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NPD-Verbotsverfahren

15.02.2002
    Meurer: Im Streit um das NPD-Verbotsverfahren liegen zur Zeit die Nerven der Beteiligten blank. CDU, CSU und FDP müssten, so hat es der SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler formuliert, wenigstens heute den Anfang wehren, denn deren Vorläuferparteien hätten 1933 Hitler ermächtigt, nachdem sie ihn zuvor verharmlost und mit an die Macht gebracht hätten. Union und FDP nehmen das als schwere Beleidigung und drohen, kommenden Mittwoch nicht mit der SPD über die Zuwanderung zu verhandeln, wenn Stiegler Verhandlungsführer der SPD bleibt. SPD-Fraktionschef Peter Struck habe ich gefragt, ob die SPD besser daran getan hätte, sich doch bei der Opposition für Stieglers Vergleich zu entschuldigen.

    Struck: Die Äußerungen von Herrn Stiegler, wie immer sie man bewerten mag, sind für die Union nur ein Vorwand, um aus den Bemühungen auszusteigen, einen Zuwanderungskompromiss noch außerhalb des parlamentarischen Verfahrens zu finden. Ich habe mit Interesse die Äußerungen der Unionsspitze, gerade zu dem Zuwanderungsgesetz auch die Äußerungen von Herrn Stoiber in Passau gehört und gelesen. Mein Eindruck war immer, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht bereit ist, ein Zuwanderungsgesetz mitzutragen, dass es deshalb für uns entscheidend darauf ankommt, wie sich der Bundesrat verhalten wird.

    Meurer: Aber ist es nicht eine unnötige Provokation, wenn ausgerechnet der Verhandlungsführer der SPD-Fraktion, nämlich Stiegler, CDU und FDP in einem Atemzug mit den Vorgängerparteien nennt, die 1933 den Aufstieg von Adolf Hitler begünstigt hätten?

    Struck: Die CDU soll mal nicht so empfindlich sein, ich will das deutlich sagen. Wer wie Frau Merkel und Herr Meier sich bis heute nicht für das Betrügerplakat über Gerhard Schröder entschuldigt hat, sondern dieses Plakat nur zurückgezogen hat, weil der öffentliche Protest nicht mehr auszuhalten war, hat kein Recht, sich jetzt zu erheben. Ob man solche Äußerungen macht oder nicht, bleibt jedem einzelnen überlassen. Ich lehne es ab, mich für meinen Fraktionsstellvertreter zu entschuldigen. Das gilt auch für die Fraktion, der ich vorstehe. Mir geht es entscheidend darum, was will die Union z.B. beim NPD-Verbotsverfahren. Ich höre, dass der Fraktionsvorsitzende der Union dazu rät, den Antrag zurückzuziehen. Das hätte fatale politische Folgen. Die NPD würde gestärkt aus einem solchen Vorgang hervorgehen. Ich verlange von der Union, klar zu sagen, ob sie zu diesem Verbotsantrag steht. Ich verlange auch vom Kanzlerkandidaten der Union eine Klärung. Ist das, was er damals mit seinem Innenminister zusammen auf den Weg gebracht hat, nämlich die NPD verbieten zu lassen, nach wie vor gültig oder nicht?

    Meurer: Wie sehen Sie eigentlich im Moment das Erscheinungsbild der Bundesregierung? Wir haben die Pannen im NPD-Verbotsverfahren, wir hatten das Getöse um den blauen Brief der EU-Kommission, der nur mit Mühe und Not vermieden werden kann. Welches Bild gibt zur Zeit die Bundesregierung ab?

    Struck: Die Bundesregierung arbeitet, und wer arbeitet, muss auch damit rechnen, dass es Fehler von Mitarbeitern in den Ministerien gibt, ob auf Landes- oder Bundesebene. Eine Opposition hat es da leichter. Sie arbeitet nicht. Sie hat keine Verantwortungen zu treffen. Sie kann nur Forderungen stellen. Die Panne, die es in Bezug auf dem Antrag beim NPD-Verbotsverfahren zweifellos gegeben hat, ist jetzt bereinigt. Es gibt einen Schriftsatz der Verfassungsorgane Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung, der dem Bundesverfassungsgericht vorliegt, und ich habe überhaupt keinen Zweifel daran, dass Karlsruhe nach der Bewertung dieses Schriftsatzes zu einer mündlichen Verhandlung kommen wird, in der dann die Verfassungsfeindlichkeit der NPD mit Auskunftspersonen der NPD auch nachgewiesen werden wird.

    Meurer: Aber umso schlimmer ist es natürlich, dass die Diskussion sich im Moment auf einem ganz anderen Feld bewegt. Was sagen Sie den Kritikern, die sagen, Bundesregierung und das, was im Moment in Berlin läuft, erinnert an die ersten 100 Chaostage der Rot/Grünen Regierung.

