigen Haar auf dem Kopf, und neben ihm steht eine riesige Strickleiter, damit er sein Haar herunterlassen kann.

    Zayed: Was würden sie Coverdesignern oder neuen Künstlern mit auf den Weg geben? Sie waren ja auch nicht von jetzt auf gleich berühmt, obwohl Sie später sehr erfolgreich wurden.

    Thorgerson: Was ich gemacht habe, und was ich jedem raten würde, ist erstens: Die Sache wirklich ernst zu nehmen. Klar, Albumcover sind vielleicht nicht so wichtig wie Tsunamis oder Erdbeben oder Epidemien. Aber trotzdem sind wir wichtig, und wir müssen unseren Job ernst nehmen. Wenn wir uns ernst nehmen, dann helfen wir den Musikern ihre Musik ernst zu nehmen, weil sie sich verstanden fühlen, und dann nehmen auch die Hörer uns und die Musik ernst. Und zweitens darf das Geld keine Rolle spielen. Am Anfang wurden wir nie bezahlt. Aber darum geht's auch nicht, zumindest nicht sofort. Es geht immer erst darum, sich selbst künstlerisch treu zu bleiben. Sonst bekommt man nie Respekt. Drittens, und da hatten wir Glück: Den Musikern ging es nicht unbedingt darum, sich selbst darzustellen. Bands wie Pink Floyd oder 10cc wollten nicht unbedingt Bilder von sich selbst auf den Covern, es ging ihnen viel mehr um die Repräsentation ihrer Musik. In dem Moment, wo eine Band anfängt, sich selbst in den Vordergrund zu stellen, fühle ich mich als Künstler unglaublich begrenzt.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.