    Struck: Das wäre absolut falsch. Die ersten 100 Tage waren keine Chaostage. Es war allerdings sehr schwer. Das ging aber jeder Regierung so, das ging Willy Brandt so, das ging Helmut Kohl so, als er Kanzler geworden ist, aus einer Oppositionsrolle heraus dann in Regierungsverantwortung zu kommen. Wir haben jetzt in Bezug auf das NPD-Verfahren einen ärgerlichen Vorgang, den man aber nicht überbewerten sollte. Man muss doch die Diskussion wieder auf die Füße stellen. Es geht darum, ob die NPD verboten wird oder nicht. Die Begründung in diesen Anträgen hat nun nichts mit der Tätigkeit von V-Leuten zu tun, sondern die Begründung bezieht sich nur auf öffentlich zugängliches Material (Reden, Bücher, Zeitschriften) dieser Partei, und dieses Material bekräftigt den Antrag.

    Meurer: Wie wollen Sie bis zur Bundestagswahl wieder in die Offensive kommen? Zum Beispiel dadurch, dass das Zuwanderungsgesetz mit Hilfe der CDU in Brandenburg zustande kommt?

    Struck: Ich zitiere die Kirchen, ich zitiere die Wirtschaft, die uns sehr darum bitten, dass wir das Ausländerrecht neu regeln, dass wir die Zuwanderung begrenzen. Es ist ja ein Begrenzungsgesetz. Es regelt vor allen Dingen in den nächsten Jahren nur den Zugang von hochqualifizierten Wissenschaftlern, um die wir im Wettbewerb mit anderen Industrienationen stehen. Es enthält klarere Regelungen für die Familienzusammenführung. Ich glaube, dass es gut für unser Land wäre, wenn diese Frage der Ausländer, die auch in Deutschland leben, aus dem Wahlkampf herausgehalten würde. Deshalb plädiere ich auch sehr dafür, dass wir unabhängig von den Beratungen, die wir im Bundestag Ende dieses Monats abschließen werden, auch mit dem Bundesrat in intensive Gespräche eintreten. Wir brauchen die Zustimmung des Bundesrates, und wir brauchen deshalb z.B. die Zustimmung der Länder Bremen und Brandenburg, die unter gewissen Voraussetzungen eine solche Zustimmung signalisiert haben.

    Meurer: Wenn die Zustimmung doch ausbleibt, welches Erfolgserlebnis können Sie sich noch bis zur Bundestagswahl vorstellen?

    Struck: Wir haben eine Menge auf den Weg gebracht. Jeder wird es merken, wenn es jetzt im März beginnend Lohnsteuerjahresausgleiche gibt oder Einkommensteuererklärungen abgegeben worden sind. Wir können eine gute Erfolgsbilanz vorweisen, gerade im sozialen Bereich. Wir werden auch die aktiven Maßnahmen in der Arbeitsmarktpolitik durch das sogenannte Job-Aktiv-Gesetz, durch Ausdehnung des Mainzer Modells für Niedriglohnbereiche auf die gesamte Bundesrepublik ergreifen. Ich habe keine Zweifel darüber, dass die Bürgerinnen und Bürger erkennen werden, dass diese Koalition, diese Regierung unter Gerhard Schröder mehr Zeit braucht als die vier Jahre, die wir bis zum 22. September haben, um das Land aus dem Schlamassel herauszubringen, in das es 16 Jahre lange gebracht wurde.

    Meurer: Warum hält die Regierung am Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg fest?

    Struck: Bevor nicht klar ist, wer welche Verantwortung für die Vorgänge in der Bundesanstalt für Arbeit, in einzelnen Arbeitsämtern zu übernehmen hat, wäre es falsch, den Rücktritt zu fordern. Herr Jagoda wird selbst zur Aufklärung beitragen müssen, wie auch der Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit, in dem ja Gewerkschaften und Arbeitgeber gleichermaßen vertreten sind. Ich sehe deshalb mit großem Interesse den Vorschlägen dieses Vorstandes entgegen, und auch den Vorschlägen, die der Arbeitsminister anschließend machen wird.

    Meurer: Ist als Verwaltung ein neunköpfiger Vorstand, der ehrenamtlich arbeitet, noch zeitgemäß?

    Struck: Ich glaube, dass eine solche Behörde, die ja immerhin aus 80.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besteht und eine wichtige Aufgabe hat, in der Tat darauf hin überprüft werden muss, welche neuen Strukturierungsmodelle es für eine bessere, effizientere Arbeit dieser Behörde gibt. Natürlich gehört auch eine Überprüfung der Kontrollfunktion dieser Behörde dazu.

    Meurer: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio